Kein römischer Geschichtsschreiber erwähnt Magnia Urbica. In der gesamten römischen Literatur herrscht Stillschweigen über diese Kaiserin, was natürlich auch der spärlich erhaltenen Quellenlage gerade der Zeit des ausgehenden 3. Jahrhunderts geschuldet werden muss. Zunächst war sie nur von den für sie geprägten, relativ zahlreichen Münzen bekannt. Von diesen kannte man zwar ihren Namen und ihren Augusta-Titel, nicht jedoch den Namen ihres Ehegatten. Viele Kaiser der zweiten Hälfte des dritten nachchristlichen Jahrhunderts wurden mit Magnia Urbica in Verbindung gebracht, doch erst Ende der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts klärte sich diese Frage durch den Fund einer Inschrift in Guadix, der antiken Colonia Iulia Gemella Acci in der Provinz Hispania Citerior. Diese Inschrift (CIL II 3394) - Magniae Ur/bicae Aug[ustae] ma/tri castrorum / coniugi d[omini] n[ostri] / Carini Invic/ti Aug[usti] col[onia] Iul[ia] G[emella] / Accis devota Numini / eius (Der Kaiserin Magnia Urbica, Mutter des Lagers, Ehefrau unseres Herrn Carinus, dem unbesiegten Kaiser [hat errichtet] die Colonia Iulia Gemella Acci ergeben ihrer göttlichen Wirkkraft) - besagt deutlich, dass Magnia Urbica die Gemahlin des Carinus war.
Abb. 1 AV, 283 - 285, Rom, RIC V-2 Carinus Nr. 340
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Vermutlich im Sommer 283 heiratete Carinus Magnia Urbica, zu diesem Zeitpunkt dürfte sie auch den Augusta-Titel erhalten haben. In den erhaltenen Inschriften wird Magnia Urbica nicht nur als Mater castrorum, wie in der eben zitierten Inschrift, sondern auch als „mater castrorum Senatus ac patriae“ (Mutter des Lagers, des Senats und des Vaterlan- des) bezeichnet. Diese Titulatur wurde besonders seit Iulia Domna für Kaiserinnen verwendet. Nach der Ermordung und der darauf folgenden „damnatio memoriae“ ihres Gatten im Sommer 285 verliert sich die Spur der Magnia Urbica.
Der in der stadtrömischen Münzstätte geprägte Aureus (Abb. 1) zeigt auf seiner Vorderseite die nach rechts gerichtete, drapierte Büste der Magnia Urbica. Ihr Münzporträt hat Johann Jacob Bernoulli, der „Altmeister“ der römischen Ikonographie, treffend beschrieben (Römische Ikonographie Bd. 2,3 (1894) S. 193): „Die Münzen [ ...] zeigen das Bildnis einer schönen jugendlichen Frau mit fast griechischem Profil, die Haare schlicht oder nur leicht und natürlich gewellt, mit zierlich geflochtenem Scheitelzopf, der in großem Bogen von unterhalb der Ohren bis zur Stirn den ganzen hinteren Umriss des Kopfes umsäumt und vorn noch umgelegt ist. Von Severina, der Gemahlin des Aurelian, unterscheidet sie sich durch eine höhere Stirn, eine weniger vorspringende Nase und überhaupt durch jugendlichere Schönheit.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Durch die Legende „MAGNIA VRBICA AVG“ wird das Porträt benannt. Auf der Münzrückseite ist Venus, die Göttin der Liebe und der Schönheit, dargestellt. Venus steht frontal, ihr Kopf ist nach rechts gerichtet. Die Göttin ist mit einem dünnen, chitonartigen Gewand bekleidet, darüber trägt sie einen ebenfalls aus dünnem Stoff bestehenden Mantel. Mit ihrer erhobenen rechten Hand hebt Venus den Mantelsaum an. Von dort fällt der Mantel in einem schönen Bogen bis auf Hüfthöhe herab und kommt dann über dem linken Ellbogen zum Liegen. In ihrer vorgestreckten linken Hand hält Venus einen Apfel. Dieser spielt auf das Parisurteil an: Der trojanische Königssohn Paris sollte entscheiden, welche von den drei Göttinnen - Hera, Athena oder Aphrodite - die schönste ist. Der Siegespreis war ein goldener Apfel. Bekanntlich entschied sich Paris für Aphrodite und legte dadurch den Grundstein für den trojanischen Krieg. Die Reversumschrift „VENERI VICTRICI“ (der siegreichen bzw. siegbringenden Ve- nus) ist im Dativ gehalten und kommt bei den Prägungen für Magnia Urbica relativ häufig vor.
Abb. 2 AV, 283 - 285, Siscia, RIC V-2 Carinus Nr. 308 var.
Bildquelle: https://ikmk.smb.museum/object?id=18251289
Auf dem Aureus in Abb. 2 sehen wir Marcus Aurelius Carinus, den Ehemann der Magnia Urbica, abgebildet. Der um die Mitte des 3. Jahrhunderts geborene Carinus wurde im Frühjahr 283 von seinem Vater Carus zum Augustus erhoben. Nach dem Tod des Carus durch Blitzschlag im Sommer 283 teilte sich Carinus die kaiserliche Macht mit seinem jüngeren Bruder Numerianus, wobei Carinus für den West- und Numerianus für den Ostteil des Imperiums zuständig war. Wie bereits erwähnt, wurde Carinus im Sommer 285 von seinen eigenen Soldaten ermordet. Auf dem Avers unseres Aureus ist die nach rechts gerichtete Panzerbüste des Carinus dargestellt, über seiner linken Schulter ist noch ein Teil des Paludamentums sichtbar. Carinus trägt die für diese Zeit typische Frisur bestehend aus kurzen, nach vorn gestrichenen Haarsträhnen und einen Vollbart, der sich aus vielen kleinen, fast runden Locken zusammensetzt. Die Gesichtsbildung ist fast klassisch zu nennen, Stirn, Wange, Nase und Mund sind ebenmäßig gebildet. Die Umschrift „IMP C M AVR CARINVS P F AVG“ (Imperator Caesar Marcus Aurelius Carinus Pius Felix Augustus - .... der fromme, glückliche Kaiser) nimmt fast das ganze Münzrund ein. Auf dem Revers ist Abundantia, die Personifikation des Überflusses, abgebildet. Die nach links gerichtete Abundantia leert aus einem großen Füllhorn Münzen aus. Das Bild der Abundantia soll wohl verdeutlichen, dass unter der Herrschaft des Carinus das römische Volk im Überfluss lebt oder zumindest leben wird. Die Legende „ABVNDANTIA AVGG“ (Abundantia Augustorum - der Überfluss der Kaiser) benennt die Personifikation; diese Art der Darstellung der Abundantia zusammen mit der Beischrift war seit Elagabal gebräuchlich.
Mit dem Antoninian (Abb. 3) kehren wir wieder zurück zu Magnia Urbica. Averslegende und Aversbild bieten nichts Neues. Die Büste der Magnia Urbica ist, wie bei Antoninianen üblich, auf einer Mondsichel platziert. Die Münzrückseite zeigt wieder ein Bild der Venus, jetzt allerdings, wie uns die Umschrift „VENVS GENETRIX“ (Venus, die Stammmutter des römischen Volkes) lehrt, in ihrer Funktion als Venus Genetrix. Venus steht nach links gerichtet. Sie hält in ihrer erhobenen Rechten einen Apfel und mit der ebenfalls erhobenen linken Hand ein langes Zepter. Die Bedeutung des Apfels in Zusammenhang mit Venus wurde oben bereits erwähnt, das Zepter symbolisiert sicherlich die göttliche Macht. Nebenbei sei hier noch erwähnt, dass auch Caesar und die iulisch-claudische Dynastie in Venus ihre Stammmutter sahen. Links im Feld neben Venus ist ein D zu erkennen, ein Kontrollzeichen der Münzstätte Lugdunum. Während sich die Legende „VENVS GENETRIX“ schon auf Prägungen des Marcus Aurelius für Faustina Minor findet, ist die exakte Art der Darstellung der Venus Genetrix bei den Münzen für Magnia Urbica neu.
Abb. 3 Ant, 283 - 285, Lugdunum, RIC V-2 Carinus Nr. 337
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Abb. 4 Ant, 283 - 285, Rom, RIC V-2 Carinus Nr. 343
Bildquelle: https://ikmk.smb.museum/object?id=18200781
Die Vorderseite des Antoninian (Abb. 4) bleibt hinsichtlich Münzporträt und Umschrift im üblichen Rahmen. Wie bei allen hier angeführten Prägungen der Magnia Urbica trägt diese über dem Vorderkopf ein prächtig verziertes Diadem. Dieses unterstreicht zum einen die Würde der Kaiserin, zum anderen diente es sicherlich auch zum Fixieren des Zopfes an der richtigen Stelle. Die Münzrückseite zeigt wiederum ein Bild der Venus Victrix, das sich jedoch von dem des eingangs beschriebenen Aureus (Abb. 1) deutlich unterscheidet. Venus steht leicht nach links gewandt. In ihrer vorgestreckten rechten Hand hält sie einen Helm mit großem Helmbusch und mit ihrer Linken ein langes, auf dem Boden aufstehendes Zepter. Dieses ist unten mit zwei „Kugeln“ verziert und oben scheint es mit einer nicht näher zu identifizierenden Figur bekrönt zu sein. Links neben Venus steht ein großes Rundschild. Die Figur der Venus wird durch die Legende „VENVS VICTRIX“ und durch ihre Attribute eindeutig als die siegbringende Venus gekennzeichnet. Venus trägt zwar die Waffen des Mars, doch nimmt sie nicht persönlich an einem Kampf teil, sondern sie lässt mit Hilfe dieser Waffen ihren Lieblingen den nötigen Schutz angedeihen. Unten im Abschnitt sind noch die Buchstaben KAS zu lesen, bei denen es sich um ein Kontrollzeichen der Münzstätte handelt.
Abschließend sei noch auf eine weitere Person aus dem Umfeld der Magnia Urbica und des Carinus eingegangen, nämlich auf Nigrinianus. Auch ihn kennen wir nur von Münzen mit seinem Bildnis und von einer Inschrift. Möglicherweise hieß er mit vollem Namen Marcus Aurelius Nigrinianus. In der erwähnten Inschrift (CIL VI 31380: Divo / Nigriniano / ne- poti Cari ....) wird der vergöttlichte Nigrinianus als Enkel des Carus, d. h. des Vaters des Carinus und des Numerianus, bezeichnet. Die Prägungen mit seinem Porträt gelten ausschließlich dem vergöttlichten Nigrinianus. Die Verwandtschaftsverhältnisse des Nigrinianus zu Carinus und zu Magnia Urbica bleiben beim gegenwärtigen Stand der Forschung fraglich: Im Idealfall könnten Carinus und Magnia Urbica die Eltern des Nigrinianus sein, daneben gibt es jedoch zahlreiche andere mögliche Konstellationen. Auf jeden Fall verstarb Nigrinianus um 284 im zarten Kindesalter und wurde nach seinem Tod in den Kreis der Divi erhoben.
Abb. 5 AV, 284 - 285, Rom, RIC V-2 Carinus Nr. 471
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Der Aureus (Abb. 5) zeigt auf seiner Vorderseite das Bildnis eines Knaben mit langem Hals und kugelförmigem Kopf. Die Haare fallen in fein ausformulierten Strähnen vom Hinterkopf in Richtung Stirn und in den Nacken. Die Gesichtsmodellierung ist gekennzeichnet durch weiche, runde Formen. Auffallend sind das große Ohr und das große Auge. Klein sind dagegen Kinn, Mund und Nase, von der man durchaus von eine „Stupsnase“ sprechen könnte. Insgesamt ist das Münzporträt kräftig aus dem Münzrund herausgearbeitet. Der Knabe wird durch die Umschrift „DIVO NIGRINIANO“ eindeutig benannt. Die Münzrückseite stellt ein typisches „Divinisierungsbild“ dar. Innerhalb der Legende „CONSECRATIO“ ist ein „rogus“, ein Scheiterhaufen, der Verbrennungszeremonie bei der öffentlichen Beisetzung des Verstorbenen abgebildet. Der „rogus“ ist pyramidenförmig aufgebaut und besteht aus fünf Etagen, die sich nach oben hin immer weiter verjüngen. Die unterste Etage ist mit Girlanden und Rundmedaillons verziert, die folgenden drei jeweils mit Statuen und die oberste wiederum mit Girlanden. Bekrönt wird der Scheiterhaufen von einer Biga, die sicherlich von dem neuen Divus gelenkt wird.
Anhand der angeführten Beispiele von Magnia Urbica und Nigrinianus wird deutlich, dass es im ausgehenden dritten Jahrhundert immer noch viel Unbekanntes gibt, das sich hoffentlich mit jedem neuen Inschriftenfund zu diesen Personen klären wird.
Horst Herzog
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