Der antiken griechischen Mythologie zufolge, soll der Sonnengott Helios, weil er bei der Verteilung der Erde zu spät kam, die eben erst aus dem Meer aufgetauchte Insel Rhodos erhalten haben. Die Verehrung, die Helios auf Rhodos erfuhr, war enorm und reichte bis in die mythische Vorzeit.
Abb. 1: Tetradrachmon (um 385 v. Chr.), Silber, 15,06 g, Ø (Höhe, Vs.) 25 mm, Münzstätte Rhodos.
Bildquelle: F. R. Künker, Auktion 71 (12. März 2002), Los 355.
Die antike Geschichte der Insel Rhodos wurde stark von ihrer geographischen Lage geprägt und war äußerst wechselhaft. Während der letzten Phase des Peloponnesischen Krieges, genauer gesagt um 408/407 v. Chr., gründeten die rhodischen Städte Kamiros, Ialysos und Lindos durch Zusammenlegung (Synoikismos) die neue Hauptstadt Rhodos an der Nordspitze der Insel. Nach einem vorübergehenden Anschluss an Sparta und einer Mitgliedschaft im Zweiten Attischen Seebund geriet die Stadt in den Herrschaftsbereich der karischen Hekatomniden. Von 357 bis 353 v. Chr. stand sie unter der Kontrolle des Maussollos und zwischen 351 und 334 v. Chr. unter der seiner Nachfolger Hidrieus, Pixodaros und Rhoontopatos. 332 v. Chr. fiel sie an Alexander den Großen und seine Makedonen. In der Diadochenzeit konnte sie ihre politische Unabhängigkeit bewahren, nachdem es ihr gelungen war mit Hilfe von Ptolemaios I. von Ägypten, die Belagerung durch Demetrios Poliorketes (305-304 v. Chr.) erfolgreich abzuwehren. Die Ehrungen, die Ptolemaios I. hiernach von den Rhodiern erhielt,
„gipfelten in der Einrichtung eines Kults für den Gott Ptolemaios – das Amun-Orakel hatte sein Einverständnis erklärt – und im Bau eines Ptolemaion.“ (1)
Zusätzlich verliehen ihm die Rhodier den Ehrentitel „Retter“ (Soter). Seinem Stadt- und Hauptgott Helios aber errichtete Rhodos zum Dank ein monumentales Bronzedenkmal – den sogenannten „Koloss von Rhodos“, eines der sieben Weltwunder. Bei einem verheerenden Erdbeben im Jahre 226/225 v. Chr. wurde diese bronzene Heliosstatue allerdings genauso zerstört wie ganze Teile der Stadt.
Abb. 2: Didrachmon (340–316 v. Chr.), Silber, 6,86 g, Ø (Höhe, Vs.) 19 mm, Münzstätte Rhodos.
Bildquelle: F. R. Künker, Auktion 367 (6. April 2022), Los 7242.
Mit den Römern, die ihre Expansion in den hellenistischen Osten um 200 v. Chr. begannen, unterhielt Rhodos von Anfang an gute Beziehungen. Und da sich die Stadt als loyaler Partner der Römer im Krieg gegen den Seleukidenkönig Antiochos III. erwies, wurde sie 188 v. Chr. im Frieden von Apameia mit der Herrschaft über Karien und Lykien belohnt. Zum Eklat mit Rom kam es jedoch als Rhodos gut 20 Jahre später während des Dritten Makedonischen Krieges eine promakedonische Haltung einnahm und nach größerer Unabhängigkeit strebte. Rom reagierte mit harten Sanktionen: nahm der Stadt 167 v. Chr. ihre karischen und lykischen Territorien wieder ab und erhob Delos 166 v. Chr. zum Freihafen. Dabei traf diese Erhebung die Stadt weitaus stärker als der Verlust der kleinasiatischen Festlandbesitzungen. Denn mit dem Aufstieg von Delos verlor Rhodos seine Stellung als Handelsvormacht und büßte damit viel von seiner politischen und maritimen Bedeutung ein. Eine Tatsache, die auch der 164 v. Chr. geschlossene Bündnisvertrag mit Rom nicht kompensieren konnte. Als Verbündeter Roms wehrte Rhodos 88 v. Chr. den Angriff der Flotte Mithradates VI. von Pontos erfolgreich ab, doch war sein Verhältnis zu Rom insbesondere während des römischen Bürgerkriegs keineswegs spannungsfrei. So unterstützte es in dieser Zeit sowohl Pompeius als auch Caesar, ehe es dann 42. v. Chr. durch Cassius geplündert wurde und zahlreiche Kunstwerke (darunter auch die Laokoongruppe) nach Rom verschleppt wurden. In der Kaiserzeit war Rhodos de facto immer von Rom abhängig. Trotzdem blieb es eine wohlhabende Stadt sowie ein kulturelles Zentrum und ein Studienort vornehmer Römer. An seine frühere Blüte konnte es indes nicht mehr anknüpfen.
Helioskopf ohne Strahlenkranz
Nachdem die Hauptstadt Rhodos um 408/407 v. Chr. gegründet worden war, trat der Sonnengott Helios, als Schutzpatron der Insel, auch numismatisch in Erscheinung. So zeigen nahezu alle Gold- und Silbermünzen von da an vorderseitig das Porträt des Helios und rückseitig eine aufblühende Rose mit Seitentrieb und Knospe. (Abb. 1–4)
Abb. 3: Stater (um 340–316 v. Chr. [nach Hoover] oder um 333–323 v. Chr. [nach Münzkabinett Staatliche Museen zu Berlin]), Gold, 8,60 g, Ø (Höhe, Vs.) 17 mm, Münzstätte Rhodos. Bildquelle: https://ikmk.smb.museum/object?lang=de&id=18257643.
Abb. 4: Didrachmon (305–um 275 v. Chr.), Silber, 6,82 g, Ø (Höhe, Vs.) 19,06 mm, Münzstätte Rhodos.
Bildquelle: MA-Shops, Gorny & Mosch (Dezember 2014).
Was das gezeigte Porträt des Helios angeht, so ist es im Gegensatz zum Münzbild der aufblühenden Rose nur bedingt als eigenständiges rhodisches Bildmotiv anzusehen. Denn obgleich es zuvor in ganz Griechenland keine Münze mit Helioskopf gab, von welcher der rhodische Helios hätte entlehnt sein können, so war die Idee, den Götterkopf in Frontal- bzw. Dreiviertelansicht wiederzugeben, nicht rhodischen, sondern syrakusanischen Ursprungs. Der Helioskopf von Rhodos geht also genau genommen auf die Arethusa des Kimon zurück. Das Eigenständige an der rhodischen Götterdarstellung ist folglich allein die Umsetzung eines weiblichen Münzporträts in ein männliches. Aber warum trugen die Münzen rückseitig ausgerechnet eine Rose? Zum einen war die Rose dem Sonnengott heilig und zum anderen soll sie es auch gewesen sein, die der Insel Rhodos ihren Namen gab (ΡΟΔΟΣ = Rose). Darüber hinaus war die Rose, die mit dem Kult der Aphrodite aus dem Orient nach Griechenland gelangt war, bereits in der Antike das Symbol der Liebe und der weiblichen Anmut.
Helioskopf mit Strahlenkranz
Erschien der Sonnengott auf den rhodischen Münzen bis ins 3. Jh. v. Chr. hinein nur vereinzelt mit Strahlenkranz so war er ab 250 v. Chr. kaum noch ohne diesen zu sehen. (Abb. 5–10 und 12)
Abb. 5: Tetradrachmon (um 225–220 v. Chr.). Silber, 13,55 g, Ø 27 mm, Münzstätte Rhodos. Bildquelle: MA-Shops, Numismatik Naumann (Januar 2024).
Abb. 6: Didrachmon (um 250–229 v. Chr.). Silber, 6,62 g, Ø 19 mm, Münzstätte Rhodos. Bildquelle: MA-Shops, Camerarius (Januar 2024).
Abb. 7: Drachme (190–170 v. Chr.), Silber, 2,94 g, Ø 18 mm, Münzstätte Rhodos. Bildquelle: Künker, Auktion 367 (6. April 2022), Los 7244.
Abb. 8: Drachme (125–88 v. Chr.), Silber, 2,93 g, Ø 18 mm, Münzstätte Rhodos. Bildquelle: MA-Shops, Divus Numismatik (Januar 2024).
Abb. 9: Hemidrachme (170–150 v. Chr.), Silber, 1,45 g, Ø 15 mm, Münzstätte Rhodos. Bildquelle: Münzen & Medaillen GmbH, Auktion 46 (15. Februar 2018), Los 220.
Abb. 10: Stater (125–88 v. Chr.), Gold, 8,44 g, Ø 19 mm, Münzstätte Rhodos. Bildquelle: Numismatica Ars Classica, Auktion 133 (21. November 2022), Los 133.
Aber weshalb stellten die Rhodier Helios auf ihren Münzen zunächst ohne und dann mit Strahlenkranz dar? Da uns die antiken Geschichtsschreiber hierüber keinerlei Auskunft geben, muss jede Antwort hierauf Spekulation bleiben. Vergegenwärtigt man sich, dass während des 4. Jhs. v. Chr. neben Rhodos immer mehr andere Orte ihre männlichen Götterporträts in Frontal- oder Dreiviertelansicht zeigten und dass im rhodischen Zahlungsverkehr sicherlich viele dieser fremden Münzen vorkamen – zumal Rhodos ein internationales Handelszentrum war –, so könnte man vermuten, dass die Rhodier ihrem Gott Helios einen Strahlenkranz beifügten, um ihre Münzen besser und schneller von denen anderer Poleis unterscheiden zu können. Bedenkt man allerdings, dass der Koloss von Rhodos, der zwischen 304 und 292 v. Chr. geschaffen wurde, den Sonnengott mit Strahlenkranz zeigte und dass die Faszination, die von dieser großartigen Bronzeskulptur des Chares von Lindos ausging, überwältigend war, dann wäre es ebenso gut vorstellbar, dass die Stempelschneider mit ihren neuartigen Heliosdarstellungen nur dem Helioskopf dieser Kolossalstatue nacheiferten. Darüber hinaus senkte man im 3. Jh. v. Chr. das Gewicht des Tetradrachmons von rund 15,3 g auf 13,5 g, das des Didrachmons von 6,8 g auf 6,75 g, das der Drachme von 3,5 g auf zunächst 3,25 g und später auf 2,75 g, das der Hemidrachme von 1,85 g auf 1,62 g und später auf 1,34 g und das des Diobols von 1,12 g auf 0,9 g. Nachdem man dann um 190 v. Chr. die Prägung der Tetradrachmen und Didrachmen beendete, hob man das Gewicht der Drachme wieder bis auf knapp unter 3 g und jenes der Hemidrachme wieder bis auf 1,4 g an. Das größte Silbernominal nach 190 v. Chr. war nun nicht mehr die Tetradrachme, sondern die Drachme. Helios erschien auf diesen Drachmen zudem im Profil (Abb. 7 und 8). Weil die rückseitig dargestellte Rose zwischen 190 und 88 v. Chr. allerdings in einem sehr flachen Incusum daherkam, das die Griechen an einen Ziegelstein erinnerte, bezeichneten die antiken Quellen diese Münzen (Abb. 7–10) als „Plinthophoroi“ (Ziegelsteinträger), abgeleitet vom Wort „Plinthos“ = Ziegelstein. Auch erschien das Ethnikon "ΡΟΔΙΟΝ" ([Münze] der Rhodier) nun nur noch als Kürzel "Ρ–Ο" in den Feldern unter der Rose und über der Rose zeigte sich stattdessen der Name des für die Prägung zuständigen Beamten.
Interessant und bemerkenswert ist, dass es Viertel-Statere in Gold gibt, die ebenfalls zwischen 125 und 88 v. Chr. geprägt wurden, die vorderseitig allerdings nicht Helios im Strahlenkranz zeigen, sondern das Porträt der weiblichen Allegorie von Rhodos mit im Nacken eingerollten Haaren, einer Stephane mit Strahlenkranz und einer Perlenhalskette. Die Rose der Münzrückseite findet sich hierauf in einem Perlkreis. (Abb. 11)
Abb. 11: Viertel-Stater (125–88 v. Chr.), Gold, 2,34 g, Ø 14,5 mm, Münzstätte Rhodos. Bildquelle: Morton & Eden, Auktion 124 (25. September 2023), Los 484.
Leider existieren bis heute Numismatiker, die diese Münze viel zu flüchtig betrachten, und so Stephane, Nackenhaarrolle und Perlenhalskette übersehen und die Dargestellte deshalb fälschlicherweise als Helios im Strahlenkranz beschreiben.
Von 84–30 v. Chr. brachte man die Silberdrachme dann im attischen Gewicht (um 4,2 g/Drachme) aus und ging rückseitig zur von oben betrachteten voll erblühten Rose über. (Abb. 12)
Abb. 12: Drachme (84–30 v. Chr.), Silber, 4,13 g, Ø 20 mm, Münzstätte Rhodos. Bildquelle: F. R. Künker, Auktion 397 (14. November 2023), Los 2335.
Übrigens, der Helioskopf mit Strahlenkranz und die aufblühende Rose erschienen ab 292 v. Chr. auch auf den Bronzemünzen von Rhodos, die man für den lokalen Zahlungsverkehr prägte.
Michael Kurt Sonntag
Quellenangaben:
Werner Huß: Ägypten in hellenistischer Zeit, München 2001, S. 189, Fußnote 741.
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