Am 11. November 1918 morgens betrat ein ungewöhnlicher Asylbewerber das Königreich der Niederlande – der deutsche Kaiser Wilhelm II. Die niederländische Königin Wilhelmina erinnerte sich später: „Ich werde nie jenen Novembermorgen vergessen, als ich sehr früh geweckt wurde und die Nachricht vernahm, dass der deutsche Kaiser in Limburg unsere Grenze überschritten hatte. Ich konnte das Geschehen einfach nicht fassen, es war sicherlich das Letzte gewesen, was ich für möglich gehalten hatte.“ (1) Nach 24 Stunden gewährte ihm die Königin das erwünschte Asyl und wies ihm Schloss Amerongen als vorläufigen Aufenthaltsort zu. Schon bald warteten auf Wilhelmina neue Turbulenzen. Der niederländische Sozialistenführer Pieter Jelles Troelsta rief zum Umsturz auf: „Lasst den Augenblick nicht ungenutzt verstreichen! Ergreift die Macht, die Euch in den Schoß fällt, und tut, was ihr tun müsst und tun könnt. Wir machen die Revolution, weil sie möglich ist und stattfinden muss.“ (2) Die Revolution schien vor der Tür zu stehen! Am königlichen Palais von Noordeinde wurden Maschinengewehre in Stellung gebracht. Der Sekretär von Königin Wilhelmina holte heimlich zwei Koffer voller Juwelen beim Schatzmeister ab und verbarg überdies 40.000 Gulden in bar an seinem Körper, um der Königin und der Prinzessin mit einem Notgroschen zur Flucht verhelfen zu können. Doch es kam anders. Für den 18. November 1918 organisierte die königstreue Bevölkerung eine Jubelkundgebung für das Königshaus und ihre Monarchin.
Hendrikus Colijn (1869-1944) bei seinem Antritt als Ministerpräsident im Jahr 1925 – Bildquelle: Wikimedia, Library of Con.
Die Wirtschaft der Niederlande florierte in den 1920er Jahren, jedenfalls bis in das Jahr 1929 hinein. Der Goldstandard aus der Vorkriegszeit mit dem Tientje, dem goldenen Zehn-Gulden-Stück als Standardmünze, konnte ohne Probleme aufrechterhalten werden. Doch am 29. Oktober 1929 brachen die Kurse an der Wallstreet in New York ein. Die Banken vergaben keine Kredite mehr. Innerhalb weniger Jahre halbierte sich die weltweite Industrieproduktion. Das Handelsvolumen ging um zwei Drittel zurück. Die Niederlande wurden mit voller Wucht getroffen. Auf dem Höhepunkt der Krise waren bei einer Bevölkerung von acht Millionen etwa 340.000 Menschen arbeitslos. Die konservative Regierung von Hendrikus Colijn versuchte einen rigiden Sparkurs durchzudrücken. Der Staatshaushalt wurde von 1929 bis 1933 halbiert: „Das Ehepaar Colijn – das ein Millionenvermögen besaß – hielt Radioansprachen, worin es erläuterte, wie man mit wenig Geld über die Runden kommen konnte, und Frau Colijn erklärte den Hausfrauen, wie man aus Fischköpfen noch eine leckere Suppe zubereitete.“ (3)
2 ½ Gulden (Niederlande, 1930, 720er Silber, 25 Gramm, 38 mm) – Bildquelle: Katz Auction 119, Lot 1288.
Auch der Gulden wurde mit seiner hohen Kaufkraft stabil gehalten. Wie verheerend sich die Politik von Colijn ausgewirkt hatte, ließ sich feststellen, als sich die Niederlande im September 1936 endlich den Gulden um 20 Prozent abwerteten. Die Konjunktur sprang an!
2 ½ Gulden (Niederlande, 1962, 720er Silber, 15 Gramm, 33 mm) – Bildquelle: B&K Numismatics and Collectibles.
Die Niederlande hatten im 19. Jahrhundert lange Zeit einen Silberstandard. Als größte Silbermünze lief der Rijksdaalder zu 2,5 Gulden um. Er war im Jahre 1840 eingeführt worden, um den weithin kursierenden französischen Münzen zu fünf Francs ein ähnliches niederländisches Silberstück entgegensetzen zu können. Erstmals unter König Wilhelm I. geprägt, wurden die schweren Silbermünzen auch von allen seinen Nachfolgern ausgegeben. Mit der Einführung des Goldstandards im Jahre 1873 waren der Rijksdaalder und die silbernen Guldenstücke nur noch Scheidemünzen. Der große Rijksdaalder wurde nur noch sporadisch ausgegeben: „Das besondere bei dem 2,5-Gulden-Stück ist, dass die Ausprägung nach einer über 30-jährigen Prägepause erst 1929 wieder aufgenommen wurde. In der Regierungszeit von Wilhelmina erschien vorher nur der Krönungstyp mit der Jahreszahl 1898 in einer Auflage von 100.000 Stück. Die 2,5-Gulden-Stücken zwischen 1929 und 1940 wurden in Millionenauflagen ausgeprägt. Die niedrigste Auflage hatte das Jahr 1938 mit zwei Millionen.“ (4)
2 ½ Gulden (Niederlande, 1982, Nickel, 10 Gramm, 29 mm) – Bildquelle: Numismatica Quetzalcoatl.
Die Einziehung der Rijksdaalder und des übrigen Silbers im Zweiten Weltkrieg ignorierte die Bevölkerung. Nur 2,7 Prozent des Umlaufs wurden abgeliefert. Nach Kriegsende fanden die Münzen wieder in den Umlauf. So konnte die Regierung den Münzumlauf mit Prägungen ergänzen, die sie schon während des Krieges in den Vereinigten Staaten beauftragt hatte. Ab dem Jahrgang 1959 wurde der Rijksdaalder infolge der Inflation verkleinert. Im Jahr 1969 wurde er aufgrund des steigenden Silberpreises auf Nickel umgestellt.
Hippies im Zentrum von Amsterdam (August 1973) - Bildquelle: Wikimedia, Nationaal Archief.
Auch die Lebensverhältnisse in den Niederlanden änderten sich. Der Publizist Gert Maak erinnert sich an einen Film über die Jugend, den er als 18-Jähriger im Herbst 1964 mit seinen Eltern im Kino sah. Eine Prostituierte sagte da noch: „Es ist schon ein seltsames Gefühl, wenn man sich so einem wildfremden Kerl splitternackt zeigen muss!“ (5) Ein schwuler Jugendlicher, dessen Gesicht unkenntlich gemacht war, druckste herum: „Also, ich habe kein Mädchen. Es ist so, ich bin, ich finde, es hört sich ganz komisch an, wenn ich das sage … also, ich habe einen Freund.“ (6)
Wenige Jahre später erlebte Maak als Student den großen Befreiungsschlag. Das Zentrum von Amsterdam und dort vor allem der Vondelpark entwickelten sich zu einer Anlaufstelle für Hippies aus ganz Europa. Überall langhaarige Jugendliche, manche sogar splitternackt! Ein Pressebericht schilderte den Striptease zweier junger Männer: „Ringsum heulten die Kofferradios von den Beatles über Elvis bis zu Johnny Hallyday. Unter rhythmischem Händeklatschen und Füßegetrampel tanzten die beiden um das Nationalmonument, sich dabei der letzten verbliebenen Hülle, eines weißen Slips, entledigend.“ (7) Zum Sex zogen sie sich in ihren Schlafsack zurück. Im Jahre 1972 reagierte die Stadtverwaltung nach langer Diskussion auf das öffentliche Treiben der überall in der Stadt campenden Hippies: Harte Drogen und der öffentliche Sex waren ab sofort verboten!
Dietmark Kreutzer
Quellenangaben:
Friedrich Hartau: Wilhelm II., Reinbek 1978, S. 166.
Gert Maak: Das Jahrhundert meines Vaters; München 2005, S. 105.
Ebenda, S. 168.
Wilfried Dürr: Wilhelmina – Prinzessin, Königin, Prinzessin; in: MoneyTrend, Heft 9/2002, S. 140f.
Maak, S. 503.
Ebenda.
Hippies immer schamloser; in: Chronik der Schwulen – Die siebziger Jahre; Männerschwarm Verlag, Hamburg 2007, S. 8.
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