Walther von der Vogelweide und Tilman Riemenschneider kamen 1930, 1980 und 1981 zu numismatischen Ehren.
Wer vor der Würzburger Bischofsresidenz steht und den vom Architekten Gabriel von Seidl und dem Bildhauer Ferdinand von Miller geschaffenen und 1894 eingeweihten Frankonia-Brunnen näher betrachtet, erkennt drei sog. Sockelfiguren.
Die Miniatur aus dem Codex Manesse, bekannt auch als Heidelberger Liederhandschrift, aus der Zeit um 1300 zeigt den Minnesänger, wie er, auf einem Stein sitzend, über Gott und die Welt nachdenkt. I
m Mai 2023 nahm die UNESCO den Codex
in die Liste des Weltdokumentenerbes auf. Foto: Universitätsbibliothek Heidelberg.
Zu Füßen der Allegorie des Frankenlandes haben sich der Minnesänger Walther von der Vogelweide (um 1170 bis um 1230), der Holzbildhauer und Bildschnitzer Tilman Riemenschneider (um 1460 bis 1531) und der Maler Matthias Grünewald (um 1480 bis um 1530) niedergelassen. Es fügt sich, dass der Minnesänger und Riemenschneider auch zu numismatischen Ehren gelangten.
1930 widmeten die "Weimarer Republik" und die Republik Österreich dem berühmten Ritter und Minnesänger Walther von der Vogelweide eine Drei-Mark- bzw. eine Zwei-Schilling-Münze.
Der 450. Todestag von Tilman Riemenschneider war 1981 die Prägung einer von Heinz Rodewald gestalteten Fünf-Mark-Münze wert, und als 1980 von der Vogelweides 750. Todestag begangen wurde, kam in der Bundesrepublik eine von Matthias Furthmair gestaltete Gedenkmünze zu fünf Deutsche Mark heraus.
Dass Künstler durch Medaillen geehrt wurden und werden, ist bekannt. Entsprechende Ausgaben werden gern gesammelt und sind auch in der Fachliteratur gut dokumentiert. Dass aber auch Gedenkmünzen Malern und Musikern, Bildhauern, Architekten und vielen anderen Persönlichkeiten sowie Wissenschaftlern und Politikern gewidmet wurden, war erst nach der Abschaffung der Monarchie 1918 im Zusammenhang mit der Novemberrevolution möglich. So kam es, dass 1930 in allen sechs deutschen Münzstätten das Drei-Mark-Stück Walther von der Vogelweide geprägt wurde. Die Besonderheit dabei ist, dass man das Motiv mit veränderter Rückseite auch im benachbarten Österreich prägte. Gestalter der Münze war der Berliner Maler, Grafiker und Bühnenbildner Eddy (Edmund) Smith, der auch Briefmarken und Medaillen entwarf. Er nahm sich eine berühmte Miniatur in der Manesseschen Liederhandschrift aus dem frühen 14. Jahrhundert zum Vorbild, die sich im Besitz der Heidelberger Universitätsbibliothek befindet und daher auch Große Heidelberger Handschrift genannt wird. Das zu dem farbigen Bild passende mittelhochdeutsche Gedicht beginnt mit folgenden, ins Neuhochdeutsche übertragenen Worten:
„Ich saß auf einem Stein / Und schlug Bein über Bein, / Den Ellenbogen setzt’ ich auf / Und schmiegt in meine Hand darauf / Das Kinn und eine Wange“.
Das Bild aus der Heidelberger Liederhandschrift wurde auf den Walther von der Vogelweide gewidmeten Gedenkmünzen von 1930 und 1980 adaptiert.
Der Poet sitzt mit leicht geneigtem Kopf auf einem grün bewachsenen Hügel. Dass er von Adel ist, unterstreichen das Wappenschild mit einem im Käfig gehaltenen Vogel darin, der Helm mit einer solchen Zier und das an die Steine gelehnte Schwert. Von den Beinen geht eine unbeschriebene Schriftrolle in Richtung Himmel. Dass die Bildseite der Minnesänger-Münze mit der eines österreichischen Zwei-Schilling-Stücks von 1930 übereinstimmt, ist ein einmaliger Vorgang, denn solche Parallelprägungen suchen in der Münzgeschichte beider Länder ihresgleichen.
Beide Münzen unterscheiden sich nur durch die Rückseiten. Die deutsche Version zeigt den Reichsadler, die österreichische ist mit den Wappenschildern der einzelnen Bundesländer geschmückt.
Während Walter von der Vogelweide am Sockel des Würzburger Frankonia-Brunnens nachdenklich in die ferne blickt (links) ist Tilman Riemenschneider dabei, eine Holzfigur zu schnitzen. Zum Bürgermeister seiner Stadt gewählt, geriet er in die Wirren der Reformation und des Bauernkriegs.
Würzburgs Fürstbischof Konrad von Thüringen siegte über seine Gegner und rächte sich blutig an den Bauern und anderen Freiheitskämpfern. Dafür, dass man dem Bildschnitzer im Gefängnis die Finger gebrochen hat, um ihn an seiner Arbeit zu hindern, fehlen die Beweise. Nach seiner Freilassung erhielt er allerdings keine größeren Aufträge mehr.
Die Initiative für die ungewöhnliche Prägung ging vom Oberbürgermeister von Würzburg, Hans Löffler aus, der auch die Ausgabe einer Sonderbriefmarke vorschlug und deutsch-österreichische Gedenkfeiern, Wanderwochen und Gesangsdarbietungen plante. In seinem Antrag an das Reichsfinanzministerium betonte der Kommunalpolitiker, die Bedeutung des großen deutschen Minnesängers bedürfe keiner näheren Begründung.
„Besondere Hervorhebung verdient, daß sein Name mit den verschiedensten Stätten deutscher Kultur, so mit Würzburg und der Wartburg, mit Wien, Innsbruck und, was nicht vergessen werden darf, mit den südlich davon gelegenen, abgetretenen Landstrichen deutscher Zunge (Bozen) auf das Engste verbunden ist. [...] Ich bitte daher ergebenst sich damit einverstanden zu erklären, daß ich den Reichskunstwart beauftrage, zur Herstellung eines entsprechenden Münzbildes das Erforderliche zu veranlassen.“
Angesprochen wurde Reichskunstwart Edwin Redslob, über dessen Schreibtisch seit seinem Amtsantritt im Jahr 1920 die Entwürfe für Wappen und Geldscheine, aber auch Kurs- und Gedenkmünzen sowie Preismedaillen der "Weimarer Republik" gingen. Bis zu seiner Entlassung zu Beginn der Nazidiktatur 1933 war der Kunsthistoriker und Museumsmann mit seinem dem Reichsinnenminister in Berlin unterstellten Amt auch für die Gestaltung von Siegeln, Wappen und Fahnen zuständig. Darüber hinaus hatte Redslob für die Ausgestaltung offizieller Feierlichkeiten sowie für Gedenkstätten des Deutschen Reichs Sorge zu tragen.
Abb. 1: Reichskunstwart Prof. Dr. Edwin Redslob (1929), Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-08205/CC-BY-SA 3.0.
Der aus Weimar stammende Edwin Redslob hat sich mit großer Hingabe und viel Ideenreichtum der Gestaltung von Münzen und Medaillen gewidmet und war eifrig bemüht, passende Bilder und Inschriften für die einzelnen Ausgaben zu finden.
Sein amtlicher Nachlass wird im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde verwahrt. Die Dokumente sind wichtige Quellen für die Klärung der Frage, wie es zwischen 1920 und 1933 zur Prägung von Kurs- und Gedenkmünzen kam, welche Themen ausgewählt wurden, warum bestimmte Künstler als Gestalter gewonnen wurden und andere nicht und warum man bestimmten Jubiläen durch Sonderprägungen „adelte“ und anderen nicht.
Die näheren Umstände werden in meinem Buch „Einigkeit und Recht und Freiheit. Ein Streifzug durch die Münz- und Geldgeschichte der Weimarer Republik“ beleuchtet.
Albrecht Dürer und Lucas Cranach waren Zeitgenossen von Tilman Riemenschneider.
Ihnen widmeten die "Weimarer Republik" 1928 sowie die Bundesrepublik Deutschland und die DDR 1971 und 1972 Gedenkmünzen zu 10 und 20 Mark. Sie verzichten auf ein Porträt, sondern bilden nur die Zeichen AD beziehungsweise die geflügelte Schlange ab, mit denen beide Künstler ihre Werke signierten.
Walther von der Vogelweide, der wahrscheinlich um 1170 im heutigen Österreich geboren wurde und 1230 starb, wurde im Jubiläumsjahr 1930 in Deutschland und in Österreich als ein Künstler "deutscher Zunge" gefeiert, der die Spruchdichtung seiner Zeit um neue Ausdrucksformen, Wörter und Wendungen bereicherte. Für den Parteigänger der kaiserlichen Zentralgewalt, der eine Zeitlang am Hof in Wien lebte und in oder um Würzburg ein ihm vom Kaiser geschenktes Lehen besaß, galten die nach dem Ersten Weltkrieg gezogenen Grenzen nicht, und so lag es nahe, dass das Deutsche Reich und Österreich eine gemeinsame Prägung auflegten.
Im Gedenken an das bewegte Leben und das Wirken des Minnesängers haben Politiker eine Möglichkeit gesehen, den laut "Versailler Vertrag" von 1919 verbotenen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und die Zurückgewinnung abgetretener Gebiete zu propagieren. Höchste deutsche Stellen, die lange vor Hitler für einen Anschluss Österreichs an das Reich eintraten, unterstützten den Plan für die gemeinsame Münze. So notierte Reichskunstwart Edwin Redslob über eine Sitzung des Österreichisch-Deutschen Volksbundes unter der Leitung des Reichstagspräsidenten Paul Löbe am 20. Februar 1930, sein (Redslobs) Vorschlag, ein einheitliches Geldstück zu drei Reichsmark beziehungsweise zwei Schilling in Berlin und Wien zu prägen, habe „lebhafte Zustimmung“ gefunden. Die von Löbe dem österreichischen Bundeskanzler Schober unterbreite Idee fiel in Wien auf fruchtbaren Boden. Nach Zustimmung durch den Reichsrat, der als Vertretung der damaligen deutschen Länder im Reich in Münzangelegenheiten das letzte Wort hatte, wurde, erstmals und nie wieder in der Münzgeschichte beider Länder, die Gedenkmünze
„als Symbol der gemeinsamen Kulturleistungen des Deutschtums im Reich und in Österreich“ realisiert, wie es in einem Dankschreiben des österreichischen Bundesministers der Finanzen vom 24. Juli 1930 für die Überlassung der für die Prägung notwendigen Werkzeuge heißt.
Als die Bundesrepublik Deutschland 1980 den 750. Todestag des Minnesängers mit einem Fünf-Mark-Stück ebenfalls unter Verwendung der Vorlage in der Manesseschen Liederhandschrift feierte, wurde dies damit begründet, dass die Münze von 1930 nur noch bei Münzsammlern in Erinnerung sei und man jetzt eine „bedeutende Persönlichkeit aus einer weit zurückliegenden Kulturepoche“ würdigen wolle. Wie ein Blick in das Buch „Geldkunst Kunstgeld – Deutsche Gedenkmünzen seit 1949. Gestaltung und Gestalter“ (Osnabrück 2006) ergibt, gab es außer der in einer Auflage von 500.000 Stück in München geprägten Münze nach einem Entwurf von Mathias Furthmair auch andere Entwürfe, die auf das bekannte Minnesängerbild verzichteten. Während die deutsche Münze von 1930 die Randschrift "EINIGKEIT UND RECHT UND FREIHEIT" als Zitat aus dem Deutschlandlied von Heinrich Hoffmann von Fallersleben besitzt, hat man sich 1980 für den Ausspruch "WOL VIERZEC JAR HAB ICH GESUNGEN ODER ME" entschieden. Edwin Redslob, der sich immer auch um passende Randschriften bemühte, hätten dieses Zitat sicher gefallen.
Helmut Caspar
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