Als Alfried Krupp von Bohlen und Halbach am 30. Juli 1967 starb, war er einer der reichsten Männer der Welt. Während der Testamentseröffnung hörte man staunend, dass rund 100 industrielle Großbetriebe auf einer neun Seiten umfassenden, eng mit Maschine beschriebenen Liste standen. Weitere zehn Seiten umfasste die Aufstellung seiner sonstigen Industrie- und Bankbeteiligungen:
„Sein Industriekonzern mit über 100.000 Beschäftigten und mit Werksanlagen, die zusammengenommen eine Fläche von etwa der Ausdehnung mehrerer preußischer Landkreise bedeckten, waren in genau derselben Weise sein privates Eigentum wie seine Manschettenknöpfe, seine Armbanduhr, sein Weinkeller oder seine Segeljacht; die Kruppschen Steinkohlenzechen gehörten ihm allein, genau wie seine silbergrauen, spezialgefertigten Porsche-Coupés oder die monströse 152-Zimmer-Villa Hügel mit ihren 600 Gemälden und Gobelins oder das Frühstücksgeschirr in seinem bevorzugten einsamen Bungalow am Rande des ausgedehnten Hügel-Parks. Er war – genau wie die orientalischen Märchenprinzen von vergleichbarem Reichtum – über seinen gigantischen Besitz niemandem Rechenschaft schuldig – keinem Teilhaber, keiner Aktionärsversammlung, keinem Aufsichtsrat, auch keinem Verwandten.“ (1)
Alfried Krupp von Bohlen und Halbach (rechts, 1961), Bildquelle: Wikimedia, Bundesarchiv.
Über den Konzernbesitz hinaus gehörte Alfried auch ein Teil der Großstadt Essen, außerdem Schloss Blühnbach in Österreich. Sein dort gelegenes Besitztum machte ihn nach dem Fürsten Esterhazy zum zweitgrößten österreichischen Grundbesitzer. Angesichts dieser Auflistung drängt sich unwillkürlich die Frage auf: Wie konnte es dazu kommen, dass sich innerhalb von 150 Jahren dieser Reichtum in einer einzigen Hand ansammelte?
Taler (Berg, 1806, 750er Silber, 19,5 Gramm, 36 mm), Bildquelle: Künker, Herbstauktionen 2014, Los 4843.
Vier Generationen zuvor beabsichtigte ein Bürgersohn namens Friedrich Krupp aus Essen an einem Preisausschreiben teilzunehmen. Der in Deutschland einmarschierte französische Kaiser Napoleon I. brauchte laut Ausschreibungstext guten Stahl, der dem vorher aus Großbritannien importierten glich. Um solchen Stahl herzustellen, schloss sich der junge Krupp mit den Brüdern Kechel zusammen, zwei ergrauten Offizieren mit technischer Sachkenntnis. In Artikel 16 des Gesellschaftsvertrages vom 20. November 1811 zur Gründung einer Gussstahl-Fabrik hieß es:
„Damit auch die Herren von Kechel sich fördersamst im Stand sehen mögen, ihr Logis, Kost und sonstige Bedürfnisse gehörig zu bestreiten, so solle ihnen aus dem Fabrik-Fond, und zwar jeglichem von ihnen beiden alle Monat und zu Anfang jeglichen Monats die Summe von 63 Franken und 84 Centimes (oder 20 Reichstaler und 50 Stüber clevisch) in gemein coursierendem Gelde so lange ausbezahlt werden, bis die Fabrik so viel Gewinst abwirft, um sich davon ernähren zu können …“ (2)
Die Formulierung zeigt an, dass es in dem von Franzosen besetzten Großherzogtum Berg kurz zuvor eine Währungsreform gegeben hatte. Der Bergische Reichstaler zu 60 Stüber war am 1. Januar 1810 vom dezimal geteilten Franken abgelöst worden. Bis zur Umstellung wurde das Porträt des von Napoleon eingesetzten Joachim Murat auf die immer noch als clevische Reichstaler bezeichneten Silbermünzen des Jahres 1806 gesetzt. Trotz jahrelangen Experimentierens gelang dem Firmengründer Friedrich Krupp allerdings kaum mehr als die Produktion einiger stählerner Feilen, Bajonette und Prägestöcke für Münzen. Völlig überschuldet, starb er am 8. Oktober 1826 mit 39 Jahren. Sein 14-jähriger Sohn Alfried trat das Erbe an.
Taler (Preußen, 1831, 750er Silber, 22,3 Gramm, 34 mm), Bildquelle: MA-Shops, Münzenhandlung Raffler.
Die mit der Industrialisierung einhergehende Nachfrage nach Stahl ermöglichte eine Sanierung des notleidenden Unternehmens. Hatte die Gussstahl-Fabrik im Jahre 1833 mit elf Arbeitern etwa 4,5 Tonnen Stahl hergestellt, waren 1835 bereits 67 Beschäftigte mit der Erzeugung von 25 Tonnen Stahl beschäftigt. In jenem Jahr konnte auch eine Dampfmaschine für 5.000 Taler angeschafft werden. Seit der Angliederung des Großherzogtums Berg an Preußen waren die dort geprägten Taler offizielles Zahlungsmittel. Krupp belieferte zunächst verschiedene Münzstätten mit Walzen und Prägestöcken, später kamen Besteckwalzen hinzu, mit deren Hilfe Löffel und Gabeln aus rohen Platten von Silber, Neusilber und anderen Metallen hergestellt werden konnten. Die Rolle als Zulieferer für den Eisenbahnbau brachte schließlich den Durchbruch:
„Vom Ende der vierziger bis zur Mitte der fünfziger Jahre stieg der Umsatz der Kruppschen Gussstahl-Fabrik von 40.000 auf 500.000 Taler, die Anzahl der Beschäftigten von rund hundert auf über tausend Mann. Auch die Werksanlagen dehnten sich gewaltig aus – auf mindestens das Achtfache ihres Umfangs vor 1848.“ (3)
Zu einem Konzern von europäischem Rang wurde Krupp aber erst mit seinen Kanonen. Im Deutsch-Französischen Krieg von 1870 waren die Kruppschen Gussstahl-Geschütze den französischen weit überlegen und trugen ganz erheblich zum triumphalen Sieg bei Sedan bei. Die Stahlgeschütze waren erheblich leichter zu bewegen als die bronzenen Vorderlader der Franzosen. Ihre Reichweite und Treffsicherheit waren enorm. Bald bestellten Armeen aus ganz Europa bei Krupp. Von 1868 bis 1873 verdoppelte sich die Belegschaft der Kruppschen Unternehmen auf 16.000 Beschäftigte. Der Jahresumsatz erreichte 47 Millionen Mark der neu eingeführten Goldwährung. Der Familiensitz Villa Hügel entstand. Als Firmenleiter Alfried im Jahre 1887 starb, war er der reichste Privatmann in Deutschland.
20 Mark (Preußen, 1871, 900er Gold, 8,0 Gramm, 22 mm), Bildquelle: Künker, Herbst-Auktionen 2017, Los 5796.
Nach dem beeindruckenden Aufstieg zur europäischen Kanonenschmiede konnte Nachfolger Friedrich, genannt Fritz, die Hände in den Schoß legen. Die Geschäfte wurden nun von einem Direktorium geführt. Fritz zog sich nach Capri zurück. Dort widmete er sich unter anderem dem männlichen Hauspersonal:
„Er war für seine Diener besorgt wie ein Vater und überwachte sie auch wie ein solcher. Oft schenkte er einem oder dem anderen ein Goldstück. (…) In seiner Westentasche trug er stets lose eine Anzahl Zwanzigmarkstücke, die er an die Hofbediensteten, die mit ihm zu tun hatten, verteilte. – Er vergaß nie, die servierenden Kellner ansehnlich zu beschenken, und die Küchenchefs, die Portiers, selbst der kleinste Page wurde mit einem Geschenk erfreut.“ (4)
Im Zusammenhang mit einem Skandal wegen homosexueller Übergriffe starb Fritz am 22. November 1902 unter nicht vollständig geklärten Umständen. Tochter Bertha Krupp und ihr Ehemann Gustav von Bohlen und Halbach führten das Unternehmen weiter. Der Erste Weltkrieg sorgte für einen ungeahnten Aufschwung. Der Reingewinn aus dem ersten großen „Stahlgewitter“ dürfte bei etwa 500 Millionen Mark gelegen haben. Eine Reporterin der Chicago Tribune berichtete, dass das Tischgedeck auf einem der großen Empfänge in der Nachkriegszeit aus purem Gold bestanden hätte. Auch während des Zweiten Weltkriegs lief die Produktion auf Hochtouren. Fast 250.000 Beschäftigte arbeiteten im Jahre 1943 im Konzern, darunter Zehntausende von Zwangsarbeitern. Trotz des wirtschaftlichen Einbruchs nach Kriegsende ging es Alfried, dem nunmehr vierten Mann an der Spitze des Firmenkonglomerats, nie wirklich schlecht:
„Anfang der sechziger Jahre wurde das Vermögen Alfrieds, das er selbst auch nicht genau hätte beziffern können, auf mehr als vier Milliarden Mark geschätzt.“ (5)
Trotz wiederkehrender Krisen blieb er einer der reichsten Männer der Welt.
Dietmar Kreutzer
Quellenangaben:
Bernt Engelmann: Krupp – Die Geschichte eines Hauses; München 1980, S. 21.
Ebenda, S. 43.
Ebenda, S. 141f.
Hofbiograph Meisbach; zitiert nach Engelmann, S. 298.
Ebenda, S. 475.
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