top of page
Michael Kurt Sonntag

Wer sind die Dargestellten?

Als Alexander der Große 333 v. Chr. bei Issos über den persischen Großkönig Dareios III. Kodomannus gesiegt hatte, floh dieser und ließ seine Familie im Stich, woraufhin jene – darunter befand sich auch Amastris – in Alexanders Hände fiel. Alexander aber, so berichten uns die Quellen, behandelte die Familie des Perserkönigs ihrem Rang entsprechend respekt- und würdevoll. Und neun Jahre später, als er in Susa 90 seiner höchsten Offiziere mit den Töchtern des orientalischen Hochadels verheiratete, gab er Amastris seinem Reiter-General und Kampfgefährten Krateros zur Frau. Doch schon 322 v. Chr. reichte sie Krateros an Dionysios von Herakleia am Pontos weiter und heiratete Phila, die Tochter des Makedonen Antipatros. Dionysios, der in Herakleia seit 337/36 v. Chr. als Tyrann herrschte, hatte sich nach Alexanders Tod den Gegnern des Reichsverwesers Perdikkas angeschlossen, kämpfte später für den mächtigen Diadochen Antigonos Monophthalmos auf Zypern und dehnte unter dessen Schutz seine eigene Macht aus. Amastris gebar ihm drei Kinder: Klearchos, Oxathres und Amastris. Nach seinem Tod (305 v. Chr.) übernahm sie die Vormundschaft für ihren ältesten Sohn Klearchos und regierte Herakleia unter der Oberherrschaft des Diadochen Antigonos Monophthalmos. Drei Jahre später vermählte sie sich mit König Lysimachos. „Von 302 bis 300 [v. Chr.] war Amastris Gattin des Lysimachos, und zwar soll es sich hier um eine ausgesprochene Liebesheirat gehandelt haben (nach Memnon von Herakleia). Dies aber war eine Seltenheit in der Geschichte der dynastischen Eheschließungen. Aus dieser Ehe ist ein Sohn namens Alexander hervorgegangen, über dessen Schicksal nichts bekannt ist.“ (Hermann Bengtson: Die Diadochen, Die Nachfolger Alexanders (323-281 v. Chr.), München 1987, S. 77). Um 300 v. Chr. – also nur ein Jahr nach seinem großen Sieg über Antigonos bei Ipsos – schied sich Lysimachos von Amastris, um in dritter Ehe die 17-jährige Tochter Ptolemaios´ I. Soter, Arsinoe, zu heiraten. Da es noch im selben Jahr in Herakleia zwischen der Königin und ihrem mittlerweile erwachsenen Sohn Klearchos zu Spannungen und Rivalitäten kam, wie Historiker berichten, verließ die Königin Herakleia und gründete weiter östlich an der Küste Paphlagoniens ihre eigene Stadt. Bei Strabon heißt es diesbezüglich: „Nach dem Fluss Parthenios denn kommt Amastris, eine Stadt die nach ihrer Gründerin benannt ist; sie liegt auf einer Halbinsel und hat Häfen zu beiden Seiten der Landenge. […] Sie [gemeint ist Königin Amastris] hat die Stadt aus vier Siedlungen zusammengelegt: Sesamos, Kytoron und Kromna […] und viertens Tios; letzteres jedoch löste sich bald aus der Gemeinschaft, die anderen aber blieben beisammen.“ (Strabon, XII, 3, 10, In: Stefan Radt (Hrsg.): Strabons Geographika, Bd. 3, Strabon: Buch IX-XIII, 2004). Hieraus den Schluss zu ziehen, Amastris habe Herakleia ganz allein der Herrschaft ihres Sohnes überlassen, wäre dennoch falsch. In Wahrheit regierte Klearchos nämlich nur unter ihrer Oberherrschaft. In Amastris dagegen regierte die Königin als Alleinherrscherin und ließ silberne Statere im eigenen Namen prägen.

Amastris (Paphlagonien). Königin Amastris (um 300-285 v. Chr.). Stater (um 300-285 v. Chr.), Silber, 9,67 g, Ø 23 mm. [Bildquelle: Gorny & Mosch, Auktion 207 (15. Oktober 2012), Los 254].

Betrachtet man diesen Silber-Stater, erkennt man schnell, dass die Münze eine Königinnen-Titulatur trägt. Lautet doch die Legende auf BASILISSES AMASTRIOS, was so viel heißt wie „[Münze] der Königin Amastris“. Damit war Amastris die erste hellenistische Königin, die ihre Münzen mit einer Königinnen-Titulatur versah. Otto Morkholm zufolge verwies sie zudem mit der Wahl ihrer Münzmotive auf ihre persische Herkunft und ihre Abstammung aus dem Königshaus der Achaimeniden. Seiner Ansicht nach zeigen ihre Münzen auf der Vorderseite den Kopf des persischen Gottes Mithras mit phrygischer Mütze und Lorbeerkranz und auf ihren Rückseiten die thronende Göttin Anaitis oder die Tyche der Stadt Amastris mit Nike auf der Hand. Für David R. Sear handelt es sich bei dem Porträtkopf aber nicht um den des Mithras, sondern um den der Königin Amastris. Auch sieht er in der thronenden Frau auf der Rückseite Amastris als Aphrodite mit Eros oder Nike auf der Hand und nicht Anaitis. Aber muss der Kopf, wenn er denn tatsächlich eine Frau und nicht Mithras darstellen sollte, zwangsläufig Amastris mit phrygischer Mütze zeigen? Natürlich hätte sich Amastris als Alleinherrscherin auf ihren Münzen auch zur Göttin überhöhen können, aber warum hätte sie dies tun sollen? War sie durch die Tatsache, ihre eigene Königinnen-Titulatur auf ihre Münzen gesetzt zu haben, numismatisch gesehen, nicht bereits ebenbürtig mit den mächtigsten hellenistischen Königen? Schließlich prägten zwischen 305 und 281 v. Chr. sowohl Seleukos I. Nikator als auch Lysimachos nur mit der Königs-Titulatur. Und auch ihr zweiter Ehemann, Dionysios von Herakleia (337-305 v. Chr.), und Antigonos Monophthalmos, unter dessen Oberherrschaft sie von 305-302 v. Chr. gestanden hatte, hatten nie Münzen mit den eigenen Porträts schlagen lassen. Einzig und allein Ptolemaios I. Soter im fernen Ägypten prägte schon seit 305 v. Chr. mit dem eigenen Porträt. Die Frage, die sich angesichts des gezeigten Silberstaters aufdrängt, lautet: Könnte Amastris zwischen 300 und 285 v. Chr. nicht ganz bewusst mit dem Kopf des Mithras oder dem der orientalischen Göttin Anaitis geprägt haben, um so auf ihre persisch-achämenidische Herkunft zu verweisen, ihr ganz besonderes Näheverhältnis zu diesen Gottheiten zum Ausdruck zu bringen und ihre Alleinherrschaft mit Hilfe dieser Münzen zusätzlich zu legitimieren? Hätte sie doch auf diese Weise jedem Betrachter ihrer Statere im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen geführt, dass ihre Wurzeln persisch-achaimenidisch sind, dass sie die Gunst, das Wohlwollen und den Schutz der großen persischen und griechischen Götter Mithras, Anaitis bzw. Anaitis-Artemis und Aphrodite genießt und dass ihre Herrschaft legitim ist.

Nach dem Tode der Amastris wurden ihre Söhne Klearchos und Oxathres verdächtigt, sie ertränkt zu haben und daher hingerichtet. „Nach ihrem Tod (284 [v. Chr.]) empfingen die Söhne Lysimachos als Freund, er ließ sie aber als Muttermörder hinrichten und annektierte Herakleia.“ (Hubert Cancik / Helmuth Schneider (Hrsg.): Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 6, Sp. 501). Von da an regierte Lysimachos auch über Herakleia und Amastris, das er ebenfalls annektiert hatte, beherrschte einen nicht unerheblichen Teil der Südküste des Schwarzen Meeres und prägte in Herakleia seine Reichsmünzen – die goldenen Statere und silbernen Tetradrachmen mit dem Porträt des vergöttlichten Alexander und der Nike-tragenden Athena. In Amastris dagegen führte man die Ausprägung der silbernen Statere fort – jetzt allerdings nicht mehr mit der Königinnen-Titulatur, sondern im Namen der Bürger der Stadt.

Amastris (Paphlagonien). Stadt Amastris. Stater (nach 285/84 v. Chr.), Silber, 9,40 g, Ø 23 mm. [Bildquelle: Gorny & Mosch, Auktion 276 (19. April 2021), Los 156].

Betrachtet man diesen Stater, so zeigt sich, dass er bis auf die Legende, die nun AMASTRIEON ([Münze] der Amastrier) lautet, kaum verändert wurde. Auf der Vorderseite fügte man dem Porträtkopf mit phrygischer Mütze zusätzlich zum Lorbeerkranz noch einen achtstrahligen Stern hinzu und auf der Rückseite erschien die bereits bekannte thronende Göttin mit der Nike auf der Hand, allerdings befand sich nun im linken Feld auch ein „botanisches“ Beizeichen. Während Morkolm und Sear in dem Porträtkopf eindeutig Mithras sehen, legen sich andere mit ihrer Interpretation nicht fest. So heißt es beispielsweise bei Linda-Marie Hans: „Dass die auf der pontischen Münze abgebildete Tiara tatsächlich in der politischen Tradition der achämenidischen Satrapentiara steht, ist allerdings weniger wahrscheinlich als dass es sich hier angesichts des Lorbeerkranzes und des achtstrahligen Sterns auf dem Wangenschutz um ein göttliches Attribut handelt, also um die Darstellung der heroisierten Amastris oder des Mithras.“ (Linda-Marie Hans: Die Göttin mit der Tiara, In: Schweizerische Numismatische Rundschau, Bd. 66, Bern 1987, S. 47-62, S. 53, Anmerkung 43). Andere wiederum, die in dieser Münze eine postume Ehrung der Königin durch ihre Stadt sehen, halten das Porträt für das der Amastris. Ganz anders die neuere Forschung um Oliver Hoover. Hoover zufolge handelt es sich auf den Vorderseiten der abgebildeten Statere weder um Mithras noch um Anaitis oder Amastris, sondern um den phrygischen Gott Mên. „The obverse head has been variously described as a portrait of the queen, a representation of an Amazon, the Iranian god, Mithra, or of one of two Phrygian deities: Attis and Mên. Of these possibilities, Mên seems most likely as this god appears elsewhere with a similarly ornamented headdress“ (Übersetzung des Verfassers: Der vorderseitige Kopf ist verschiedentlich als ein Porträt der Königin, die Darstellung einer Amazone, das Abbild des iranischen Gottes Mithras, oder als einer der beiden phrygischen Götter Attis und Mên beschrieben worden. Von den erwähnten Alternativen scheint Mên die wahrscheinlichste zu sein, da dieser Gott auch anderswo mit einer ähnlich geschmückten Kopfbedeckung erscheint.) (Oliver D. Hoover: Handbook of Greek Coinage Series, Volume 7, Handbook of Coins of Northern and Central Anatolia, Lancaster / London 2012, S. 124). Die rückseitig Dargestellte interpretiert Hoover als thronende Aphrodite, die zunächst Eros (siehe erste Abb.) und dann Nike (zweite Abb.) auf der Hand hält. Das „botanische“ Beizeichen wiederum deutet er als Rose und nicht wie Hellmut Baumann als Lein-Samenkapsel. Nun war die Rose zwar die heilige Blume der Aphrodite, aber muss das Beizeichen allein deshalb auch eine Rose sein? Schließlich verdankte Amastris seinen Reichtum der Leinpflanze, wie Baumann darlegt. „Damit wäre die Münze nicht nur der Athene gewidmet, sondern durch das Beizeichen einer typischen Samenkapsel der Leinpflanze auch Symbol für den Reichtum von Amastris, den die Stadt der Leinkultur verdankte, ähnlich wie Kyrene der Silphion-Staude.“ (Hellmut Baumann: Pflanzenbilder auf griechischen Münzen, München 2000, S. 34). In der Thronenden allerdings Athene zu sehen, wie Baumann dies macht, ist wenig plausibel, zumal Athene in der griechisch numismatischen Ikonografie nie ohne Helm in Erscheinung tritt.



Comments


bottom of page