Tunesien war lange ein Zankapfel für die Großmächte. Abwechselnd war es in der Hand der Römer, der Araber, der Türken und schließlich der Franzosen. Die fremden Machthaber hatten es zumeist auf die Handelswege ins Innere des afrikanischen Kontinents abgesehen: „Seit dem 8. Jahrhundert ist die einstige römische Provinz Africa ein Teil des arabischen Kalifenreichs, dessen Eroberung durch die Türken sich 1574 auch auf Tunis erstreckte. Die Beziehungen zu Europa waren teils auf Handel, teils aber auch auf die Seeräuberei begründet, wobei sich Frankreich eine bevorzugte Ausnahmestellung erringen konnte. Die seit 1705 herrschende einheimische Dynastie der Beys (Fürsten) aus dem Hause der Husseiniden entzog sich zunehmend der türkischen Oberherrschaft.“ (Günter Schön, Jean-Francois Cartier: Weltmünzkatalog – 19. Jahrhundert, Augsburg 1990, S. 1131) Die Herrschaft der Husseiniden war von immer wiederkehrenden Palastrevolutionen, Janitscharenaufständen und Hofränken gekennzeichnet. Als der deutsche Arzt Dr. Gustav Nachtigal im Jahre 1863 nach Tunis kam, herrschte der sorglose Bey Muhammad III. al-Husain (Sadok Bey) über das Fürstentum von Tunis. Während eines 1864 ausgebrochenen Aufstandes der einheimischen Stämme gegen Sadok Bey arbeitete Nachtigal als Feldarzt der Regierungstruppen: „Nach dem siegreichen Feldzug ernannte ihn der Bey zum ersten Arzt seiner Flotte, die eben gebildet worden war und aus einigen kleineren Schiffen bestand. Er gehörte von nun an zum Hof mit einem festen Gehalt, das ihm aber wegen der ungeheuren Verschuldung des Staates nie ganz ausgezahlt wurde. […] Schließlich wurde er der Leibarzt des Bey, weil alle anderen Ärzte bei einer Choleraepidemie aus Tunis geflüchtet waren.“ (Dr. Gustav Nachtigal, auf: tunesieninformation.de/uebersicht/elkef)
Nachtigal berichtet: „Im Jahre 1864 brach im Zentrum des Reiches eine Revolution aus, welche nahe daran war, der ganzen Dynastie ein Ende zu machen. Ich durchlebte sie von Anfang bis zu Ende im Innern des Landes mit dem Chef einer gegen die Empörer ausgesendeten militärischen Kolonne, dem damaligen Minister des Innern, Sîdî Rustam. […] Unter den ungünstigsten Aussichten zogen wir mit etwa 5.000 Mann aus, welche sich aus einem Bataillon regulärer Infanterie, etwa 2.000 Mann Zuâwa, d. h. Berbern der algerischen Berge, die seit langem eine irreguläre Truppe des tunesischen Fürsten, und aus irregulären arabischen Reitern zusammensetzten.“ (Gustav Nachtigal: Tibesti, Tübingen 1978, S. 27f.) Die diplomatischen Initiativen des Innenministers vor Ort waren erfolgreich: „Nachdem die empörten Stämme durch die schlauen Intrigen der tunesischen Regierung zur Uneinigkeit gebracht waren, schlugen unsere Truppen den Rebellenhäuptling und seine Scharen bei der Quelle von Aïn-Bâbusch, südlich von el-Keff, und später bei den Ruinen von Haidra, nahe der algerischen Grenze, etwa fünf Stunden von Tebessa, aufs Haupt.“ (Ebenda, S. 28)
Der Sieg gegen die Aufrührer ließ die Regierung des Bey auf internationalem Parkett plötzlich wieder kreditwürdig erscheinen. In den folgenden Jahren verschuldete sich das lange Zeit lastenfreie Land in atemberaubendem Tempo: „Die von den europäischen Konsuln, Beratern und Geschäftsleuten angeregte Reformpolitik trieb den Beylik zu unüberlegten Einkäufen europäischer Waren und kostspieligen, oft unsinnigen Investitionen. Der Staat musste sich auf internationalen Märkten verschulden: Baron von Erlanger, ein Finanzabenteurer und Vertrauter des Premierministers Mustafa Khaznadar war der große Drahtzieher der tunesischen Anleihen, die in Wirklichkeit nur den Kreditgebern, Mittelsmännern und Lieferanten des Staates Gewinn einbrachten.“ (Mohamed El Hadi Sherif: Tunesien zwischen 1815 und dem Ende der Kolonialzeit, in: Tunesien; Stuttgart 1984, S. 142) Zu den Schulden gesellten sich unerwartet mehrere regenarme Jahre sowie im Verlauf des Jahres 1866 eine Cholera-Epidemie: „Das Elend des folgenden Winters wurde fürchterlich. Eine Hungersnot folgte der Dürre und raffte hin, was Revolution und Cholera verschont hatten.“ (Gustav Nachtigal: Tibesti, S. 29) Der deutsche Arzt sah, wie die Verstorbenen morgens in Moscheen und religiösen Herbergen eingesammelt und auf Wagen zu Massenbegräbnissen gebracht wurden. Auf abgelegenen Landwegen lagen entstellte Leichname mitunter wochenlang in der Sonne. Es kam sogar zu Kannibalismus. Doch damit nicht genug. Im Winter 1867/68 folgte der Hungertyphus: „Der Himmel goss eine scheinbar unversiegbare Schale des Unheils auf das arme, gequälte Land aus. Alles brach zusammen.“ (Ebenda, S. 29) Im Jahr 1869 war Tunesien bankrott und musste seine Finanzen einer internationalen Kommission seiner vielen Kreditgeber unterstellen.
Das tunesische Währungssystem ähnelte dem des Osmanischen Reiches. Grundeinheit war der silberne Piaster. Die höchsten Wertstufen zwischen fünf und 100 Piaster kamen in Gold heraus. Dabei lag das Wertverhältnis der beiden Metalle wie bei den Osmanen bei 1 : 14,85. Ein Piaster war in 16 silberne Kharubs geteilt. Auf einen Kharub kamen vier kupferne Asper. Die Münzen wurden ausschließlich mit arabischen Schriftzeichen versehen. Auf der einen Seite tragen sie den Namen des formellen Staatsoberhauptes, des türkischen Sultans. Auf der anderen Seite sind der Name des Beys sowie eine Wertangabe und die Jahreszahl vermerkt. Ausländische Gold- und Silbermünzen wurden häufig in Tunis umgeprägt: „Hauptproblem war das Fehlen von Minen oder einem anderweitigen lokalen Zustrom von Währungsmetall. Die Geldpolitik der tunesischen Beys war daher von Metall- und Devisenüberschüssen aus dem Handel abhängig. Tunis erhielt Louisdors, Dollars und Silberkronen im 18. Jahrhundert, Francs in Gold und Silber im 19. Jahrhundert. Die Prägeanstalt war somit auf Geld- bzw. Goldlieferungen angewiesen. Gab es einen Handelsüberschuss, war die Prägeanstalt ausgelastet, im Falle eines Defizits fehlte es an Arbeit.“ (Abdelhamid Fenina: Les monnaies de régence de Tunis, Tunis 2003; auf: histoiremesure.revues.org) Zwölf Jahre nach dem Staatsbankrott von 1869 unterzeichnete der hoffnungslos überschuldete Herrscher Sadok Bey den Vertrag von Bardo, mit dem er ein französisches Protektorat für sein Land akzeptierte. Im Jahre 1891 wurde das Währungssystem dann nach französischem Vorbild reformiert.
Teil 2 unserer Reisen durch Afrika mit Dr. Nachtigal finden Sie über diesen Link.
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