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Pfeifenwillis und französische Vampire - Spottmünzen im 19. und 20. Jahrhundert

„O Tannebaum, o Tannebaum, / Der Wilhelm hat in Sack gehaun. / Er kauft sich einen Henkelmann / Und fängt bei Krupp als Dreher an“,


lautete ein Spottgedicht, das nach dem Ende der Monarchie im Deutschen Reich kursierte. Da keiner für den Spott sorgen muss, der den Schaden hat, wurden auf Postkarten nach dem traurigen Abgang des deutschen Kaisers und Königs von Preußen nicht nur derbe Karikaturen mit solchen Sprüchen in Umlauf gesetzt, sondern auch satirische Medaillen geprägt oder gegossen. Sie zeigen, wie „Wilhelm der Letzte“ von der Fahne geht, sich in Richtung Niederlande aus dem Staub macht und bei seinen ehemaligen Untertanen Trauer, Chaos und Wut hinterlässt.

Wann aus diesen Silbermünzen von 1906 und 1909 gegen Wilhelm II. gerichtete Spottmünze wurden, kann nicht gesagt werden, vermutlich geschah das nach der Entmachtung des deutschen Kaisers und Königs von Preußen in der Novemberrevolution 1918. Durch Zylinderhut und Tabakspfeife verlor der Herrscher sein Gottesgnadentum und wurde zu einer ganz gewöhnlichen Zivilperson herabgestuft.


Mit „Henkelmann“ war ein Behälter aus Blech gemeint, in dem Arbeiter ihr zu Hause zubereitetes Essen zu ihrem Arbeitsplatz brachten und daraus aßen. Indem der zum Gartenzwerg degradierte Kaiser, der sich eigentlich als das von Gott, und nur von ihm, an die Spitze seines Reichs gestelltes Oberhaupt verstand, mit einem schnöden Blechgeschirr in Verbindung gebracht wurde, bedeutete für ihn eine besondere Schmach. Ob der Ex-Monarch je ein solches Stück in der Hand hatte, ist nicht bekannt.

Ab und zu tauchen im Münzhandel - hier bei Künker in Osnabrück -  umgravierte Spottmünzen auf. Dieses Zweieinhalb-Silbergroschen-Stück von 1867 macht sich über König Wilhelm I. von Preußen lustig, der am 18. Januar 1871 in Versailles zum deutschen Kaiser ausgerufen wurde.


In den dramatischen Novembertagen 1918, als die Niederlage des Deutschen Reichs und seiner Verbündeten im Ersten Weltkrieg nicht mehr abzuwenden war, wurde in der Umgebung des kaiserlichen Oberbefehlshabers über dessen weiteres Schicksal diskutiert. Außerhalb jeder Realität war die Vorstellung, Wilhelm II. könnte an der Spitze seiner Truppen nach Berlin reiten und im revolutionären Hexenkessel wieder „Ruhe und Ordnung“ herstellen. Ebenso abwegig war die Idee, er sollte auf dem Schlachtfeld den Heldentod suchen und damit die Monarchie und seine eigene Ehre retten, was immer man darunter verstand. So blieb für Wilhelm II. nur noch die Flucht ins Exil, die ihm von seinen engsten militärischen und politischen Beratern nahegelegt wurde und am 10. November 1918 durch Übertritt in die Niederlande und Aufnahme durch Königin Wilhelmina vollzogen wurde. Einen Tag zuvor hatte Prinz Max von Baden, der letzte noch vom Kaiser ernannte und mit ihm verwandte Reichskanzler, erklärt, dieser habe dem Thron entsagt, und auch der Kronprinz habe seinen Verzicht erklärt. Es werde Aufgabe einer verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung sein,

„die künftige Staatsform des deutschen Volkes, einschließlich der Volksteile, die ihren Eintritt in die Reichsgrenzen wünschen sollten, endgültig festzustellen“,

stellte Prinz Max fest. Nach der Entthronung wurde in Berlin am 9. November 1918 die Republik ausgerufen.

Wilhelm II. macht sich, auf einem Steckenpferd reitend, nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg aus dem Staub. Sein Versprechen aus besseren Tagen „Ich führe euch herrlichen Zeiten entgegen“ wird auf der Medaille von Karl Goetz ironisch zitiert.


Wilhelm II. beschrieb sich in seinem Rechtfertigungsbuch „Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878 bis 1918“ (K. F. Koehler Leipzig und Berlin 1922) als Opfer einer perfiden Verschwörung und von Verrat und Treulosigkeit. Er habe seinem Volk einen Bürgerkrieg ersparen wollen. Er habe, um Blutvergießen zu verhindern, der Kaiserwürde entsagt, nicht aber als König von Preußen abdanken sondern als solcher bei der Truppe bleiben wollen. Dem Reichskanzler Max von Baden sei gesagt worden, sein Entschluss sollte reiflich erwogen und behutsam formuliert werden. Er habe aber die Person des Kaisers preisgegeben und die Abdankung „über seinen Kopf“ per Funkspruch verkündet.


Die französische Karikatur führt die Kriegsopfer dem aus dem Schlaf aufgeschreckten Kaiser vor. Wenigstens blieb ihm das Schicksal seines Verwandten, des von den Bolschewiki ermordeten Zaren Nikolaus II. und seiner Familie erspart.


Während sich der Ex-Kaiser, der traditionell auch den Titel eines Prinzen von Oranien trug, in Schloss (Huis) Doorn bei Utrecht unter dem Schutz der Königin wohnlich einrichtete und um sich einen kleinen Hofstaat scharte und auch die anderen ehemaligen Bundesfürsten sich sehr komfortabel auf ihr Altenteil zurückzogen, haben seine ehemaligen Untertanen auf verschiedene Weise ihre Enttäuschung über den seit 1888 regierenden Monarchen zum Ausdruck gebracht. Hatte er doch in besseren Zeiten versprochen, er wolle sie „herrlichen Zeiten“ entgegenführen und Deutschland einen „Platz an der Sonne" verschaffen. Aus dieser Zeit mögen jene Silbermünzen stammen, die Wilhelm II. mit aufgelötetem Zylinderhut und eingravierter Pfeife im Mund verspotten.


Dazu sei ein kurzer Blick in die Geschichte erlaubt. Seit es Münzen gibt, hat man sie verändert. Die Gepräge wurden durchlöchert und erhielten angelötete Henkel, um sie als Halsschmuck oder aufgenäht an der Kleidung zu tragen. Münzen wurden zu Ringen oder Broschen sowie als Schmuck von Gefäßen verarbeitet, und man hat aus ihnen dann und wann auch Spottmünzen gemacht. Das geschah zum Teil recht geschickt durch Umgravur des Münzbildes oder durch Auflöten von neuen Details. Wir kennen das Verfahren bei umgearbeiteten oder mit neuen Stempeln geprägten Kupfermünzen, die den im September 1870 im Ergebnis des deutsch-französischen Krieges seiner Krone verlustig gegangenen Kaiser Napoleon III. als „Vampir français“ und Gefangenen der Deutschen verspotten.


Die Entmachtung von Napoleon III. wurde auf umgravierten Silber- und Kupfermünzen karikiert. Die Version aus Kupfer erinnert an die verlorene Entscheidungsschlacht von Sedan am 2. September 1870, bei der der Kaiser und 80 000 Franzosen gefangen genommen wurden.


Obwohl sich einige Mitglieder der Familie Hohenzollern und anderer Dynastien während der Weimarer Republik mit den zur Macht drängenden Nazis gemein machten, sei es aus Überzeugung oder um mit ihrer Hilfe die Monarchie wieder einzuführen, wusste Hitler sie sich vom Leib zu halten. Abgabe von Macht und Einfluss an dieses „Prinzengeschmeiss“ kam für ihn nicht infrage. Nach der sogenannten Machtergreifung am 30. Januar 1933 hatte der Ex-Kaiser einem monarchistischen Verband geschrieben, er sei überzeugt, dass jeder Angehörige dieser Vereinigung alles daran setzen wird,

„sein Treuebekenntnis zur Monarchie durch mannhafte Tat zu bekräftigen. Nur unter seinem Kaiser und den deutschen Bundesfürsten kann das Reich auf die Dauer gefestigt werden und zu seiner alten Macht und Herrlichkeit gelangen! Darum vorwärts mit Gott, für König und Vaterland, für Kaiser und Reich. gez. Wilhelm, I. R.“.

Diese Worte wurde als maßlos überheblich und bar jeder Realität zurückgewiesen.

Durch Umgravur wurde Kurfürst Friedrich Wilhelm von Hessen auf dem Doppeltaler von 1855 in einen „Lieder“-Jan, Teufel und ein beißendes Monster verwandelt. Die Jahreszahl 1831 am Halsband bezieht sich auf die damals erlassene Verfassung, die bürgerliche Grundrechte wie die Gleichheit vor dem Gesetz, Religionsfreiheit, Freiheit der Person, das Briefgeheimnis, das Petitionsrecht usw. festschrieb. Bis zur Revolution von 1848 standen dies Errungenschaften nur auf dem Papier.


Als der stets mit I. R., also Imperator Rex, zeichnend Exkaiser 82-jährig am 4. Juni 1941 in Doorn starb, schickte Hitler einen Kranz. Das Wilhelm II. ihm 1940 gönnerhaft für den „von Gott geschenkten gewaltigen Sieg“ der deutschen Wehrmacht über Frankreich gratuliert hatte und dabei an die militärischen Erfolge Kaiser Wilhelms I. und Friedrichs des Großen erinnerte, hatte nach 1945 unangenehme Folgen für die Hohenzollern. Denn die Niederländer beschuldigten den toten Monarchen der Kollaboration mit Nazideutschland und konfiszierten seinen Besitz als „Feindvermögen“. Deshalb wurden die nach 1918 mit der Eisenbahn abtransportierten rund 15.000 Kunst- und Alltagsgegenstände aus den kaiserlichen Schlössern in Berlin und Potsdam niederländisches Staatseigentum und können in der Stiftung Haus Doorn besichtigt werden.


Helmut Capsar


Fotos/Repros: Caspar

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