Als der sowjetische Diktator Josef Stalin am 5. März 1953 starb, verfiel die kommunistische Welt in tiefe Trauer und einen Schockzustand. Die SED- und Staatsführung der DDR schickte ein kriecherisches Beileidstelegramm nach Moskau, in dem es heißt: „Im Kampf um den Aufbau einer neuen demokratischen Ordnung, um die Errichtung der volksdemokratischen Grundordnung der Staatsmacht und die Schaffung der Grundlagen des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik waren und sind Rat und Hilfe J. W. Stalins die sicherste Basis der Erfolge. Das deutsche Volk dankt Lenin und Stalin, dass sie das größte geistige Erbe der deutschen Nation, die Lehre von Marx und Engels, in ihrem wahren Inhalt wiederhergestellt haben.“
Da die DDR erst ab 1966 Gedenkmünzen herausgab, konnte sie 1949 den 70. Geburtstag des lange als Befreier vom Faschismus und ideologischen Leitstern gefeierten Josef Stalin nicht mit einer Sonderprägung ehren. Das tat die von Stalinisten beherrschte Tschechoslowakische Republik mit einer silbernen Gedenkmünze im Wert von 100 Kronen. Dargestellt auf diesem numismatischen Kotau ist Stalin in Militäruniform, wie man es aus feudalen Zeiten bei Bildnissen von Kaisern und Königen kannte. Die in Prag sitzende Partei- und Staatsführung bekundete mit dieser Ausgabe ihre besondere Hörigkeit gegenüber ihrem in Moskau herrschenden Befehlsgeber.
Es dauerte nicht lange, bis in der Sowjetunion und ihren Satellitenstaaten, darunter auch in der DDR, bröckchenweise die Wahrheit über den hymnisch als „Lenin unserer Zeit“ verehrten Generalissimus und seine Verbrechen ruchbar wurden. Auf dem XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion kritisierte Stalins Weggefährte und Nachfolger Nikita Chruschtschow 1956 in einer nicht lange geheim gebliebenen Geheimrede Personenkult, Dogmatismus und Vergehen gegen die sozialistische Gesetzlichkeit unter Stalin. Mit diesen Begriffen wurden die Massenmorde an Menschen verharmlost, die das Sowjetregime als angebliche Verräter und Volksfeinde umbringen ließ, und die Unterdrückung jedweder Opposition im Auftrag des Diktators. Er witterte überall Spione und Attentäter und zögerte nicht, auch engste Mitarbeiter mit haltlosen Anschuldigungen vor Gericht zu stellen und zu liquidieren. Ein von ihm vorbereiteter Prozess gegen Mediziner kam durch Stalins Tod nicht mehr zustande. Der Diktator hatte behauptet, Mediziner würden ihm nach dem Leben trachten.
Stalin starb in der Zeit des Kalten Kriegs, einer höchst gefährlichen Konfrontation zwischen Ost und West. Doch nicht die instabile Weltlage hielt die neuen Kreml-Herren davon ab, ehrlichen Herzens mit ihrem bisherigen Halbgott ins Gericht zu gehen. Sie wussten, dass jedes klärende Wort auf sie selber zurückfallen würde. Doch ließ sich die Wahrheit auf Dauer nicht unter der Decke halten. In internen Parteizirkeln nahm man mit wachsendem Erschrecken zur Kenntnis, dass Lenin, der Gründer des Sowjetstaates, vor dem intoleranten, aufbrausenden, machtgierigen und misstrauischen Politiker gewarnt hatte. Er sei für seine Nachfolge in der Parteiführung ungeeignet, schrieb Lenin. Erst unter Michail Gorbatschow, der 1985 Parteichef wurde, wagte man im Zuge von „Glasnost und Perestroika“, auch öffentlich auf diese selbstverständlich von Stalin unterdrückten Warnungen hinzuweisen und die Millionen Toten zusammenzuzählen, die auf sein Schuldkonto gingen. Im heutigen, unter Wladimir Putins Herrschaft stehenden Russland wird im Sinne einer „Rolle rückwärts“ versucht, das Stalinsche Blutregime klein zu reden und sogar in Abrede zu stellen und die Rolle des Diktators als „entscheidender Sieger“ über das Hitlerregime im Zweiten Weltkrieg in den Himmel zu heben.
Jahrzehntelang hatte die kommunistische Propaganda das Bild vom menschenfreundlichen, allwissenden „Väterchen Stalin“ gemalt und behauptet, seinem Genie sei der Sieg über Hitlerdeutschland zu verdanken. Wer nicht persönlich von den Verbrechen des Diktators betroffen war, mag an die auch heute, im Reich des Wladimir Putin, aus der Versenkung geholten Legende vom menschenfreundlichen, gütigen, allwissenden und nimmermüde im Kreml tätigen Genossen Stalin geglaubt haben. Indem Putin Krieg gegen die angeblich faschistische Ukraine führt, knüpft er bedenkenlos an den Krieg gegen Hitlerdeutschland an und zieht damit viele im Unklaren gelassene Untertanen auf seine Seite.
Wer sucht, wird Abzeichen aus der frühen DDR finden, auf denen Stalin und der DDR-Präsident Wilhelm Pieck gemeinsam abgebildet sind. Eigentlich war das eine Anmaßung, denn wer war Stalin, der Nachfolger von Marx, Engels und Lenin und weise Führer der internationalen Arbeiterklasse, wie man damals sagte, und wer war dieser als Präsident und Vorsitzender der SED in der sowjetisch besetzten DDR agierende Pieck? Aber solche Überlegungen behielt man vorsichtshalber für sich. Stalin, Pieck und weitere „führende Genossen“ durch den Kakao zu ziehen und an ihnen Kritik zu üben, war nur im Westen möglich.
Josef Stalin, der unsterbliche Lenin unserer Tage und weise Führer aller Werktätigen, wie er sich gern nennen ließ, hatte seine Nachfolge nicht geregelt, um die sich nun mehrere Personen aus seiner Umgebung bemühten, denn er hielt sich für unsterblich. Aus dem Gerangel um die Macht kristallisierte sich schon bald Nikita Chruschtschow heraus, einer der engsten Mitarbeiter des Diktators und drei Jahre später auch sein erster Kritiker. Der ehemalige KP-Chef der Ukraine war Mitglied des Politbüros und damit an sowjetischer Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik unmittelbar beteiligt. Er ließ den langjährigen Geheimdienstschef Lawrentij Berija liquidieren, der sich bei den Stalinschen Verfolgungen die Hände besonders blutig gemacht hatte. Welche Machtkämpfe und widerlichen Intrigen sich im Moskauer Kreml rund um den 5. März 1953 abspielten, hat 2017 die britisch-französische Filmsatire „Stalins Tod“ gezeigt, die auch in unseren Kinos lief.
Seine Geheimrede hielt der neue Parteiführer Nikita Chruschtschow am 25. Februar 1956. Dass die Rede in Moskau nicht sofort veröffentlicht, sondern nur auf Umwegen ins westliche Ausland gelangte und dort zum Entsetzen der Sowjetführer publiziert wurde, spricht Bände. Der neuen Führungsriege war nicht daran gelegen, eine ehrliche und offene Abrechnung mit den Verbrechen des toten Diktators vorzunehmen. Sie wusste, dass die Wahrheit tödlich sein würde. Chruschtschow behandelte das Problem theoretisch, zitierte in der üblichen Manier die „Klassiker“ und betonte, es sei unzulässig und dem Geist des Marxismus-Leninismus fremd, „eine einzelne Person herauszuheben und sie in eine Art Übermensch mit übernatürlichen, gottähnlichen Eigenschaften zu verwandeln. Dieser Mensch weiß angeblich alles, sieht alles, denkt für alle, vermag alles zu tun, ist unfehlbar in seinem Handeln. Eine solche Vorstellung über einen Menschen, konkret gesagt über Stalin, war bei uns viele Jahre lang verbreitet“, erklärte der Redner, der selber an dem Mythos gearbeitet hatte.
Die selbst gestellte Frage, „wie sich allmählich der Kult um die Person Stalins herausgebildet hat, der in einer bestimmten Phase zur Quelle einer ganzen Reihe äußerst ernster und schwerwiegender Entstellungen der Parteiprinzipien, der innerparteilichen Demokratie und der revolutionären Gesetzlichkeit wurde“, beantwortete Stalins früherer Handlanger nicht. Chruschtschow hätte ja bei sich anfangen und seine Rolle in der Parteiführung beschreiben müssen. Dass das „System Stalin“ auf Terror und Gewalt basierte und weiterhin unter anderem Namen auch nur so funktionierte, nämlich auf der Unterdrückung des Individuums und ganzer Völkerschaften, war Basis des Machterhalts aller Sowjetführer und daher für sie kein Thema.
An der Spitze der zivilen Auszeichnungen stand in der Sowjetunion der Stalinpreis. 1941 gestiftet, wurden mit der tragbaren Medaille und einer Geldprämie herausragende Leistungen auf wissenschaftlichem, literarischem, künstlerischem oder musikalischem Gebiet gewürdigt. Der Preis wurde nach 1954 in Leninpreis umbenannt und ab 1966 als Staatspreis der UdSSR vergeben. Bertolt Brecht war einer der Träger des Stalin-Friedenspreises. Er habe die Hälfte des Preisgeldes auf sein Schweizer Konto überweisen lassen, heißt es in der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, die 2018 eine Ausstellung über den „Roten Gott Josef Stalin“ veranstaltete und die Preismedaille mit anderen Devotionalien zeigte.
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