Die Entwicklung der Persönlichkeit von König Ludwig II. von Bayern gibt bis heute Rätsel auf. Sie anhand seiner Münzbilder nachzuvollziehen, fällt schwer. Das ab 1864 auf Gulden und Vereinstalern verwendete Porträt des Königs von Carl Friedrich Voigt unterscheidet sich kaum von jenem des Johann Adam Ries, das auf den zuletzt geprägten Münzen von 1883 verwendet wurde. Ein wesentlich reichhaltigeres Spektrum an Darstellungen ergibt sich unter Berücksichtigung der Medaillen. Die frühe Medaille auf den Regierungsantritt von Martin Sebald zeigt einen vermeintlich unbedarften Jüngling. Die relativ dichte Abfolge der Porträts, die auch Werke von Alois Stanger, Anton Scharff und Max Gube umfasst, zeigt die Entwicklung der Persönlichkeit des Königs über die 22 Jahre seiner Regierung hinweg doch etwas deutlicher.
Marcus Spangenberg, einer seiner Biographen, schärft das Bild mit einer Reaktion auf den Beitrag „König Ludwig II. von Bayern – Der ‚Märchenkönig‘ auf Münzen und Medaillen“ von Dietmar Kreutzer im Oktoberheft der MünzenRevue. Marcus Spangenberg ist Autor des Buches Ludwig II. – Der andere König (Regensburg 2011).
Ludwig II. im Jahr seiner Regierungsübernahme (1864) [Wikimedia, Taubner]
Im oben genannten Beitrag heißt es: „Nachdem sein Vater im März 1864 gestorben war, kümmerte sich Ludwig als neuer König denn auch weniger ums Regieren. Am 17. April 1864 beauftragte er seinen Kabinettssekretär mit der für ihn wichtigsten Mission – Wagner musste nach München geholt werden!“ (Ebenda, S. 151)
Marcus Spangenberg schreibt dazu in einer Mail an den Autor des Artikels: „Im Gegenteil, der auf seine Amtsgeschäfte als König vollkommen unzureichend ausgebildete Ludwig hat sich sehr wohl die ersten beiden Jahre (bis Ende 1866) intensiv um die Amtsgeschäfte gekümmert. Sehr zum Leidwesen seiner Minister, die nachweislich davon ausgingen, sie hätten es nun mit einem manipulierbaren Monarchen zu tun. Zu den Amtsgeschäften gehörte auch der Austausch mit Regenten andere Herrscherhäuser, die über mehrere Wochen in Bad Kissingen und in Bad Schwalbach sowie in München selbst erfolgten. Nie wieder danach hat Ludwig II. so viele Kontakte gepflegt und Besucher empfangen – und kaum Zeit für Begegnungen mit Wagner gehabt.“ Die baldige Einladung Richard Wagners nach München sei kein Beleg dafür, dass Ludwig zu dieser Zeit lieber seinen persönlichen Leidenschaften frönte.
Bayern, Ludwig II. Vereinstaler 1866. 900er Silber, 18,5 g, 33 mm
[Heidelberger Münzhandlung Herbert Grün, Auktion 76, Los 1358]
Zu seinem Privatleben heißt es im Beitrag der Zeitschrift: „Chronisch gestört waren seine zwischenmenschlichen Beziehungen. Latent homosexuell, vermochte er keinen seiner Liebhaber zu halten, seine Verlobte Sophie Charlotte erst recht nicht.“ (Ebenda, S. 152)
Marcus Spangenberg dazu: „Ja, der mindestens homophile König hatte im zwischenmenschlichen Bereich große Defizite. Man würde sich wünschen, er hätte wenigstens einen ‚Liebhaber‘ gehabt. Was Sie als ‚Liebhaber‘ bezeichnen, sind Männer, mit denen Ludwig II. kurzzeitige, äußerst schwärmerische Freundschaften pflegte, aber diese plötzlich auch wieder beendete. Dies vor allem deswegen, weil der König diesen Dualismus von Nähe und Vertrautheit einerseits keineswegs mit seinem andererseits übersteigerten Majestätsverständnis in Einklang bringen konnte. Körperliche Kontakte gab es nachweislich zu zwei langjährigen Vertrauten durch Küsse. Dass er an sich selbst Hand anlegte, vulgo onanierte, hat bei Ludwig größte Gewissensbisse ausgelöst, von denen zahlreiche Tagebucheinträge zeugen. Und was die Verlobte angeht: Nicht sie hat Ludwig II. verlassen (was Sie mit dem Wort ‚halten‘ unterstellen), sondern Ludwig II. hat die Verlobung nach wiederholtem Verschieben des Hochzeitstermins gelöst.“
Goldmedaille zu 15 Dukaten auf die Internationale Kunstausstellung in München 1879.
Medailleur: Anton Scharff. Gold, 52,1 g, 39,5 mm [Künker, Sommer-Auktionen 293-294, Los 3499]
Eine Anmerkung im Detail sei auch zu seinen Vorlieben im fortgeschrittenen Alter erforderlich. Im Beitrag heißt es: „Immer wieder veranstaltete der König in einer Hütte bei Linderhof nächtliche Trinkgelage mit Soldaten der leichten Kavallerie, die zu diesen Zweck in maurischer Tracht anzutreten hatten.“ (Ebenda, S. 156)
Marcus Spangenberg dazu: „Im zitierten Buch steht eindeutig, dass die maurische Tracht im Königshaus auf dem Schachen getragen werden sollte. Mit der ‚Hütte im Linderhof‘ und ‚nächtlichen Trinkgelagen‘ steht dies in keinem Zusammenhang. Und zur Hütte selbst: Richard Hornig sagte, wie es war, nämlich einmal im Jahr soll es diese Veranstaltung gegeben haben. Sie evozieren beim Leser den Eindruck einer bestimmten Häufigkeit und zugleich mit ‚Soldaten der leichten Kavallerie‘ eine bestimmte mann-männliche Situation. Es waren vor allem Stallbedienstete (siehe das von Ihnen angegebene Zitat), die dem Oberststallmeisterstab und nur in seltenen Fällen dem Militär unterstanden.“ Auch in der jüngsten Biographie Ludwig II. – Der unzeitgemäße König (München 2013) von Oliver Hilmes sind die zitierten Vorgänge stark verkürzt dargestellt.
Richtig ist, dass die angesprochenen biographischen Details diskussionswürdig sind. Hat Ludwig seine Braut Sophie Charlotte verlassen oder umgekehrt? In einem Brief der Braut vom Sommer 1867 spricht Sophie Charlotte ihre Affäre mit Edgar Hanfstengl an: „Warum musste ich dich kennen lernen nun da meine Freiheit in Feßeln geschlagen ist?“ (Heinz Gebhardt, König Ludwig II. und seine verbrannte Braut; Pfaffenhofen 1986, S. 112)
Offenbar waren beide Brautleute vor der geplanten Hochzeit bereits auf Abstand zueinander gegangen. Die biographischen Hinweise und Kritikpunkte eines ausgewiesenen Experten zum Leben von Ludwig, wie es Marcus Spangenberg ist, sind freilich berechtigt. Für den numismatischen interessierten Leser des Beitrages über den „Märchenkönig“ auf Münzen und Medaillen dürften sie jedoch nicht von zentraler Bedeutung sein. Die magere Ausbeute an Porträtvarianten des Monarchen auf Münzen und die etwas reichhaltigere auf Medaillen hat in einem solchen Fall einen größeren Stellenwert. Inwieweit lassen sich also das Leben und der Persönlichkeitswandel des Königs heute noch auf numismatischen Zeugnissen ablesen?
Schützenmedaille o. J. (1885). Medailleur: Johann Adam Ries. Silber, 49,8 g, 43 mm [Münzhandlung Ritter]
Schützenmedaille o. J., anders fotographiert. Medailleur: Johann Adam Ries. Silber, 40,6 g, 39 mm
[Leipziger Münzhandlung Höhn, 85. Auktion, Los 2364]
Marcus Spangenberg schreibt in seiner Biographie: „Der König galt in seinen ersten Regierungsjahren als einer der schönsten Monarchen der Welt. […] Als er im 41. Lebensjahr starb, war er ein körperliches Wrack, weit entfernt vom einst viel bewunderten Jüngling.“ Dieser Wandel lässt sich auf Münzen kaum nachvollziehen, weil bis kurz vor dem Tod des Königs eines seiner Jugendbildnisse verwendet wurde. Besser lassen sich solche Veränderungen unter Berücksichtigung der Zeugnisse auf Medaillen erkennen. Die Anmerkung Spangenbergs, dass es im Alltag keinen „beängstigend finsteren Blick“ des Königs gab, ist dabei sehr hilfreich. Auf den späten Medaillen wirkt Ludwig zwar streng. Dies dürfte jedoch seinem absolutistischen Anspruch als Monarch geschuldet sein. Vergleicht man verschieden beleuchtete Abbildungen seiner letzten Schützenmedaillen, weicht auch dort die Strenge aus dem Antlitz. Je nach dem Einfall des Lichtes, wirkt der König milder oder strenger. Ein Charakteristikum der plastischen Besonderheiten des Münz- und Medaillenschaffens!
Den Aufsatz „König Ludwig II. von Bayern – Der ‚Märchenkönig“ auf Münzen und Medaillen“, auf den hier Bezug genommen wird, finden Sie im Oktoberheft von MünzenRevue, das Sie als Druckversion in unserem Shop oder als ePaper hier erwerben können.
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