In die Hauptstadt des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn strömten im 19. Jahrhundert die verschiedensten Nationalitäten zusammen, um ihr Glück zu machen. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Verbrecher, die ihr Handwerk schon in der Heimat erlernt hatten:
„Die berufsmäßigen Taschendiebe kommen meist aus Ungarn herüber, die Mädchenhändler sind zum großen Teil geborene Galizianer. Italiener, Serben und Orientalen stellen ein großes Kontingent zu der Sorte von Verbrechen, die beim Geldwechsel betrügen oder stehlen. Dazu kommen noch die abgebröckelten Reste anderer Nationalitäten, Deklassierte aller Art und Herkunft.“ (1)
In der Auflistung der Geldsorten der Wiener Verbrechen kommen dementsprechend verschiedene Münzsorten zur Sprache, nicht nur solche aus Österreich oder den unmittelbar angrenzenden Ländern. Im Kaisertum Österreich galt ab 1858 der Silbergulden nach dem Wiener Münzvertrag, der in Ungarn als Forint bezeichnet wurde. Mit Bildung der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn gab es in Österreich und Ungarn also separate Münzen gleichen Wertes. Doch auch auswärtige Münzen kursierten. Im Jahr 1892 wurde in der Doppelmonarchie der Goldstandard mit der Krone zu 100 Hellern eingeführt. Den vollwertigen Goldmünzen standen damit Scheidemünzen aus Silber und unedlen Metallen gegenüber. Die Gulden wurden zum Kurs von zwei Kronen für einen Gulden ersetzt. Im Jahr 1900 sind die letzten noch umlaufenden Gulden außer Kurs gesetzt worden.
Beim Trödler (Gemälde v. Ernst Juch, um 1900) – Bildquelle: Wien Museum, Online-Sammlung.
Mangelhafte Kenntnisse über die verschiedenen Münzen erleichterten den Einsatz von Falschgeld. Abweichungen an fremdländischen Münzen waren nämlich nicht ohne weiteres zu erkennen, insbesondere auf dem Lande. Der Falschmünzer ging vorzugsweise zum Wirt, um eine Zeche zu machen:
„Er hat dann zu wenig Silbergeld um zu zahlen und bietet dem Wirt Gold und zwar meist fremdländische Münze an. Der Wirt geht zum Krämer, zum Bürgermeister, zur Bahnstation, zeigt dort das Goldstück vor und erkundigt sich nach dessen Kurswert. Der Falschmünzer hat dem Wirt selbstverständlich eine echte Münze gegeben. Kommt dann der Wirt oder der, den er fragen geschickt hat, zurück, so erklärt der Mann zehn, zwölf oder noch mehr Goldstücke gerne unter dem Kurswerte herzugeben, wenn er Papiergeld dafür erhalten könnte. Der Wirt glaubt ein gutes Geschäft zu machen, ist gerne zur Gefälligkeit bereit, und nun erst übergibt ihm der Betrüger die falschen Goldstücke.“ (2)
Häufig handelte es sich um türkische, italienische Goldmünzen oder solche vom Balkan. Wenn der Wirt das Geld auf einer Bank wechseln wollte, erfuhr er, dass es sich um Fälschungen handelte. Der Falschmünzer war dann längst über alle Berge.
Blick in eine Fälscherwerkstatt mit Prägemaschine. Die Wekstatt war Teil eines rumänischen Fälscherrings, der überwiegend silberne Lei-Stücke kopierte – Bildquelle: Activitatea Prefecturii Poliţiei Municipiului Bucureşti pe anul 1937, Bucharest, 1938, wikimedia commons.
Wenn ein Wiener Trödler um 1900 vor seinem Laden stand, hatte er oft nicht nur die normale Kundschaft im Auge. Auch Verbrecher, die mit ihm in Kontakt kommen wollten, waren von Interesse. Auf ein kleines Zeichen mit der Hand, ein Blinzeln mit dem Auge schloss sich dann ein Besuch im Hinterzimmer an. Der Trödler wurde nun zum Passer (Hehler), der mit einem Schränker (Einbrecher) verhandelt. Oft ging es um Einbrüche bei einem Juwelier. Für einen Spottpreis nahm der Passer dem Schränker die gestohlenen Juwelen ab:
„Unter dem Bretterboden des Geschäftes, zwischen der Zimmerdecke und den Eisentraversen, im Stall und auf dem Dachboden, im Keller und auf dem Klosett, im Ofen und an der Rückseite von Bildern, in den Taschen alter Kleider und im Futter abgetragener Hüte, in Mauselöchern und in hohlen Ziegelsteinen bringt er den Raub unter.“ (3)
Das musste er auch. Häufig zeigte der Schränker, der sich betrogen fühlte, den Passer nachträglich mittels eines Spießgesellen an. Er musste dann eine polizeiliche Duchsuchung seines Ladens überstehen:
„Nun erst nimmt der Passer die Preziosen wieder hervor. Von Goldarbeitern, mit denen er in Verbindung steht, lässt er die Steine umfassen, aus einer Krawattennnadel einen Ring, aus einem Brustknopf eine Brosche herstellen, die Edelsteine kommen wieder in den Handel, niemand, selbst nicht der frühere Eigentümer erkennt sie als das gestohlene Gut.“ (4)
20 Kronen, für Österreich (Wien, 1897, 900er Gold, 6,8 Gramm, 21 mm) – Bildquelle: Künker am Dom.
Unter den kleinen Dieben und Betrügern gab es die „diebische Mieterin“, den Waggondieb und so kuriose Geschöpfe wie den Kaudemhalchener, den Schottenfeller und den Sliberer. Eine heute noch anzutreffende Spezies ist der Chilfener. Bei seinen Diebstählen in Geschäften bedient er sich bewährter Taschenspielertricks:
„Er macht einen Scheinkauf, um Gelegenheit zum Wechseln zu haben, und oft erbittet er sich, dass man ihm für die größere Banknote, die er gewechselt haben will, ganz bestimmte Münzen gibt. So verlangt er beispielsweise nur Zehn-Kronen-Stücke, Engelgulden, Kronen mit ungarischer Prägung usw.“ (5)
20 Kronen, für Ungarn (Kremnitz, 1893, 900er Gold, 6,8 Gramm, 21 mm) – Bildquelle: Künker am Dom.
Er drängt zum Verkaufstresen, gibt vor, dem Händler beim Heraussuchen des Wechselgeldes zu helfen. Einen Teil des Wechselgeldes lässt er dann unbemerkt in seinen Taschen verschwinden, fordert weiteres und verschwindet letztlich mit der zum Zahlen vorgelegten Banknote als auch dem Wechselgeld. Auf einen solchen Trick fielen der Verfasser dieses Blog-Beitrages und seine Kollegin vor wenigen Jahren herein. Zwei Frauen betraten seinen ehrenamtlich betreuten Buchladen in Berlin Neukölln mit einem 200-Euro-Schein. Sie zeigten auf ein Buch im Wert von wenigen Euro, sorgten für Unruhe, erlangten unbemerkt ihre Banknote zurück und verließen das Geschäft mit der Banknote als auch dem Wechselgeld!
Dietmar Kreutzer
Quellenangaben:
Emil Bader: Wiener Verbrecher; Berlin/Leipzig 1905, S. 7.
Ebenda, S. 111.
Schwarze Reportagen: Aus dem Leben der untersten Schichten vor 1914 – Huren, Vagabunden, Lumpen; Reinbek 1984, S. 215f.
Ebenda, S. 216.
Bader, S. 44
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