Von der Entdeckung der märchenhaften Silbervorkommen im Bergland von Peru gibt es mehrere Legenden. Die am häufigsten verbreitete geht auf Huallpa zurück, einen Lama-Hirten vom Stamm der Quetschua: „An einem Januartag des Jahres 1545 treibt Huallpa seine Herde auf die Bergweiden des Cerro de Potosi. Als der Abend naht, sammelt er Holz und sucht nach einer für die Übernachtung geeigneten Berghöhle. Die Nacht ist kühl in den oberen Bergregionen. Huallpa zündet am Eingang der Höhle das Feuer an und legt sich schlafen. Fröstelnd erhebt sich der junge Mann am nächsten Morgen von seinem Lager, das Feuer ist erloschen. Doch zwischen dem Ruß, den die Flammen an der Felswand hinterlassen haben, spielen die hereinfallenden Strahlen der Morgensonne mit etwas Glitzerndem. Huallpa reibt den Ruß ab, die glitzernde Fläche wird größer, und darunter, auf dem Felsboden, findet er eine Menge kleinerer und größerer Kugeln: Das Feuer hatte während der Nacht aus Wand und Decke der Berghöhle Silberausgeschmolzen.“ (Günter Ludwig / Günter Wermusch: Silber – Aus der Geschichte eines Edelmetalls. Berlin 1986, S. 145).
Johann Jakob von Tschudi erzählte diese Geschichte ebenfalls. Der Schweizer Naturforscher hatte in den Jahren 1838 bis 1842 weite Teile des Hochlandes, der Küstenregion und des Urwaldes von Peru bereist. Seine Berichte gaben ein Bild von den armseligen Verhältnissen, die zwanzig Jahre nach dem Abzug der spanischen Kolonialherren herrschten: „Viele Indianer, besonders in Yauli und Huaipacha, betreiben den Bergbau auf eine höchst eigentümliche Weise. Sie gehen mit ihren Frauen und Kindern in die Cordillera und brechen silberhaltige Metalle, entweder aus verlassenen Gruben oder aus Gängen, die sie auf ihren Streifereien so häufig entdecken. Wenn sie nach mehreren Wochen sechzig bis achtzig Lama-Ladungen Erz zusammengebracht haben, so geht die ganze Familie auf die Hochebene und sammelt dort die Exkremente von Guanakos und Vicuñas, die diese Tiere immer an bestimmten Stellen zu Haufen ablegen. Ist die gehörige Quantität dieses Brennmaterials beieinander, so mieten sie für zwölf Reales oder zwei Taler einen Ofen und schmelzen das Silber. […] Die Indianer verkaufen das Silber in der Regel unter dem gesetzlichen Münzpreise von 8,5 Piaster die Mark.“ (Johann Jakob von Tschudi: Reiseskizzen aus Peru, Leipzig 1988, S. 45). Das vor allem in der Hauptstadt Lima aus dem Silber geprägte Geld kursierte wie zu Zeiten der Spanier in Acht-Reales-Münzen und ihren Teilstücken. Die genannte Haupt-Silbermünze mit einem Gewicht von etwa 27 Gramm wurde auch als Piaster (Peso, Taler) bezeichnet.
In den großen Silberminen von Cerro de Pasco fördern einheimische „Hapiris“ das Erz aus tief im Berg gelegenen Gruben: „Jeder Hapiri trägt 50 bis 75 Pfund Metall auf höchst unbequeme Art in einem ungegerbten Fell aus der Mine und verrichtet diese Arbeit gewöhnlich ganz nackt.“ (Tschudi, S. 82). Vier Reales täglich erhielten sie dafür gemeinhin als Arbeitslohn. Bezahlt wurde die Summe zumeist nicht in Münzen, sondern durch einen Anteil an dem geförderten Silber. Dabei kam es trotz der strengen Kontrollen immer wieder zu trickreichen Formen des Diebstahls: „Ein Hapiri erzählte mir, wie er die reichste Silberstufe, die er je gesehen hatte, beim Registro vorbeitrug; er band sich nämlich die Platte auf den Rücken und stellte sich dann so krank, dass ihm der Caporal die Erlaubnis gab, die Grube zu verlassen. Von zwei Mitwissern wurde er in seinen Poncho gehüllt, hinaufgetragen und der Schatz in Sicherheit gebracht.“ (Ebenda, S. 83). Eine andere Methode war das Wälzen der Arbeiter in der sogenannten Polvorilla. Dabei handelte es sich um ein schwarzes, pulverförmiges und sehr reiches Schwefelsilber. Wurde es gefunden, befeuchteten die Hapiris ihre nackten Körper und wälzten sich in diesem Silberstaub. Die anhaftende Kruste im Wert von mehreren Talern wuschen sie zu Hause ab: „Doch auch dieser Betrug wurde ihnen vereitelt, denn schon seit vielen Jahren müssen sich die Bergleute im Registro zur Visitation ganz entkleiden.“ (Ebenda, S. 83).
Das Edelmetall wurde mit Quecksilber aus dem Erz ausgeschmolzen. Dann stand die weitere Verwertung auf der Tagesordnung: „Nach den gesetzlichen Bestimmungen soll das in den Minen von Pasco gewonnene Silber nach einem von der Regierung gebauten Schmelzhause gebracht und dort in Barren von 100 Pfund eingeschmolzen und gestempelt werden; zugleich auch, um bestimmte Abgaben zu bezahlen, nämlich von jeder Barre sechs Taler fürs Schmelzen, 12,5 Taler für das Tribunal de Mineria und 25 Taler für die großen Stollen zum Entwässern der Minen. Der Wert des Silbers schwankt im Cerro de Pasco zwischen sieben und acht Talern für die Mark. Der Münzwert in Lima ist 8,5 Taler.“ (Ebenda, S. 87). Das bedeutet, dass etwa acht Piaster (Peso, Taler) und ein halber auf die Mark Silber zu 234 Gramm gehen. „Das in Barren geschmolzene Silber wird den Arrieros gegen einfachen Empfangsschein zugestellt, und sie bringen Ladungen von mehreren 100.000 Talern an Wert ohne Begleitung der Eigentümer oder militärische Bedeckung nach Lima. Sie sind den Angriffen der Straßenräuber nicht ausgesetzt, denn diese nehmen die schweren gestempelten Barren nicht weg. Das gemünzte Silber hingegen wird von der Hauptstadt bis nach Llanga oder Santa Rosa de Quibe von Soldaten eskortiert, die freilich nicht immer imstande sind, die Räuberangriffe von zahlreichen Horden von Negern zurückzuschlagen.“ (Ebenda, S. 96f.).
Die Zeiten des mühsamen Silberabbaus der postkolonialen Zeit sind längst vorüber. Doch Silber wird in Peru bis heute in großem Umfang abgebaut. Mit einer Fördermenge von 135 Millionen Unzen stand Peru im Jahr 2019 hinter Mexiko an zweiter Stelle der Förderländer. Mit einem Silberexport im Wert von 400 Millionen Dollar steht es ebenfalls an zweiter Stelle. #Peru #Indianer #Silber #Silberförderung #Bergbau #Reales #JohannJakobVonTschudi #Miene #DietmarKreutzer
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