In seinem Roman Canaima berichtet der venezolanische Autor Rómulo Gallegos über einen Jahrzehnte zurückliegenden Goldrausch in Guayana, einer abgelegenen Grenzregion im Nordosten von Venezuela:
„Eine große Zeit! Nie wieder würde es am Yuruari so glückliche Tage geben wie die des berühmten Oraje. Wie die Stahlmassen der dröhnenden Mörser die Quarzberge zertrümmerten! Wie die kochenden Kessel auf der Brust des Ungeheuers brüllten! Hundertundzwanzig mächtige Pochwerke zermalmten den Felsen, Tag und Nacht, ein Jahr nach dem anderen. Es gab nicht genügend mit Quecksilber überzogene Kupferplatten, um all das Gold zu pressen. Die Schmelztiegel wurden nicht kalt, die zahlreichen Lasttiere, die auf ihrem Rücken die wundersamen Barren beförderten, fanden keine Ruhe, und der aufgeschüttete Sand häufte sich zu Hügeln.“ (1)
Nach den Arbeiter in der Goldmine kamen die Händler und Prostituierten, die ebenfalls von dem geschürften Gold zu profitieren trachteten. Spieler mit präparierten Würfel in der Tasche versuchten den Minenarbeitern das mühsam erarbeitete Edelmetall abzunehmen:
„Und es waren Hände voll rohen Goldes oder Rollen von Goldpfunden oder mexikanischen Goldadlern, die beim Würfelspiel gesetzt wurden.“ (2)
Doch nach Jahren traumhafter Gewinne verlor sich die Spur des Goldes:
„Die märchenhafte Ader war versiegt, die dröhnenden Stahlmörser zerkleinerten nur noch armes Erz oder gewöhnliche Felsen, aus dem verbrannten Amalgam löste sich kaum noch Gold.“ (3)
Caratal-Minen im venezolanischen Grenzgebiet (1896), Bildquelle: Wikimedia, Julo.
Tatsächlich gab es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen bescheidenen Goldrausch in Venezuela. Der Brasilianer Pedro Ayres hatte 1842 das Gold im Gebiet von Caratal an der Grenze zu Britisch-Guayana entdeckt. Im Jahr 1858 erteilte der venezolanische Staat dem Franzosen Luis Plassard und seinen Partnern eine Konzession für die Ausbeutung der Goldminen. Aktien wurden verkauft. Innerhalb weniger Jahre stieg Gold zum zweitwichtigsten Exportgut des Landes auf. Mit einer Produktion von 8.193 Kilogramm wurde im Jahr 1885 der Höhepunkt der Förderung erreicht. Zu diesem Zeitpunkt kamen mehr als fünf Prozent der gesamten weltweiten Goldausbeute aus Venezuela. Ein signifikanter Rückgang der Fördermengen ließ das Interesse an dem Standort jedoch erlahmen:
„Die Entdeckung neuer Goldminen in Südafrika (Witwatersrand) und in Alaska, auf die sich die Augen des damaligen Finanzkapitals richteten, wirkte zudem den Erwartungen der Aktionäre der Mine El Callao mit Sitz im Bundesstaat Bolivar entgegen, eine externe Finanzierung in Europa zu finden.“ (4)
Als die Adern weitgehend erschöpft waren, musste die Bergbaugesellschaft Konkurs anmelden. Der Besitz wurden für einen geringen Betrag an britische Investoren verkauft.
5 Venezolanos (Venezuela, 1875, 900er Gold, 8,1 Gramm, 22 mm), Bildquelle: Numismatic Guaranty Company.
Bis zum Zeitpunkt der Goldfunde hatte Venezuela über Jahrzehnte hinweg erfolglos versucht, ein funktionierendes Währungssystem aufzubauen. Theoretisch gab es den goldenen Venezolano, geteilt in zehn silberne Reales. Jeder dieser „Décimos“ war in zehn Centavos aufgeteilt. Mithilfe des einheimischen Goldes konnte das System im Jahre 1871 endlich auf eine Doppelwährung aus Gold und Silber nach dem Vorbild der Lateinischen Münzunion umgestellt werden. Eine Münze zu fünf Venezolanos in Gold entsprach 25 französischen Francs. Ein Venezolano in Silber entsprach fünf Francs. Die zugehörigen, von Albert Désiré Barre entworfenen Münzen wurden in Paris bestellt. Infolge eines Regierungswechsels wurde das System im März 1879 erneut umgestellt. Der Bolívar de plata wurde eingeführt. Höchste Wertstufe war nun ein 20-Bolivares-Stück nach dem Vorbild des französischen Napoléon zu 20 Francs. Im Oktober 1886 nahm eine moderne nationale Münzstätte in Caracas ihre Arbeit auf. Hier ließ die Regierung zwischen 1886 und 1889 insgesamt 87.250 Exemplare der großformatigen, beeindruckenden 100-Bolivares-Stücke herstellen. Mit dem Währungsgesetz von 1887 wurde schließlich ein faktischer Goldstandard eingeführt. Die traditionell als Pesos bezeichneten Silbermünzen zu fünf Bolivares waren nun nur noch Scheidemünzen.
100 Bolivares (Venezuela, 1886, 900er Gold, 32,3 Gramm, 35 mm), Bildquelle: Numista, Heritage Auctions.
Mit dem allmählichen Versiegen des Goldstromes im Nordosten des Landes verschlechterte sich jedoch die Zahlungsbilanz. Die Kassen des Staates leerten sich. Das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts war von Unruhen geprägt. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurden Beschränkungen zur Ausfuhr von Gold eingeführt. Die Konvertibilität der Banknoten in Gold im Inland wurde aber nie aufgehoben. Als Geologen der Caribbean Oil Company im venezolanischen Bundesstaat Zulia das erste größere Erdölvorkommen entdecken, wendete sich das Blatt. Ab dem 31. Juli 1914 sprudelte das Öl aus einem 135 Meter tiefen Loch neben dem Maracaibo-See. Die Regierung konnte ihre Finanzen sanieren und sogar Mittel in die Infrastruktur investieren:
„Wenige Länder waren so erfolgreich wie Venezuela, wo wertvolle, von ausländischen Gesellschaften mit großem Nutzeffekt ausgebeutete Ölquellen das Land in die Lage versetzten, bis 1930 die gesamte Staatsschuld abzulösen.“ (5)
Im Jahr 1935 war Venezuela der größte Ölexporteur der Welt. Trotz der Aufgabe des Goldstandards in Jahr 1930 blieb der Kurs zum Dollar über Jahrzehnte hinweg nahezu stabil. Die einförmigen Münzen mit dem Kopfbild von des Revolutionsführers Simon Bolivar auf der einen Seite und dem Staatswappen auf der anderen waren ein Symbol für diese Stabilität. Angesichts jahrzehntelanger Misswirtschaft ist davon heute allerdings kaum noch etwas zu sehen.
5 Bolivares (Venezuela, 1935, 900er Silber, 25 Gramm, 37 mm), Bildquelle: Numista, Katz Auction 72, Lot 3079.
Dietmar Kreutzer
Quellenangaben:
Rómulo Gallegos: Canaima; Frankfurt/Main 1989, S. 160.
Ebenda, S. 162.
Ebenda.
Hector Romero, Eddy Fajardo, Mathaly Palma: Gold and economic activity in the Guayana Region, Venezuela for the period 1870-1920; in: Revista Espacios, Volime 40, Nr. 28, 2019, S. 14ff.
Derek H. Aldcroft: Die zwanziger Jahre – Von Versailles zur Wall Street (1919-1929); München 1978, S. 286.
Comments