Nun hatte die in Arkadien, auf dem Peloponnesos, gelegene antike Stadt Pheneos bereits um 490/480–480/470 v. Chr. motivgleiche halbe und 1/24 Silber-Statere verausgabt, doch waren diese allein Hermes gewidmet, zumal sie auf ihren Vorderseiten den bärtigen Kopf des Hermes mit Petasos (mit breitkrämpigem, flachem Filzhut) und auf ihren Rückseiten einen Widderkopf zeigten. Zudem waren diese frühen Silbermünzen im milesischen Standard (Stater = 14,1 g) geprägt worden. Um 450 v. Chr. ging Pheneos zum aiginäischen Standard (Stater = 12,2 g) über und emittierte silberne Obole und Diobole, die ab 400 v. Chr. von silbernen Triobolen (Hemidrachmen) und ab 360 v. Chr. von silbernen Drachmen ergänzt wurden. Aber auch diese Münzen nahmen alle nur Bezug auf Hermes oder Hermes und Demeter. Erst mit der Emission ganzer Silberstatere, ebenfalls ab 360 v. Chr., huldigte Pheneos dann auch dem Arkas-Knaben.
Diese Statere, die auf ihren Vorderseiten den nach rechts gewandten Kopf der Demeter mit Ährenkranz, imposantem Ohrgehänge und Perlenkette abbilden, zeigen auf ihren Rückseiten den nach links eilenden nackten Hermes mit Kerykeion (Heroldsstab) in seiner Rechten, Petasos auf dem Haupt und kurzer Chlamys (Schultermantel) um die Schultern gelegt und mit dem Arkas-Knaben auf seinem linken Arm. (Abb. 1.1 und 1.2)
Dass Hermes, der Sohn des Zeus und der Nymphe Maia, ein Gott der Herme (des menschenähnlichen Grenzsteins), der Hirten, der Reisenden, der Kaufleute und Händler und darüber hinaus Götterbote, wegkundiger Führer und Geleiter der Seelen in den Hades war, dürfte hinlänglich bekannt sein.
Um allerdings zu verstehen, wer Arkas war, müssen wir die antike Mythologie etwas bemühen. Tun wir das, so stellen wir fest, dass auch er genauso wie Hermes und Apollon ein Sprössling des Zeus war. Seine Mutter hieß jedoch nicht Leto oder Maia, sondern Kallisto. Von Ovid erfahren wir, dass die Nymphe Kallisto dem Gefolge der Jagdgöttin Diana (Artemis) angehörte und von dieser ganz besonders hochgeschätzt wurde. Als Jupiter (Zeus) die schöne Nymphe eines Tages auf einer Waldlichtung im Mainalos-Gebirge erblickte, war er nicht nur überwältigt von ihrer Schönheit, sondern nahm umgehend die Gestalt der Diana an, näherte sich der Nymphe und küsste sie. Nachdem Kallisto jedoch erkannte, dass er nicht Diana war, wehrte sie sich heftig gegen seine unkeuschen Begierden, aber Jupiter obsiegte und nahm sie mit Gewalt.
Monate später, an einem heißen Tag und von der Jagd ermattet, forderte Diana ihre Begleiterinnen dazu auf, sich etwas Abkühlung in einem nahen Bach zu verschaffen und hüllenlos darin zu baden. Da Kallisto jedoch zögerte, sich ihres Gewandes zu entledigen, zogen ihr die Nymphen kurzerhand das Kleid aus und ihre Schwangerschaft wurde offenbar. Die jungfräuliche Diana, die auch von ihren Gefährtinnen Keuschheit erwartete, war zutiefst geschockt und verwies Kallisto aus ihrem Gefolge. Kurze Zeit später gebar Kallisto den Arkas. Doch zur Ruhe kommen, sollte sie nicht, denn Juno (Hera), die eifersüchtige Gattin des Zeus, der nichts verborgen geblieben war, schäumte vor Wut, sann auf Rache und beschloss, Kallisto die Schönheit für immer zu nehmen und verwandelte sie umgehend in eine Bärin. Bald darauf tötete die Jagdgöttin Diana die Bärin Kallisto unbeabsichtigt, da sie von deren Verwandlung nichts mitbekommen hatte. Daraufhin verstirnte Zeus die Kallisto und beauftragte seinen Herold Hermes damit, den Arkas-Knaben zu seiner Mutter Maia zu bringen. Diese zog ihn auf und aus Arkas wurde schließlich der eponyme (namengebende) Stammvater und erste König der Arkader. Schlussendlich wurde jedoch auch er von Zeus verstirnt.
Könnte der Knabe, den Hermes auf der Münze auf dem Arm trägt, aber nicht ebensogut Dionysos sein? Schließlich brachte Hermes das Dionysos-Knäblein zu Aristaios oder den Nymphen, wie die Mythologie erwähnt. Die Antwortet lautet eindeutig nein, zumal es Rückseiten dieses Münztyps gibt, bei dem hinter dem Arkas-Knaben die Aufschrift ARKAS steht und die Münzlegende PHENEON dementsprechend tiefer verläuft (siehe Abb. 1.2).
Mit diesem Rückseitenthema, so die Numismatikerin Sabine Schultz, habe Pheneos das politische Bewusstsein aller arkadischen Städte angesprochen, da Arkas als einer der frühesten griechischen Könige den Grundstein für den Wohlstand Arkadiens gelegt habe und seine Söhne bedeutende Städtegründer auf dem Peloponnesos gewesen seien. Das Bildmotiv von Hermes mit dem Arkas-Knaben auf dem Arm dürfte sich folglich sowohl lokaler als auch arkadienweiter Wertschätzung erfreut haben.
Vergleicht man die Rückseiten aus Abb. 1.1 und Abb. 1.2 miteinander, so fällt auf, dass nicht bloß die Legendenplatzierung unterschiedlich ist, sondern auch die Gestaltung des Hermes und des Arkas-Knaben voneinander abweichen. So ist der Oberkörper des Hermes in Abb. 1.2 deutlich frontaler ausgerichtet und sein Kerykeion mehr nach rechts geneigt, der Petasos ist etwas weniger flach, die gesamte Chlamys geht nur noch über die Schulter und den Arm, in dem Hermes den Arkas-Knaben hält und fällt im Münzfeld links und in der Mitte nicht länger in sichtbaren Falten herab. Der Gott erscheint somit insgesamt schwungvoller und bewegter als in Abb. 1.1. Das Arkas-Knäblein wiederum lässt seinen Oberkörper in Abb. 1.2 weiter nach hinten fallen und streckt sein rechtes Ärmchen bis an die Krempe des Petasos von Hermes aus und weicht so in seiner Gestaltung ebenfalls deutlich von Abb. 1.1 ab.
Die Frage, die es in diesem Zusammenhang noch zu beantworten gilt, lautet: Folgten die Stempelschneider der Hermes-Arkas-Rückseite vielleicht einem Statuenvorbild ihrer Epoche oder war ihr Entwurf zu diesem Bildmotiv eine komplett eigenständige Schöpfung? Während ein Teil der numismatischen Fachwelt, wie z. B. J. N. Svoronos eine Statue des Phidias als Vorbild nicht ausschloss (1912), lehnt ein anderer Teil ein solches Vorbild ab, zumal keine Statue auf uns gekommen sei, in der Hermes und Arkas tatsächlich vereint auftauchen. Ein dritter Teil wiederum, wie K. Schefold beispielsweise, schließt ein Gemälde als mögliche Bildvorlage nicht aus (1981). Und Kurt Lange schrieb 1946: „Der Stil verrät, dass der Künstler unter dem Einfluss der Schule des [Bildhauers] Praxiteles stand.“ (Kurt Lange, Götter Griechenlands, Berlin 1946, S. 129, zu Münze Nr. 39). Nun, von Praxiteles stammt tatsächlich eine Statue des Hermes mit einem kleinen Knaben auf dem Arm, allerdings handelt es sich bei dem Knäblein um Dionysos und nicht um Arkas. Auch ist die Komposition der Praxiteles-Statue eine völlig andere als die auf der Münzrückseite (Abb. 2).
Bei Sabine Schultz heißt es diesbezüglich: „Bei Pausanias oder anderswo wird keine Beschreibung eines Standbilds gegeben, mit dem unsere Darstellung zu verbinden wäre. Überhaupt sollte man nicht so sehr an die Kopie eines lokalen Kunstwerks denken, auch dann nicht, wenn es sich bei dem Münztyp um eine einmalige Version handelt. Es ist eher von einem seit phidiascher Zeit verbreiteten Prototyp auszugehen, der im Relief wie in der Vasenmalerei deutlich in Erscheinung tritt und auch die Münzgraveure beeinflusst haben dürfte. Eine Entscheidung in der Frage des Vorbilds kann nicht getroffen werden.“ (Sabine Schultz, Die Staterprägung von Pheneos, in: Schweizerische Numismatische Rundschau, Bern 1992, Bd. 71, S. 65). Mit anderen Worten, dass sich die Stempelschneider ihre Inspiration für die Münzrückseite aus anderen Kunstquellen geholt haben könnten, kann nicht ausgeschlossen werden, lässt sich aber konkret nicht nachweisen.
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