Der antiken griechischen Mythologie zufolge war das Flügelross Pegasos das „Kind“ des Meergottes Poseidon und der Gorgone Medusa. Weil Poseidon die schöne junge Medusa allerdings im Tempel der Athena verführt hatte, bestrafte diese den Frevel, indem sie die Haare der Medusa, die das Schönste an ihr gewesen waren, in hässliche Nattern verwandelte. Gleichzeitig erhielt die Gorgone ein entsetzliches, wuterfülltes Antlitz und so fürchterlich blitzende Augen, dass jeder, der sich ihren Blicken aussetzte, sofort zu Stein wurde.
Nachdem Medusa schwanger geworden war, so der Mythos, sandten die Götter Perseus [den Sohn des Zeus und der Danaë] aus, „um die Welt von der verderblichen Gorgo zu befreien.“ (W. H. Roscher [Hrsg.]: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Bd. I. 2, Sp. 1696). Als Perseus die Höhle der drei Gorgonen ausfindig gemacht hatte, fand er diese schlafend, näherte sich ihnen unter Zuhilfenahme seines Schilds, schnitt der Medusa den Kopf ab und steckte ihn in seinen Schubsack und flog weg. Aus dem blutenden Rumpf der Toten aber entsprang, da jene schwanger gewesen war, das Flügelross Pegasos.
Mythologische Berühmtheit erlangte Pegasos als Reittier des antiken Helden Bellerophon. Der Legende nach war Bellerophon der Sohn des Korintherkönigs Glaukos. Nachdem er durch widrige Umstände an den Hof des lykischen Königs Iobates gelangt war, betraute ihn dieser mit der Aufgabe, das Ungeheuer Chimaira zu töten, das Lykien verwüstete. Die Chimaira war ein Kind des riesigen 100-köpfigen feuerspeienden Drachens Typhon und der Riesenschlange Echidna. „[Sie] war göttlichen Geschlechts und nicht von Menschen: Vorn ein Löwe und hinten Schlange und in der Mitte Ziege, ausschnaubend die furchtbare Gewalt des brennenden Feuers.“ (Homer, Ilias 6,179 ff.).
Als die Götter erkannten, welch gefahrvolle Aufgabe der unschuldige Jüngling zu meistern hatte, beschlossen sie einzugreifen und sandten ihm das Flügelross Pegasos zu Hilfe. Doch alle Anstrengungen und Mühen Bellerophons, den Pegasos einzufangen und zu zäumen, waren vergeblich. Nachdem er jedoch völlig erschöpft eingeschlafen war, erschien ihm Athena im Traum, übergab ihm ein goldenes Zaumzeug, hieß ihn, dem Poseidon einen schönen Stier zu opfern und forderte ihn auf, sich des Flügelrosses zu bedienen. Bellerophon tat, wie ihm geheißen worden war, nahm das goldene Zaumzeug und versuchte sein Glück erneut. Und siehe da, der Pegasos ließ sich an der korinthischen Quelle Peirene mühelos einfangen, zäumen und reiten.
Bald darauf erhoben sich Pegasos und Bellerophon in die Lüfte und machten sich auf die Suche nach der fürchterlichen Chimaira. Als sie diese entdeckt hatten, stießen sie aus großer Höhe auf sie herab und ein mörderischer Kampf entbrannte zwischen dem Ungeheuer und dem jungen Helden. Die Chimaira spie sofort weithin loderndes Feuer aus ihrem Ziegenkopf und suchte das Flügelross und seinen Reiter damit zu verbrennen, doch diese wichen geschickt aus und Bellerophon konnte seine Speere werfen. Und nachdem er die flammenspeiende Ziege ausgeschaltet hatte, erlag auch der Rest des Monsters recht schnell seinen tödlichen Waffen.
Viele Jahre später vermaß sich Bellerophon jedoch fürchterlich, bestieg den Pegasos und wollte mit diesem zum Olymp fliegen, um den Himmel zu erforschen. Über soviel Hybris erzürnt, brachte Zeus das Flügelross dazu, seinen Reiter abzuwerfen und alleine auf den Olymp zu fliegen. Zwar starb Bellerophon bei diesem Sturz nicht, doch war er von nun an allen Göttern verhasst und „irrte über die Aleïsche Ebene, einsam, sein Leben verzehrend, den Pfad der Menschen vermeidend.“ (Homer, Ilias 6,201 f.). Pegasos dagegen, wurde im Olymp willkommen geheißen und mit der ehrenvollen Aufgabe betraut, die Blitze des Zeus zu tragen und seinen Wagen zu ziehen.
Wie die antike griechische Numismatik belegt, hielt man das Flügelross nur selten in so großen Ehren wie in Korinth, wo dieses bereits zu Beginn der Münzprägung zum Wappentier der Polis anvancierte. Während die Göttin Athena die Rückseite der Statere und die Göttinnen Athena und Aphrodite die Rückseiten der Drachmen zierten, schmückte ein nach rechts oder links fliegender, gallopierender, gehender oder stehender Pegasos die Vorderseiten dieser Münzen (Abb. 1 und Abb. 2).
Ganz ähnlich wie die Drachmen wurden übrigens auch die silbernen Hemidrachmen gestaltet, bloß trugen diese auf ihren Vorderseiten an Stelle eines Pegasos von Anfang an (d. h. ab 550 v. Chr.) nur eine nach rechts oder links gewandte Pegasosprotome (d. h. die vordere Hälfte eines Pegasos).
Aber nicht allein in Korinth, sondern auch in seinen Kolonien wie z. B. in Leukas (Akarnanien) oder in Ambrakia (Epeiros) prägte man silberne Statere korinthischen Fußes, die vorderseitig ein nach rechts oder links fliegendes Flügelross und rückseitig einen nach rechts oder links gewandten Kopf der Göttin Ahtena tragen (Abb. 3 und Abb. 4).
Wegen der Typengleichheit lassen sich die Statere aus Korinth und seinen Kolonien nur anhand der Buchstabenkürzel, die sich unter dem Bauch des Pegasos befinden, voneinander unterscheiden. Bei den Münzen aus Korinth findet sich ein archaisches Koppa, bei jenen aus Leukas ein Lambda und bei jenen aus Ambrakia ein Alpha als Stadtkürzel (vgl. Abb. 1-4).
Wappentier war das Flügelross oder die Pegasosprotome allerdings auch im makedonischen Argilos oder im mysischen Lampsakos (Abb. 5).
Nicht Wappen-, sondern Reittier des Bellerophon war Pegasos beispielsweise auf silbernen Trihemidrachmen aus Korinth und Leukas, sowie auf Bronzemünzen von Leukas (Abb. 6 und Abb. 7).
Auf diesen ist vorderseitig immer der reitende Bellerophon und rückseitig die Chimaira dargestellt. Während die Chimaira auf der Bronzemünze aus Abb. 6 noch „wohlauf“ ist, ist sie auf der Silbermünze aus Abb. 7 bereits schwer verwundet und steht kurz davor, getötet zu werden.
Zentrale Bedeutung hatte das Flügelross aber nicht nur als Wappen- oder Reittier. Der antiken Mythologie zufolge war es nämlich auch Musenross. „Der Musenquell (Hippokrene) ist durch einen Hufschlag des Pegasos entstanden.“ (Der neue Pauly, Supplemente Bd. 5, Maria Moog-Grünewald [Hrsg.], Mythenrezeption, Stuttgart, Weimar 2008, S. 441). Die Quelle also, aus der die neun Musen ihre Inspiration schöpften, wurde von Pegasos erschaffen. Diese besondere Beziehung zwischen Pegasos und den Musen ist allerdings nur von der bildenden Kunst nicht aber von der Numismatik thematisiert worden. So sehen wir beispielsweise auf einem Innenrelief eines Schautellerchens der Firma Wedgwood drei Musen, die aus der von Pegasos geschlagenen Quelle schöpfen (Abb. 8).
Ebenfalls Pegasos und den Musen ist die farbenfrohe Giebeldekoration des Bayerischen Nationaltheaters in München gewidmet, auf der das Flügelross im Zentrum steht und links und rechts von jeweils drei Musen flankiert wird. Die Musenquelle wird hier jedoch nur indirekt durch zwei am Boden liegende Amphoren angedeutet, aus denen Wasser fließt (Abb. 9).
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