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Helmut Caspar

Königreich ohne König – Eine Monarchie in Polen als Puffer zu Russland

Wenn in der Literatur zu den beiden letzten Weltkriegen vom Generalgouvernement die Rede ist, denkt man in erster Linie an die im September 1939 von deutschen Truppen besetzten polnischen Gebiete, die vom Generalgouverneur Hans Frank mit Sitz in Krakau und seinen Helfern mit äußerster Brutalität beherrscht sowie ausgebeutet wurden. Er war der Inbegriff eines korrupten und skrupellosen Machthabers, der das Besatzungsgebiet wie sein Privateigentum regierte und, vom Nürnberger Kriegsverbrechertribunal zum Tode verurteilt, mit anderen Nazigrößen wie Göring, Jodl, Kaltenbrunner, Keitel und Ribbentrop am 16. Oktober 1946 am Galgen endete. Es hatte jedoch bereits im Ersten Weltkrieg ein polnisches Generalgouvernement gegeben. Von deutschen und österreich-ungarischen Truppen besetzt und bis dahin zum Russischen Reich gehörend, wurde das Besatzungsgebiet aus dem so genannten Kongresspolen gebildet. Dieser Name stammte noch aus der Zeit des Wiener Kongresses von 1814/15, auf dem die Verbündeten nach ihrem Sieg über die Truppen des französischen Kaisers Napoleon I. und dessen Verbündeten, wie König Friedrich August I. von Sachsen, die europäische Landkarte neu zeichneten. Dass fremde Mächte Polen hin und her schoben und teilten, war seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts traurige Realität. Das seit August dem Starken sächsisch regierte und anschließend von Stanislaw II. August Poniatowski, einem Favoriten der russischen Zarin Katharina II., der Großen, als König verwaltete Land wurde unter Russland, Österreich und Preußen dreimal geteilt und verschwand 1794 gänzlich von der Landkarte.


Im Ergebnis des Wiener Kongresses wurden das zeitweilig unter sächsischer Herrschaft stehende Herzogtum Warschau, auch Großherzogtum genannt, und weitere Gebiete dem Russischen Reich zugeschlagen. Formal war dieses in Personalunion mit dem Zaren verbundene und auch eigene Münzen emittierende Gebiet ein selbstständiges Königreich. Tatsächlich wurde es aber diktatorisch von einem russischen Generalgouverneur beherrscht, der seine Befehle aus der Hauptstadt Sankt Petersburg erhielt. Immer wieder kam es zu Aufständen gegen die Fremdherrschaft, und es wechselten Perioden der Gewährung von gewisser Autonomie mit solchen, in denen die Besatzer mit der Knute und dem Galgen gegen Freiheitsbestrebungen vorgingen. Die Vertreibung der Russen zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde von den meisten Polen begrüßt, erhofften sie doch von den deutschen und österreichischen „Befreiern“ größere Autonomie sowie mehr Mitsprache- und Entfaltungsmöglichkeiten auf politischem und kulturellem Gebiet.

So stellten sich deutsche Imperialisten und Militaristen die „Neuordnung“ Europas nach einem siegreichen Krieg vor. Alle Feindstaaten sollten Besatzungsgebiete werden. Vermerkt ist auch das Königreich Polen für das kein König gefunden wurde. [Bildquelle: Fotoarchiv von Helmut Caspar].

Dieser Vasallenstaat sollte als eine Art Bollwerk und Schutzwall gegenüber dem Zarenreich fungieren und bei Friedensverhandlungen mit ihm als Faustpfand benutzt werden. Generalgouverneur Hans-Hartwig von Beseler versuchte, im agrarisch geprägten und katholischen Polen, in dem die Bevölkerung zu rund 70 Prozent aus Analphabeten bestand, einen Staat nach deutschem Muster zu errichten mit einem König an der Spitze. Am Vorabend des Kriegsbeginns erklärte Kaiser Wilhelm II. gegenüber einem Vertrauten: „Es ist mein Entschluss, falls Gott unseren Heeren den Sieg verleiht, einen selbstständigen Staat wiederherzustellen, mit welchem im Bunde Deutschland für immer gegen Russland gesichert sein würde.“ Folgerichtig wurde das Gebiet um Warschau nach der Vertreibung der Russen unter deutsche Kontrolle gestellt.


Das von deutschen Truppen besetzte Generalgouvernement Warschau, so der offizielle Name, sollte nicht nur militärisch und politisch beherrscht, sondern auch „moralisch erobert und kultiviert“ werden. Polnische Nationalisten sahen eine Gelegenheit, ihr Land vom zaristischen Joch zu lösen und den polnischen Staat wieder aufzurichten. Die Mittelmächte, unter deutscher Führung, proklamierten 1916 ein unabhängiges Königreich, das in Ermangelung eines Königs von einem Regentschaftsrat geführt wurde.

Die mit den Porträts der Kaiser Wilhelm II. und Franz Joseph geschmückte Medaille aus dem Jahr 1916 feiert Polen als ein am 5. November 1915 ausgerufenes Königreich. Die Medaille spiegelt Einigkeit in der „Polenfrage“ wider, dabei hatten die Verbündeten unterschiedliche Pläne. Das Deutsche Reich dachte an eine von ihm abhängige Monarchie, Österreich-Ungarn wollte sich das sogenannte Kongresspolen, wie schon im späten 18. Jahrhundert, ganz oder teilweise einverleiben. [Bildquelle: Fotoarchiv von Helmut Caspar].

Aus den Fehlern der Vergangenheit lernend, schwebte Generalgouverneur Beseler eine „sanfte Herrschaft“ vor, schließlich könne man 20 Millionen Polen nicht dauerhaft unterjochen. Der Entschluss schließlich, aus dem besetzten Gebiet ein Königreich zu machen, wurde vom Deutschen Reich und Österreich-Ungarn am 18. Oktober 1916 gefasst. Unmittelbar nach der Proklamation der Monarchie sollten die Polen aufgerufen werden, sich als „Polnische Legionen“ unter deutsches Kommando zu stellen. Die feierliche Proklamation der neuen Monarchie, ohne die vom habsburgischen Vielvölkerstaat besetzten Gebiete, fand am 5. Oktober 1916 im Beisein hoher deutscher Beamter und Militärs sowie von polnischen Würdenträgern im Warschauer Schloss statt. Die Besatzer versprachen den Besetzten das Ende der russischen Knechtschaft. Zugleich hofften sie – allerdings mit später nur mäßigem Erfolg –, im Generalgouvernement Arbeitskräfte für das Deutsche Reich als Ersatz für die an der Front eingesetzten Männer rekrutieren zu können. Für das am 5. November 1916 feierlich ausgerufene Königreich Polen wurde neues Geld mit der vom deutschen Vorbild übernommenen und Gleichwertigkeit signalisierenden Angabe „Mark und Fenig“ geprägt und gedruckt. Mit der Ausgabe dieser Nominale verlor der bis dahin kursierende Rubel seine Gültigkeit. Die Banknoten zwischen einer halben und 1.000 Mark sind mit dem einköpfigen und gekrönten weißen Adler geschmückt, den das Land seit vielen Jahrhunderten im Wappen führte. Die Aufschriften sind in polnischer Sprache abgefasst, als Ausgabedatum wird der 9. Dezember 1916 genannt.

Die Banknote zu zehn polnischen Mark von 1917 ist mit dem weißen Königsadler geschmückt. Mit solchem Geld hat man im Pufferstaat zwischen dem Deutschen Kaiserreich und dem Zarenreich bezahlt. [Bildquelle: Fotoarchiv von Helmut Caspar].

Der Jaeger-Katalog „Die deutschen Münzen seit 1871“ nennt riesige Mengen, in denen 1917 und 1918 die Eisenmünzen zu 1, 5, 10 und 20 Fenig und Größen zwischen 15 und 23 Millimetern geprägt wurden. Angegeben werden über 51 Millionen Stück zu einem Fenig sowie 1,9 Millionen beziehungsweise über 19,25 Millionen Exemplare bei den Werten zu 20 Fenig der Jahrgänge 1917 und 1918.

Die 1917 in riesigen Zahlen geprägten Eisenmünzen zu 1, 5, 10 und 20 Fenigów zeigen für das als Monarchie ausgewiesene Generalgouvernement Warschau den gekrönten polnischen Königsadler. [Bildquelle: Fotoarchiv von Helmut Caspar].

Der Plan der deutschen Besatzer, an dessen Spitze einen von ihnen abhängigen König zu stellen, ging wegen des Kriegsverlaufs im Osten und der beiden Revolutionen von 1917 in Russland nicht auf. Wer König werden sollte, ist nicht bekannt.


Nach dem Sturz des Zaren im Jahr 1917 erkannte die russische Provisorische Regierung im März 1917 das Selbstbestimmungsrecht Polens an. Auch die westlichen Alliierten setzten sich für die Wiedererrichtung eines souveränen Staates ein. Im Oktober 1918 rief der Regentschaftsrat das unabhängige Polen aus. Erster Staatschef wurde, ausgestattet mit diktatorischen Vollmachten, Marschall Józef Piłsudski, der die polnischen Grenzen aus der Zeit vor den Teilungen und darüber hinaus vergeblich wiederherzustellen versuchte. Er regierte das Land mit harter Hand und führte einen Krieg gegen die junge Sowjetunion mit dem Ergebnis der völkerrechtlichen Festlegung der nach Osten verschobenen Landesgrenze und erheblicher Landgewinne zugunsten der jungen Republik Polen. Diese war alles andere als stabil, und von demokratischen Verhältnissen konnte ebenso nicht gesprochen werden.


Selbst wenn man heute davon ausgeht, dass die meisten der damals emittierten Münzen durch die am 7. Oktober 1918 gegründete Republik Polen eingezogen und eingeschmolzen wurden, dürfte über hundert Jahre später zur Freude der Sammler doch eine erkleckliche Menge davon erhalten sein, was die moderaten Preise im Handel unterstreicht, von Sonderabschlägen und Fehlprägungen abgesehen. #Polen #Kongresspolen #RepublikPolen #DeutschesKaiserreich #Russland #RussischesReich #Zarenreich #JózefPiłsudski #KaiserWilhelmII #HansHartwigVonBeseler #ErsterWeltkrieg #ZweiterWeltkrieg #Mark #Fenig #Warschau #Generalgouverneur #Generalgouvernement #HelmutCaspar

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