Als Marokko im Jahr 1956 seine Unabhängigkeit von den Franzosen erhielt, steigerte sich das Land in einen Freudentaumel. Alle Leute in der Stadt waren fröhlich, überall in den Straßen. Sie sollten ihre Freiheit bekommen. Ein Mann sagte: „Die Nasrani gehen fort. Ich werde ein großes Haus auf dem Boulevard haben, und das wird mir allein gehören. Mir!“ Ein anderer sagte: „Ich werde Kommissar werden!“ Und sie erzählten einander alle, dass sie reich sein würden und niemand müsse je wieder auf der Straße um Almosen bitten. Sie redeten alle. Aber keiner von ihnen konnte lesen oder schreiben. (Driss ben Hamed Charhadi, Ein Leben voller Fallgruben, Frankfurt/Main 1992, S. 147).
Der junge Mann, der dies einem Amerikaner erzählt, war einst selbst ein Analphabet, der von Almosen lebte. In Tanger geboren, jagte ihn der Stiefvater schon als Kind auf die Straße. In einer Backstube fand er Arbeit. Doch der Inhaber Si Larbi betrog ihn. Seinem Freund Gordo ging es nicht anders. „Weißt du“, sagte er, „ich habe Si Larbi jeden Tag ein paar Pesetas gegeben, weil er mir gesagt hat, er wolle mir eine Hose für das Id el-Kbir kaufen. Und jetzt hat er zwanzig Rial von mir, und er sagt, ich hätte ihm nie Geld gegeben.“ Dann kam Hamadi, ein anderer Terrah, aus der Backstube heraus. Er hatte sechs oder sieben Jahre dort gearbeitet. „Siehst du diesen kaputten Zahn?“ fragte er mich. Ich sagte: „Ja.“ – „Ich hatte eine Schlägerei“, sagte er. Und als Si Larbi den Zahn sah, sagte er zu mir: „Gib mir jeden Tag ein wenig Geld. Ich werde es für dich aufbewahren, und wenn es genug ist, lasse ich dir einen Goldzahn machen. Du brauchst dazu hundert Rial. Hundert spanische Rial für einen Goldzahn! Als ich ihm aber die hundert Rial gegeben hatte, sagte ich zu ihm: „Si Larbi, willst du mir den Zahn nun machen lassen?“ Und er sagte: „Ich habe kein Geld, das ich für Zähne für dich ausgeben kann.“ (Ebenda, S. 87). Bei der Lektüre solcher Geschichten von Diebstahl, Korruption und Betrug im Marokko des 20. Jahrhunderts stellt sich die Frage nach dem Währungssystem des Landes.
Im Jahr 1882 wurden in dem Sultanat an der nordafrikanischen Küste eine neue Währung und eine moderne Münzprägung eingeführt. Grundlage war das Rial zu zehn Dirham und 500 Mazunas. Neue Münzen aus Silber von einem Rial bis zu einem halben Dirhamsind daraufhin ausgegeben worden. Auch Scheidemünzen von zehn Mazunas bis zu einem halben Mazuna aus Bronze kamen heraus. Während dieser Zeit lieferten sich Frankreich und Spanien eine Auseinandersetzung um die Vormachtstellung im Lande. Die Franzosen setzten sich durch.
Im Jahre 1912 wurde der wichtigste Teil des Landes zum französischen Protektorat. Spanien erhielt lediglich das Rifgebiet im Nordosten. In Tanger und seiner Umgebung ist eine entmilitarisierte internationale Zone eingerichtet worden. Im Jahr 1920 kam es in der französischen Zone zu einer Währungsreform, in deren Verlauf der marokkanische Franc zu 100 Centimes eingeführt wurde. Sein Wert entsprach dem des französischen Franc. In der spanischen Zone kursierte die Peseta. Als Recheneinheit wurde der marokkanische Rial beibehalten. Ein Rial entsprach zunächst fünf Francs beziehungsweise fünf Peseten.
In den Jahren 1956 und 1957 erlangte Marokko seine Unabhängigkeit als Königreich unter Mohammed V. (1909-1961). Die Währungseinheit Franc ist zunächst beibehalten worden. Auch die spanischen Peseten kursierten weiter. Im Oktober 1959 kam es zu einer Reform. Der marokkanische Dirham zu 100 Santim wurde zur neuen Währungseinheit. Ein Dirham entsprach 100 marokkanischen Francs. Die Bedeutung des Franc blieb für einige Zeit nach der Unabhängigkeit erhalten. Aus diesem Grund verwundert es nicht, dass Verhandlungen oft weiter über Summen der französischen Währungseinheit geführt wurden. In dem einleitend vorgestellten Buch soll ein Maler das Café eines Wirtes namens Mustafa am Strand von Tanger streichen. Mustafa sagte: „Ich gebe dir dreißigtausend Francs.“ – „Vierzigtausend“, sagte Znagui. Nein, ich kann nicht mehr als dreißig zahlen.“ – „Gut. Aber gib mir jetzt die Hälfte und die andere Hälfte, wenn ich fertig bin.“ – „Nein. Ich gebe dir jetzt zehn und zwanzig, wenn du fertig bist.“ (Ebenda, S. 244).
Der Maler Znagui nahm das Geld, fuhr in die Stadt und betrank sich. Als die Arbeiten beginnen sollten, hatte er kein Arbeitsmaterial dabei, noch nicht einmal Farbe: „Du musst mir noch einmal zehntausend Francs geben. Ich habe kein Geld.“ Mustafa schrie: „Ich schwöre, du wirst keinen Gersch mehr bekommen! Und wenn du das Café nicht streichst, werde ich dich hinauf zur Comisaria bringen und deine Familie wird auf der Straße sitzen.“ (Ebenda, S. 247) Der Begriff des Gersch (auch: Kurush oder Quirsh) kommt aus der Zeit der osmanischen Vorherrschaft in Nordafrika. Ursprünglich bezeichnete er einen Piaster im Wert von 40 Para. Infolge der permanenten Geldentwertung wurde er im Marokko des 20. Jahrhunderts aber als Synonym für die kleinste noch im Zahlungsverkehr befindliche Münze verwendet – eine viertel Peseta.
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