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Michael Kurt Sonntag

Terina und Nike auf Silbermünzen von Terina

Einer mythologischen Überlieferung nach wurde das an der Westküste von Bruttium gelegene Terina (s. Karte), in der Nähe des Begräbnisplatzes der Sirene Ligeia gegründet. Jener Sirene, die Selbstmord beging, nachdem Odysseus ihren betörenden Gesang gehört und überlebt hatte.

Karte Süditaliens. Quelle: Eva und Wolfgang Szaivert nach David R. Sear: Griechischer Münzkatalog. Bd. 1: Europa. München 1980, S. 94.


Das historische Terina, heute Nocera Terinese, wurde allerdings von Kroton Ende des 6. oder zu Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. gegründet. Über seine Geschichte ist wenig bekannt. Alles, was wir wissen, ist, dass die Stadt kurz nach 444/43 v. Chr. einen Krieg mit Thourioi führte, dessen Ausgang aber ungewiss ist. 356 v. Chr. eroberten dann die Brettier, ein oskisch-italisches Volk Terina. Alexander I., der König der Molosser, entriss den Brettiern während seiner Feldzüge in Unteritalien (334–331 v. Chr.) die Stadt jedoch. Vermutlich geriet Terina nach dem Tode Alexanders (331 v. Chr.) aber erneut unter die Kontrolle der Brettier. Um 272 v. Chr. wurde Terina ebenso wie die Brettier ein Verbündeter Roms. Stand die Stadt in der Anfangsphase des 2. Punischen Krieges (218–201 v. Chr.) noch uneingeschränkt an Roms Seite, so erklärte sie sich nach dem Sieg Hannibals in der Schlacht bei Cannae (216 v. Chr.) für Hannibal und seine Karthager. Ironie der Geschichte, Hannibal ließ Terina später niederbrennen, um die Stadt zum einen für ihre Untreue während der ersten Phase des 2. Punischen Krieges zu bestrafen und zum anderen um sie nicht den vorrückenden Römern als Beute zu überlassen. Von dieser Brandkatastrophe konnte sich Terina nie wieder wirklich erholen , wenngleich sie auch im 1. Jh. n. Chr. immer noch bewohnt war.

Abb. 1: Terina (Bruttium). Nomos/Tridrachmon im achaiischen Münzfuß (um 440–425 v. Chr.). Silber, 6,8 g, Ø [Höhe Vs.] 21 mm, Münzstätte Terina. Seltenheitsgrad: R2. Foto: Gorny & Mosch, Auktion 302 (4. März 2024), Los 54.


Der umfangreichen Münzprägung nach zu urteilen, erlebte die Stadt im 5. Jh. v. Chr. eine Blütezeit. Diese endete dann spätestens 356 v. Chr., als die bereits erwähnten Brettier die Stadt einnahmen und plünderten.

„Die Münzen von Terina sind ein Modell griechischer Münzprägung: Eine Stadt – nach den Schriftquellen ohne bedeutende Rolle in Wirtschaft und Geschichte – gibt fast ein Jahrhundert lang Münzen heraus, die sich an Erfindungsreichtum und künstlerischer Durchgestaltung mit den besten Geprägen der Zeit messen können.“ (1)

Geprägt wurden vor allem einfache Nomoi im achaiischen Standard (um 7,9 g/Nomos bzw. Tridrachmon) aber auch etliche Drachmen, Triobole, Diobole und Obole. All diese Silbermünzen, mit Ausnahme der Diobole und Obole, paarten einen weiblichen Kopf auf ihrem Avers mit einer stehenden oder sitzenden Nike auf ihrem Revers. Bei dem weiblichen Kopf dürfte es sich der Fachwelt zufolge um ein Abbild der in der Stadt hochverehrten Nymphe Terina handeln, wenngleich Numismatiker wie Oliver D. Hoover beispielsweise, einräumen, dass es sich dabei möglicherweise aber auch um Nike oder um die obskure Göttin Pandina handeln könnte.


Abb. 2: Terina (Bruttium). Nomos/Tridrachmon im achaiischen Münzfuß (um 440–425 v. Chr.). Silber, 7,80 g, Ø [Höhe Rs.] 21,5 mm, Münzstätte Terina. Seltenheitsgrad: R2. Foto: H. D. Rauch, Auktion 118 (25. Juni 2024), Los 108.


Der häufigste Münztypus zeigt vorderseitig den Kopf der Nymphe Terina und rückseitig die auf einer Hydria, einem Schemel oder einem Kippos sitzende geflügelte Nike. Allerdings wurden sowohl das Porträt der Nymphe als auch die sitzende Figur der Nike im Laufe der Zeit immer wieder leicht abgewandelt und durch diverse kleine Änderungen bereichert, so dass es heute zahlreiche Varianten dieser Nomoi gibt. (Abb. 1, 2, 3, 4)

Abb. 3: Terina (Bruttium). Nomos/Tridrachmon im achaiischen Münzfuß (um 425–420 v. Chr.). Silber, 7,39 g, Ø [Höhe Rs.] 20 mm, Münzstätte Terina. Seltenheitsgrad: R2. Foto: Gerhard Hirsch Nachf., Auktion 348 (8. Mai 2019), Los 137.


Betrachtet man beispielsweise die Abb. 1–4 noch einmal etwas genauer, so fällt auf, dass der Kopf der Nymphe Terina nicht nur unterschiedlich frisiert ist, sondern auch in unterschiedliche Richtungen gewandt ist und dass er in den ersten drei Abb. von einem Lorbeerkranz und in der vierten Abb. von der Legende "ΤΕΡΙΝΑΙOΝ" ([Münze] der Terinaier) umgeben ist. Aber auch die Gestalt der jungen, ganzfigurigen Nike weicht immer wieder leicht ab, zudem sitzt sie zunächst auf einer Hydria, dann auf einem Schemel, dann erneut auf einer Hydria und schließlich auf einem Kippos.


Abb. 4: Terina (Bruttium). Nomos/Tridrachmon im achaiischen Münzfuß (um 420–330 v. Chr.). Silber, 7,81 g, Ø [Höhe Vs.] 21 mm, Münzstätte Terina. Seltenheitsgrad: R2. Foto: Leu Numismatik AG, Auktion 6 (23. Oktober 2020), Los 50.


Ein künstlerisch-stilistisch überragender Nomos zeigt auf seiner Vorderseite das anmutige hochklassische Porträt der jungen Nymphe Terina mit dreifachem Ohrgehänge und Perlenhalskette nach rechts gewandt und nennt die Aufschrift "ΤΕΡΙΝΑΙΩΝ". Auf der Rückseite sehen wir eine junge, fein durchmodellierte Nike mit Chiton und Himation bekleidet auf einem über Eck gestellten Kippos sitzend mit einem kleinen Vogel auf ihrer Rechten. (Abb. 5)


Abb. 5: Terina (Bruttium). Nomos/Tridrachmon im achaiischen Münzfuß (um 400–356 v. Chr.). Silber, 7,24 g, Ø [Höhe, Vs.] 20 mm, Münzstätte Terina. Seltenheitsgrad: R2. Foto: Roma Numismatics Ltd, Auktion XX (29. Oktober 2020), Los 38.


Nach 300 v. Chr. wurde die Prägung der silbernen Nomoi jedoch eingestellt. Die Emission der Silberdrachmen aber noch bis 289 v. Chr. weitergeführt. Eine Goldmünzenemission gab es in Terina nicht. Arthur Houghton stuft all die hier abgebildeten Nomoi mit R2 ein. (R2 = 2–25 Exemplare bekannt)


Michael Kurt Sonntag


Quellenangaben:

  1. Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig [Hrsg.]: Herbert A. Cahn et al: Griechische Münzen aus Großgriechenland und Sizilien, S. 70.

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