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Helmut Caspar

Inflation vor 100 Jahren – „Hexensabbat der fantastischen Irrsinnszahlen“

Druckereien und Prägeanstalten waren in der Inflationszeit vor einhundert Jahren stark gefordert


In der Zeit der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg haben die Medien Tag für Tag registriert, welche neuen Geldscheine gedruckt werden und was man für sie bekommt, wenn man sie schnell wieder ausgibt. Numismatische Zeitschriften sind interessante historische Quellen, weil sie sehr gut den Geist der Zeit und die Besorgnisse der Bevölkerung über die unkontrollierte Ausgabe von Geldscheinen

in immer höheren Werten widerspiegeln. Im Februar 1923 war in den „Blättern für Münzfreunde“ (BfM)

zu lesen:

„Die Tagesproduktion, die in den letzten Tagen 35 Milliarden Papiermark betrug, ist auf 45 Milliarden gesteigert. Die Einführung des 50 000 Markttyps gestattet eine weitere Steigerung um 15 Milliarden im Tag, die in der nächsten Woche bereits bis auf 75 Milliarden Gesamtproduktion heraufgeführt werden soll. Für die Herstellung von Zahlungsmitteln werden von der Reichsbank 33 Druckereien und 12 Papierfabriken in Anspruch genommen. Durch die demnächst erfolgende Herstellung von 20 000 Mark- bis 100 000 Markscheinen und vermehrte Herausgabe von 100 000 Marknoten kleineren Umfangs, die bereits zu Löhnungszwecken sehr begehrt sind, wird die tägliche Leistungsfähigkeit von Ende des Monats ab auf mindestens 125 Milliarden Tagesproduktion gebracht werden können. Der Monat März dürfte also mehr als 3 Billionen Mark neue Zahlungsmittel in den Verkehr bringen.“

Bild 1) Das habe er nicht gewollt, stöhnt Johannes Gutenberg, vor einer Druckerpresse stehend, aus der unterbrochen wertlose Geldscheine strömen. In Inflationszeiten klagen die beiden Bettler über die verkehrte Welt mit diesen Worten: „Frühe, wenn d' a Geld 'bettelt hast, hast Brot 'kriegt – heut', wenn d' um a Brot bettelst, kriegst bloß a Geld.“



Wie rasant sich die Preise entwickelten, mögen einige Angaben von 1923 erhellen. Am 3. Januar kostete in Berlin ein Kilogramm Roggenbrot 163 Mark, am 1. September 9,4 Millionen und am 19. November,

auf dem Höhepunkt der Inflation, 233 Milliarden Mark. Für ein Kilogramm Rindfleisch betrugen die Kosten an den gleichen Stichtagen 1.800, 80 Millionen und 4,8 Billionen Mark, und für ein Zentner Briketts wurden zu Jahresbeginn 1.865 Mark, am 1. September 1923 82,4 Millionen und am 19. November 1 Billion 372 Milliarden Mark verlangt. Ähnlich entwickelten sich die Preise bei der Post, die beim Druck von Briefmarken mit immer neuen Zahlen nicht hinterherkam, und auch Fahrpreise schnellten in schwindelerregende Höhen. Ihnen hinkten die Löhne, Renten und Pensionen hinterher, und so rutschten Millionen Menschen in die Armut ab.


Bild 2 und 3) Während der Inflationszeit hat man Banknoten in großen Körben transportiert,

danach wurden die Millionen-, Milliarden- und Billionenscheine dem Schredder überantwortet,

verbrannt oder dienten Kindern als Spielzeug.



Unter diesen Bedingungen hatte Hartgeld keine Chance. Daher notieren die „Blätter für Münzfreunde“

an gleicher Stelle, die geplanten Neuprägungen von 10, 100 und 500 Markstücken aus Aluminium seien „bei dem durch diese Papiergeldquantitäten verursachten weiteren Währungssturz undurchführbar“. Münzen aus unedlem Metall hatten nur noch Schrottwert, und so erfahren die Leser, dass in Neuß bei einem Altwarenhändler 30 Kilogramm Nickelmünzen im Wert von 9000 Mark beschlagnahmt wurden.

In der Zeitschrift findet sich diese Bemerkung: „Die wohltätige Kehrseite der Papiergeldinflation ist die von der Berliner Falschgeldabteilung der Kriminalpolizei festgestellte Abnahme der Papiergeldfälschungen, weil zu kostspielig.“ Ganz untätig allerdings waren Fälscher nicht, denn sie ahmten farbige Auf- und Überdrucke bei Banknoten nach, die damit einen weitaus höheren Wert bekamen als ursprünglich auf ihnen angegeben war.


Bild 4 und 5) Die frühen Aluminiummünzen aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sehen zwar gut aus, aber kaufen konnte man mit ihnen kaum etwas. Da der leichtgewichtige Verfassungstaler von 1922 auch nur aus billigem Material bestand, konnte nach Meinung vieler Leute mit dem ganzen „System“ nichts stimmen.



Mit Gründung der Deutschen Rentenbank am 16. Oktober 1923 und der Einführung der Rentenmark einen Monat später hatte die unselige Inflation, die Bettler weiterhin zu Millionären und Milliardären gemacht, aber nicht wirklich von ihren Sorgen erlöst hatte, ein Ende. Für kurze Zeit hat man noch die höheren Milliarden- und Billionenscheine neben der neuen Rentenmark verwendet. Doch wurden sie, da sie praktisch wertlos waren, alsbald eingezogen und im Sommer 1925 für ungültig erklärt. In der Presse und im Kino sah man, wie Berge von Papiergeld zusammengekehrt und verbrannt wurden.


Bild 6) Viele Geldscheine der Inflationszeit und vor allem regionale Notgeldausgaben sind interessante Zeitzeugnisse und Kunstwerke zugleich, hier ein Beispiel aus Saalfeld in Thüringen. Namhafte Designer traten als Gestalter von oft witzigen Scheinen im Stil der Neuen Sachlichkeit oder des Biedermeier auf.



Nach dem Ende der Inflation begann eine kurze Periode wirtschaftlicher Erholung. Zur Schaffung einer neuen, stabilen Währung wurden Industriebetriebe und der landwirtschaftliche Grundbesitz mit Rentenbankbriefen belastet. Dadurch erhielt die neue Rentenbank ein Kapital von 32 Milliarden Rentenmark, von denen nur 24 Milliarden Rentenmark in Form eiligst gedruckter Noten gegen das alte Inflationsgeld umgetauscht wurden. Eine Rentenmark entsprach einer Billion Papiermark.

Der Schriftsteller Stefan Zweig nannte in seinem Buch „Die Welt von gestern“ die Inflation einen „Hexensabbat der fantastischen Irrsinnszahlen“ und stellte fest, nichts habe das deutsche Volk

„so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation“. In der Tat hat die mit der Inflation verbundene Verelendung der Bevölkerung und die Unfähigkeit des Staates, mit den enormen wirtschaftlichen Folgen des verlorenen Ersten Weltkriegs fertig zu werden, im Deutschen Reich die Radikalisierung vorangetrieben. Zehn Jahre später waren die Nationalsozialisten an der Macht.


Bild 7 und 8) Natürlich nahmen sich auch Medailleure des Themas an. Friedrich Wilhelm Hörnlein verbindet das Bild eins sogenannten Kornjuden mit einer Klage über schlechte Zeiten und wie es einem verarmten und hungernden Paar ergeht. Im Stil von Hungermedaillen des 18. und 19. Jahrhunderts enthält die Medaille auch Angaben über Lebensmittelpreise, die im Laufe des Jahres 1923 rasant in die Höhe schnellten. Das Einkommen der meisten Menschen hielt mit dieser bedrohlichen Entwicklung nicht Schritt.



In der "Weimarer Republik" galten die aus Kaisers Zeiten übernommenen Goldmünzen zu 10 und 20 Mark, ferner die Ein-, Zwei- und Drei-Mark-Stücke aus Silber mit dem kronengeschmückten Adler sowie die kupfernen Ein- und Zweipfennigstücke weiter. Da neue Münzen nicht schnell genug bereitgestellt werden konnten, war es gestattet, weiterhin mit Hartgeld zu bezahlen, auf denen Fürstenbildnisse und der kaiserliche Adler abgebildet sind. Hingegen wurden zum Teil noch aus der Zeit der Monarchie stammende Kleinmünzen aus Nickel, Aluminium, Eisen und Zink außer Kurs gesetzt. Das verwendete Material endete ruhmlos in den Schmelztiegeln der metallverarbeitenden Industrie. Einer Information

in den Blättern für Münzfreunde zufolge nahm der Reichstag am 13. März 1924 einen Gesetzentwurf über die Prägung neuer Silbermünzen zu einer bis drei Mark an, „jedoch nicht des alten Fußes, sondern nach der englischen Legierung von 1920 halbfein. Man erwägt, mit Gründung der Goldnotenbank das englische Goldpfund einzuführen“, was dann über gewisse Planungsstadien, in denen auch Münzentwürfe eine Rolle spielten, nicht hinauskam.


Bild 9) Karl Goetz nahm Kriegsgewinnler und Kriegsverlierer, aber auch Spekulanten und wie auf dieser Medaille die zerstörerische Geldentwertung am Beispiel des Goldpreises satirisch aufs Korn.



In dem vom Reichstag angenommenen Münzgesetz wurde festgelegt, dass die neuen Münzen nur in dem Maße in den Verkehr gegeben werden sollen, „in welchem andere Zahlungsmittel dauernd aus dem Verkehr zurückgezogen werden“. Hinsichtlich der Menge der zu prägenden Münzen legte das Gesetz fest, dass der Gesamtbetrag der neuen Reichssilbermünzen bis auf weiteres fünf Mark „für den Kopf“ der Bevölkerung des Reiches nicht übersteigen soll. „Er kann mit Zustimmung des Reichsrats bis auf 10 Mark erhöht werden“. Niemand sei verpflichtet, neue Reichssilbermünzen im Gesamtbetrage von mehr als 20 Goldmark in Zahlung zu nehmen. Von den Reichs- und Landeskassen wurden sie in jedem Betrag in Zahlung genommen.


Bild 10 und 11) Da die Geldfabriken mit der Herstellung von immer neuen Banknoten nicht hinterher kamen, hat man höhere Wertangaben einfach gut sichtbar auf die Scheine aufgedruckt. Der Gipfel der Geldscheinproduktion war die Ausgabe vom 15. Februar 1924 zu 100 Billionen Mark. Da allerdings war die Inflation schon seit ein paar Wochen überwunden.


Helmut Caspar


Literaturempfehlung:

Hans-Ludwig Grabowski:


Die deutschen Banknoten ab 1871

Das Papiergeld der deutschen Notenbanken, Staatspapiergeld, Kolonial- und Besatzungsausgaben, deutsche Nebengebiete und geldscheinähnliche Wertpapiere und Gutscheine


ISBN: 978-3-86646-224-3

Auflage: 23. Auflage 2023/24

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