Leserpost: Ein Plädoyer für das wahre Sammeln
- Dietmar Kreutzer
- vor 4 Tagen
- 2 Min. Lesezeit
Liebe Redaktion,
der Charakter des Sammeln scheint sich allmählich zu verändern. Der „liebevolle“ Sammler weicht dem Investor. So verstehe ich jedenfalls den sich allmählich vollziehenden Wandel in Sammlerkreisen. Ich sehe eine Gefahr darin, dass immer weniger Sammler eine historische Grundbildung mitbringen und ihnen daher auch das Verständnis für den Münzhintergrund fehlt. Kultur und Bildung sind jedoch Fundamente der echten Numismatik. Ohne sie können Münzen nicht wirklich erfasst und die Geschichten, die sie erzählen, auch nicht einfach verstanden werden. Auch ein Schulwesen, das Geisteswissenschaften durch Naturwissenschaften, Mathematik und Technik ersetzt, wäre eine Sackgasse. Vielmehr ergänzen sich die einzelnen Bereiche erst zu einem sinnvollen Ganzen. In einer älteren Ausgabe der MünzenRevue fand ich den beiliegenden Artikel. Vielleicht wäre er ein guter Einstieg in eine Diskussion. Vielleicht gibt es ein paar Leser, die ihre Erfahrungen beim Sammeln aus den zurückliegenden Jahren oder Jahrzehnten teilen möchten?
Viele Grüße
Ihr M. L. aus Passau

Lieber Herr L.,
im Betreff schreiben Sie, dass mit Ihrer Nachricht ein "Plädoyer für das wahre Sammeln" abgeben möchten. Ich habe mal nachgeschaut, was renommierte Psychologen über das moderne Sammeln mitzuteilen haben. Zunächst heißt es, dass der typische Sammler ein Mann sei, der in relativ gesicherten Verhältnissen lebe. Er habe weitgehend konstant bleibende Wertvorstellungen und zeige beim Aufbau seiner Sammlung eine gewisse Zielstrebigkeit. Zum komplexen Vorgang des Sammelns gehöre aber noch viel mehr. Der Aufbau einer Sammlung sei nämlich eine Herausforderung: "In aller Regel muss ein erhebliches Maß an Mühe und Scharfsinn aufgewendet werden, um eine Sammlung durch ein begehrtes Stück zu ergänzen. Scharfsinn, Beharrlichkeit und schnell entschlossenes Zupacken bei sich bietender (günstiger) Gelegenheit führen zum Sammelerfolg." (1) Nun sind die Psychologen Lionel Tiger und Robin Fox, die vor einigen Jahren das Werk The Imperial Animal veröffentlichten, in ihrem Element. Der "Jagderfolg" sei nämlich das zentrale Element beim. Sammeln. Aus seiner Stammesgeschichte heraus sei der Mensch, insbesondere der männliche, auf die Jagd abonniert, auf "die Empfindungen, die Erregungen, die Neugier, die Ängste und die sozialen Beziehungen, die nötig waren, um in einer Jägerwelt zu überleben". (2) Dabei gehe es um die Jagd auf Nahrung im Sinne materieller Werte, die das Überleben sichere. Das aktuelle Sammeln sei eine Ersatzhandlung der zivilisierten Welt, in der das programmierte Jägerverhalten in der Freizeit ausgelebt werde.
Demnach gibt es das "wahre" Sammeln im Sinne einer Aneignung von Wissen gar nicht, jedenfalls nicht aus der Perspektive des Psychologen, der es aus der Stammesgeschichte ableitet. Die Zivilisation kann den komplexen stammelsgeschichtlichen Vorgang des "Jagens" jedoch in unterschiedlichem Maße überformen. Daher kreuzen sich die Jagd auf materielle Werte und ein kultureller Mehrwert. In einem Buch über deutsche Gedenkmünzen heißt es: "Münzensammeln ist ein faszinierendes Hobby. Es öffnet das Tor zu den Schätzen der Vergangenheit und weitet den Blick für wichtige politische, wirtschaftliche und sportliche Ereignisse der Gegenwart und Zukunft. Man kann sich kaum ein lebendigeres, aktuelleres und zugleich wertbeständigeres Geschichtsbuch vorstellen als eine Sammlung deutscher Gedenkmünzen." (3) Für jeden Leser des Blogs mag im Komplex der Motivationen daher ein anderer Antrieb im Vordergrund stehen. Was ist Ihr Motiv zum Sammeln?
Dietmar Kreutzer
Quellenangaben:
(1) Reinhold Jordan: Gedanken zum Sammelverhalten des zivilisierten Menschen; in: money trend, Heft 1/1993, S. 19
(2) Lionel Tiger, Robin Fox: Das Herrentier - Steinzeitjäger im Spätkapitalismus; München 1976, S. 41
(3) Manfred Pfefferkorn: 40 Jahre Deutsche Gedenkmünzen; Ostfildern 1993, S. 10
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