Wer glaubt, der 30jährige Krieg von 1618-1648 sei eine deutsche Angelegenheit gewesen, der irrt. Deutschland war nur das Schlachtfeld, auf dem die Herrscher von Spanien, Frankreich, Dänemark und Schweden ihre Ambitionen auslebten. Eine internationale Front bildete der Rhein. Hier standen die Protestanten und das katholische Frankreich auf der einen, die Katholiken um den habsburgischen Kaiser und die Spanier auf der anderen Seite. Es ging um die Niederlande. Wer den Rhein beherrschte, konnte die Nachschublinie der Spanier zwischen Oberitalien und den Niederlanden nutzen oder sperren.
Die Gesandten der deutschen Staaten waren bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden (1648) eher geduldete Zaungäste. Die grundlegenden Entscheidungen wurden von den französischen, schwedischen, spanischen, niederländischen und kaiserlichen Gesandten getroffen. Und sie waren es, die entschieden, dass Deutschland nach 30 Jahren endlich eine Aussicht auf Frieden hatte, und dass damit auch der 80jährige Krieg, den die Niederlande gegen Spanien führten, zu Ende war.
Die Interessen Wilhelms II. von Oranien
Einer war über den Frieden gar nicht glücklich: Der junge und dynamische Statthalter der Niederlande, Wilhelm II. von Oranien. Doch als er am 14. März des Jahres 1647 im Alter von 21 Jahren die Regentschaft von seinem Vater übernahm, konnte er trotz all seiner Bemühungen nichts mehr machen. Die Niederlande unterzeichneten den Westfälischen Frieden. Das war für ihn ärgerlich. Schließlich war er mit einer Stuart verheiratet, deren Bruder der englische König gewesen wäre, hätte Cromwell nicht Charles I. hinrichten lassen. Wilhelm brauchte Soldaten, um seine dynastischen Interessen gegen Cromwell und die Spanier durchzusetzen – und nun wollten die Generalstaaten wegen des Friedensvertrages das von ihm geführte Heer verkleinern und ihre Steuerzahlungen reduzieren. Wilhelm II. weigerte sich, das zu akzeptieren und ging mit Gewalt gegen die Stadt Amsterdam vor, wo seine lautesten Gegner saßen. Er ließ sie inhaftieren und befahl einen Angriff auf die Stadt. Obwohl der scheiterte, lenkten die Stadtväter ein: Sie finanzierten lieber Wilhelms Heer, als dass sie sich auf eine noch teurere, dem Handel abträgliche Auseinandersetzung mit ihm eingelassen hätten. So wäre wohl der 80jährige Krieg gegen Spanien in eine neue Runde gegangen, hätte sich Wilhelm II. nicht mit den Pocken infiziert. Er starb am 6. November 1650.
Sebastian Dadlers Medaille auf den Tod Wilhelms II.
Wir wissen nicht, wer dem damals in Hamburg lebenden Medailleur Sebastian Dadler den Auftrag zu einer Medaille gab, die den Tod Wilhelms II. als das glückliche Eingreifen einer göttlichen Macht interpretierte. Was wir wissen, ist, dass es in Hamburg eine große niederländische Gemeinde gab, und dass enge Handelsverbindungen nach Amsterdam existierten. Die Hamburger Kaufleute werden genau wie ihre Amsterdamer Kollegen den Frieden als Grundlage ihrer Geschäfte geschätzt, und so gerne eine Medaille erworben haben, die ihre Sicht der Dinge schilderte.
Um den Tod Wilhelms II. auf seiner Medaille zu kommentieren, griff Dadler auf bekannte Mythen der Antike zurück. So spielt die Vorderseite auf das Trojanische Pferd an, das in seinem Bauch das Verderben nach Ilion trug. Wir sehen auf der Vorderseite ein großes Pferd vor der Ansicht der Stadt Amsterdam. Sein Rücken ist mit einer prächtigen Satteldecke geschmückt. Sie zeigt einen gesiegelten Vertrag mit der Aufschrift UNIO (= Union) und RELIGIO (= Konfession / Glaube). Die Satteldecke steht für die offizielle Propaganda Wilhelms II. Er berief sich auf sein Amt als Generalstatthalter der Union der niederländischen Provinzen und die calvinistische Religion, die überall geschützt werden müsse.
Was Dadler und seine Kunden davon hielten, drückt das Wort SIMULANT aus – lat. für sie täuschen, geben vor. Diese Aussage wird illustriert durch die unter der Satteldecke versteckten Soldaten. Die Umschrift kommentiert mit einer Zeile aus Vergil: An der einen Schandtat erkenne sie alle. Gemeint ist damit die Verhaftung feindlicher Amsterdamer Politiker durch Wilhelm II. und sein Angriff auf Amsterdam – beides geschehen am 30. Juli 1650, dem Tag, der in der Umschrift genannt ist. Mit anderen Worten, man möge doch nicht auf die Propaganda Wilhelms II. achten, sondern auf seine Taten.
Die ebenfalls aus der Aeneis stammende Inschrift im Abschnitt – Verwarf er doch nur den Krieg – vergleicht das „Verbrechen“ der Stadt Amsterdam mit dem des Palamedes, der versuchte, die Griechen davon zu überzeugen, den Trojanischen Krieg abzubrechen. Er wurde umgebracht und büßte seinen Friedenswillen mit dem Tod.
Die Rückseite stellt den Trauerzug dar, der anlässlich der Totenfeier für Wilhelm II. durchgeführt wurde. Höflinge mit langen Mänteln und Hüten begleiten vor der Kulisse von Den Haag den von acht Pferden gezogenen Katafalk des verstorbenen Statthalters.
Doch dieser Trauerzug wird geradezu in die Ecke gedrängt durch Dadlers Kommentar des Geschehens. Der stammt wieder aus der griechischen Mythologie: Er assoziiert den jungen Wilhelm II. mit Phaeton, der seinen Vater bat, ihn den Sonnenwagen lenken zu lassen. Apollon gewährte ihm den Wunsch, doch der übermütige Lenker war mit seiner Aufgabe überfordert. Er kam der Erde zu nahe und entfachte ein großes Feuer. Um die Welt zu retten, blieb Zeus nichts anderes übrig, als Phaeton durch seinen Blitz (oder die Pocken) zu töten.
„Er ist bei großem Wagnis gefallen“, lautet die Umschrift der Rückseite. Sie zitiert eine Zeile des Epigramms, das auf dem Grabmal Phaetons gestanden haben soll. Das damit verbundene Datum – der 6. November 1650 – war der Todestag von Wilhelm II.
Gleich zweimal signierte Sebastian Dadler dieses Werk.
Fachleute in Sachen PR
Wer heute die einschlägigen Lexika konsultiert, wird feststellen, dass der junge Wilhelm II. immer noch den Ruf genießt, ein unerfahrener Heißsporn gewesen zu sein, der aus eigensüchtigen Motiven den 80jährigen Krieg fortführen wollte. Wir haben diese Lexika für die historische Einleitung benutzt. Das Problem daran ist, dass wir nichts anderes tun, als die hervorragende Propaganda der Bewohner von Amsterdam zu übernehmen, die ihre Sicht der Dinge mit Druckschriften, Kupferstichen, Gemälden und Medaillen so effektiv verbreiteten. Auch Sebastian Dadler strickte mit seiner Medaille weiter am Mythos von den friedlichen und freiheitsliebenden Niederländern. Er tut dies mit so großem künstlerischen Talent, dass wir schon wegen der Schönheit dieses Stücks geneigt sind, die Amsterdamer Sicht der Dinge zu übernehmen. Doch die Gegenwart lehrt uns, dass keine Seite nur Recht, keine Seite nur Unrecht hat – und so könnte es auch im 17. Jahrhundert gewesen sein. Wilhelm II. wurde einfach nicht alt genug, um seine Position nachhaltig zu propagieren.
Diese Medaille wird versteigert in der Künker Jubiläumsauktion 350 vom 29. Juni bis zum 1. Juli 2021. Alle Münzen der Auktion finden Sie unter www.kuenker.de
Wenn Sie das Thema interessiert, empfehlen wir Ihnen die Detailstudien, die Hermann Maué in seinem Standardwerk den Medaillen von Sebastian Dadler widmet. Das 2008 vom Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg publizierte Buch „Sebastian Dadler 1586-1657 / Medaillen im Dreißigjährigen Krieg“ ist immer wieder die Lektüre wert. #DreißigjährigerKrieg #WilhelmIIVonOranien #Medaille #SebastianDadler #Europa #Protestanten #Katholiken #Kaiser #80JährigerKrieg #Niederlande #Spanien #MariaStuart #Amsterdam #Tot #Sterbemedaille #TrojanischesPferd #Aeneis #Vergil #Phaeton #Künker #UrsulaKampmann
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