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Helmut Caspar

„Lange Finger – falsche Münzen. Die dunkle Seite der Numismatik“ – Ein Austellungsbericht

Nicht alles, was echt und alt aussieht, muss auch echt und alt sein. Das gilt für Antiquitäten, archäologische Fundstücke, Gemälde, Grafiken, Dokumente und Skulpturen ebenso wie für Münzen und Medaillen. Gerade hier gibt es raffiniert gemachte Fälschungen, die oft nur nach eingehender Prüfung entlarvt werden können. Wer in alten Zeiten beim Fälschen von Münzen oder beim Bezahlen mit ihnen erwischt wurde, endete mitunter unter dem Gejohle einer schaulustigen Menge am Galgen, in siedendem Öl oder unter dem Schwert des Henkers. Die 1532 von Kaiser Karl V. erlassene „Peinliche Halsgerichtsordnung“, auch Carolina genannt, legte neben vielen anderen Strafen fest, was mit Münzverbrechern geschehen soll. Unzählige Gerichtsakten berichten, wie man Täter mit und ohne Folter überführte und wie sie endeten.


Eine vom Henker abgeschlagene, aus Riga stammende mumifizierte Hand erinnert in der neuen Ausstellung „Lange Finger – falsche Münzen. Die dunkle Seite der Numismatik“ im Bode-Musuem auf der Berliner Museumsinsel daran, was Münzfälscher zu erwarten hatten, wenn man ihrer habhaft wurde. Grafiken in der gleichen Vitrine zeigen, wie man ihnen flüssiges Metall einflößte oder sie in siedendem Öl vom Leben zum Tod beförderte. Wer heute als Münz- und Geldscheinfälscher verurteilt wird, kommt mit vergleichsweise milden Strafen davon. Die Nachahmung und Verfälschung von Sammlermünzen und -medaillen wird nur als Betrug und Vergehen, nicht aber als Verbrechen geahndet.


Im Vestibül des Bode-Museums auf der Berliner Museumsinsel ist zu sehen, woran man falsche Münzen und Medaillen erkennt und wie man sich vor Betrug schützen kann. Das Münzkabinett behandelt das Thema in seiner Sonderausstellung auch für numismatische Laien verständlich. Foto: Caspar.


Übergänge und Unterschiede

Mit der Ausstellung dokumentiert das Berliner Münzkabinett, das eine umfangreiche Fälschungssammlung besitzt, erstmals in dieser ausführlichen Form Aspekte der Geld- und Münzfälschung und zeigt die Unterschiede und Übergänge zwischen beiden Kategorien. Münzfälschung geschieht durch verminderten Feingehalt, geringeres Gewicht und von der Norm abweichendes Metall. Eine andere Sache ist die möglichst präzise Nachahmung von historischen Geldstücken und Medaillen zum Schaden der Sammler. Der Ausstellungstitel weist darauf hin, dass das Berliner Münzkabinett von Dieben mit den sprichwörtlich „langen Fingern“, aber auch im frühen 19. Jahrhundert und nach dem Zweiten Weltkrieg von Kunsträubern in französischem und sowjetischem Auftrag heimgesucht wurde. Frankreich rückte nach den napoleonischen Kriegen nicht alle in fremden Ländern erbeuteten Kunstwerke heraus. Zwar gab die Sowjetunion unter dem Motto „Der Menschheit bewahrt“ in den 1950er Jahren nach Moskau und Leningrad verbrachte Kunstwerke sowie Münzen und Medaillen zurück. Nach wie vor aber gibt das heutige Russland die bedeutende historische Bibliothek des Berliner Münzkabinetts aus unerfindlichen Gründen nicht heraus.


Im Zusammenhang mit der Ausstellung erschien im Battenberg-Gietl-Verlag Regenstauf das Buch „Falschgeld und Münzfälschungen“. 17 Autorinnen und Autoren beschäftigten sich dafür mit der Falschmünzerei zum Schaden der Gesellschaft und des Geldumlaufs beziehungsweise mit der Münzfälschung, mit der Forscher und Sammler hinters Licht geführt wurden und werden. Das für die Deutsche Bundesbank und die Numismatische Kommission der Länder in der Bundesrepublik Deutschland von Christian Stoess, Bernhard Weisser und Burkhard Balz herausgegeben Buch aus der Reihe „Berliner Numismatische Forschungen Neue Folge“ hat 197 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen und kostet 39 Euro (ISBN 978-3-86646-251-9).


Als falsch erkannt und gekennzeichnet wurde die Münze mit dem Bildnis König Friedrichs II., des Großen. Was echt ist, ist grün eingekreist. Foto: Caspar.


Die Forschungsarbeit geht weiter

Ausstellung und Buch gehen unter anderem der Frage nach, wie Münzprüfung und Falschgeld als Metapher in der antiken Literatur beschrieben wurden, was es mit den geheimen Ausprägungen von Handelsmünzen und so genanntem Kriegsgeld unter König Friedrich II. von Preußen auf sich hat und warum in der Renaissance Nachahmungen römischer Kaisermünzen so beliebt waren. Vorgestellt werden prominente Fälscher des 18. bis frühen 20. Jahrhunderts, die es verstanden haben, Sammler von antiken Münzen, mittelalterlichen Brakteaten und Medaillen der Renaissance hinters Licht zu führen. Man erfährt auch, welche Gefahr heute von Falschgeld im Euroraum ausgeht. Interesse verdient ein Beitrag, der sich mit der Rolle von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Münzen befasst und praktische Hinweise zur Fälschungserkennung vermittelt. Wie beim Rundgang mit dem Ausstellungskurator Christian Stoess zu erfahren und auch dem Buch zu entnehmen ist, hat die Fälschungsforschung bereits viel erreicht, aber sie ist erst am Anfang. So sind neue Erkenntnisse über andere Fälscher ebenso zu erwarten wie neue Informationen darüber, was schlechtes Kippergeld vor Jahrhunderten angerichtet hat und welch krimineller Methoden sich einzelne Fälscher und ganze Banden bedienten. Erwähnenswert ist, dass das Münzkabinett seine in der Zeit des Nationalsozialismus erworbenen Bestände daraufhin überprüft hat, ob sie aus jüdischem Besitz stammen. In der Ausstellung zeigt es dem Kölner Sammler Ottmar Strauss „verfolgungsbedingt entzogene“ Goldmünzen, wie es im Fachjargon heißt. Das Münzkabinett konnte die Stücke von den Nachkommen käuflich erwerben.


Nach einem mit technischen Geräten, Bildern und Dokumenten unterlegten Parcours durch die Geschichte der Falschmünzei  und der Münzfälschung werden in drei Vitrinen die prominenten Münzfälscher Nicolaus Seeländer, Carl Wilhelm Becker und Heinrich von Frauendorfer gewürdigt. Den ersten beiden kam man nach ihrem Tod auf die Schliche, dem bayerischen Minister, Numismatiker und Sammler Frauendorfer wurden die von ihm angefertigten und fein ziselierten Nachgüsse von Renaissance-Medaillen zum Verhängnis. Durch eine Publikation des Direktors des Berliner Münzkabinetts, Julius Menadier, in die Enge getrieben und polizeilichen Ermittlungen ausgesetzt, erschoss er sich 1921. In seinen Taschen fand man einen Abschiedsbrief und jenen – jetzt im erwähnten Fälschungsbuch noch einmal abgedruckten - Artikel von Menadier und einige nachgemachte Medaillen. In der Betrachtung über „betrügerische Erwerbsgier“ und sittlichen Verfall ruft der Verfasser auf, beim Erwerb von Münzen und Medaillen Vorsicht walten zu lassen und stets Fachleute heran zu ziehen, um nicht auf die Machwerke wie die jenes „in die Irre gehenden Liebhabers“, wie Menadier vorsichtig schreibt, hereinzufallen.



Da Hofrat Becker keine aktuell kursierenden Münzen, sondern „nur“ historische Objekte gefälscht hat, blieb ihm das Schicksal „gemeiner“ Falschmünzer erspart. Über seine Arbeit hat er sorgfältig Tagebuch geführt, Proben von ihnen sind in der Ausstellung zusammen mit Stempeln und einigen seiner Machwerke ausgelegt. Fotos: Caspar.


Nachgemachte Hohl- und Blechmünzen

Auf das Konto des in der Barockzeit tätigen Nicolaus Seeländer gehen etwa 300 gefälschte „Blech- und Hohlmünzen“, wie man zu den im 12. und 13. Jahrhundert einseitig geprägten Geldstücken aus hauchdünnem Silberblech sagte. Rund 200 liegen in der Fälschungssammlung des Berliner Münzkabinetts, das jetzt einige zeigt. Das Bestreben, durch Herstellung der damals als Geschichtsdokumente und Kunstwerke in Mode gekommenen Brakteaten Ansehen zu gewinnen und Sammler und Gönner zu beeindrucken, machte aus dem Kupferstecher und Buchautor einen Münzfälscher, der die Brakteatenforschung bis in das 19. Jahrhundert in die Irre führte. Heute richten die auffällig scharf ausgeprägten und absichtlich leicht beschädigten Brakteaten keinen Schaden mehr an. Ab und zu kommen sie, als „echte Seeländer“ gekennzeichnet, im Handel vor und erzielen gute Preise.


Nicolaus Seeländer unterhielt in Hannover eine Schule, in der er seine Zöglinge in der Anfertigung von falschen Brakteaten unterwies. Sie richteten zu seiner Zeit in der Forschung großen Schaden an. Um seine Machwerke echt und alt erscheinen zu lassen, hat er sie publiziert, und manch ein Sammler wird sich auch deshalb um sie bemüht haben, weil sie so schön in der damaligen Literatur präsentiert wurden. Foto: Caspar.


Strafen an Leib und Leben blieben dem talentierten Stempelschneider Carl Wilhelm Becker erspart, der vom Fürsten Carl von Isenburg, einem passionierten Münzensammler, zum Hofrat ernannt wurde. In seinem Nachlass fanden sich rund 300 nach historischen Vorlagen beziehungsweise eigenen Entwürfen sorgfältig geschnittene Stempel für Münzen der alten Griechen und Römer bis zu solchen aus mittelalterlicher Zeit. Da Becker über seine Bemühungen genau Buch führte, wissen wir, dass er für die Gravur eines einzigen Stempel mehrere Tage benötigte. Die Fälschungen und einige Gedenkprägungen zeigen, dass er etwas vom Fach verstand. Das bezeugt beispielsweise eine Medaille im Mittelalterstil, anlässlich des Fundes des Grabsteins Kaiser Rudolph von Habsburg im Dom zu Speyer sowie solche zur Ehren seines Arbeitgebers, des Fürsten Carl zu Isenburg-Büdingen, dem es gelang, nach den Befreiungskriegen über ein winziges Territorium zu herrschen, obwohl man in ihm einen Anhänger des 1814 vom Thron gefegten Kaisers Napoleon I. sah. Carl zu Isenburg stand zeitweilig als General in französischen Diensten und hatte von seinem Einsatz in Spanien westgotische Münzen mitgebracht, die sein Hofrat als Vorlagen für seine Stempel verwendete.


„Der Rost macht erst die Münze wert“

Es wird berichtet, dass Becker seine Machwerke über Mittelsmänner serienweise oder einzeln unter die Sammler brachte. Vergeblich versuchte er, auch berühmten Münzkabinetten seine Stempel zu verkaufen. Sie lehnten ab, weil die geforderten Preise zu hoch waren. Obwohl der Hofrat Betrugsabsichten abstritt und wie andere behauptete, Münzsammlern nur einen Gefallen tun zu wollen, damit sie ihre Kollektionen vervollständigen können, lässt sich die an den Tag gelegte kriminelle Energie unschwer nachweisen. Wenn der Fälscher durch die Lande fuhr, scheuerten seine „alten Herren“ in einem Kasten unter der Kutsche. So bekamen die Gold- und Silbermünzen auf holprigen Wegen mit Hilfe einer Paste aus Fett und Metallspänen das Aussehen abgegriffener uralter Geldstücke. Becker setzte die Stempel absichtlich nachlässig auf das Metall und er soll seine Falsifikate auch in Dunghaufen vergraben haben, um ihnen quasi im Schnellverfahren ein altehrwürdiges Aussehen zu verpassen. Lange nach seinem Tod wurde bekannt, dass er sich beispielsweise im Gothaer Münzkabinett Originale antiker Seltenheiten erschlichen hatte. Bei der Patinierung seiner Eulenmünzen und anderen Machwerke beachtete er, was einer seiner Klienten, Johann Wolfgang von Goethe, im „Faust Teil II“ geradezu klassisch formuliert hatte: „Das ist es ja, was man begehrt. / Der Rost macht erst die Münze wert.“


Carl Wilhelm Becker war einer der produktivsten Fälscher des 19. Jahrhunderts. Unrechtsbewusstsein scheint ihn nicht geplagt zu haben. Niemand hat ihn belangt, denn nur die Herstellung minderwertiger oder falscher Kursmünzen stand unter Strafe. Historische Münzen oder Medaillen hingegen genossen diesen gesetzlichen Schutz noch nicht. Und so kam es, dass im 19. Jahrhundert, als das Münzensammeln und der Münzhandel aufzublühen begannen, auch Fälscher aller Art ein reiches Betätigungsfeld fanden. Christian Stoess zeigt an Beispielen, wie Sammler und Händler durch gut gemachte, jedoch nicht als solche gekennzeichnete Nachbildungen übertölpelt wurden.


Gleich neben der Sonderausstellung zeigt das Münzkabinett technisches Gerät und Werkzeuge, die Falschmünzer benutzt haben. Foto: Caspar.


Raritäten für „schmalen Taler“

Die Ausstellung befasst sich nicht nur mit Betrügern, die im Hinterzimmer tätig waren, angeblich um Sammlern bei der Beschaffung schwer erreichbarer Stücke zu helfen, sondern auch mit dem Preußenkönig Friedrich II., der Mitte des 18. Jahrhunderts in großem Stil minderwertige Münzen mit sächsischen Bildern und Wappen, die so genannten Ephraimiten, herstellen ließ. Mit ihnen finanzierte er unter anderem den Siebenjährigen Krieg um Schlesien (1756-1763). Da der Monarch über dem Gesetz stand, konnte er sich Münzverschlechterungen in großem Stil leisten.

Immer wieder fallen Auslandsreisende auf extra für sie angefertigte Touristenfälschungen herein. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl, um Münzfreunde und solche, die es werden wollen, auch für die Gefahren beim Münzkauf zu sensibilisieren. Foto: Caspar.


Dass Raritäten ersten Ranges im Internet für einen „schmalen Taler“ angeboten und Touristen auf extra für sie angefertigte Machwerke hereinfallen, kommt immer wieder vor. Zur Vorsicht fordert die wunderbar gestaltete Ausstellung mit ihren prägnanten Texten in deutscher und englischer Sprache auf. Es verseht sich, dass die Ausstellung bei der Darstellung der Arbeitsmethoden wie Prägen, Gießen und Galvanisieren und der verwendeten Werkzeuge nicht ins Detail geht, um nicht Betrügern Tipps zu geben, wie sie gestalterische und technische Hürden umgehen können.


Helmut Caspar


 

17.05.2024 bis 21.09.2025

Eine Sonderausstellung des Münzkabinetts im Bode Museum

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