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Michael Kurt Sonntag

Französische Silbermedaille mit „bezaubernder Nacht“

In der Antike sah man die Nacht (griechisch Nyx, lateinisch Nox) nicht nur als eine täglich wiederkehrende Naturerscheinung an, die das menschliche Leben entscheidend bestimmt, sondern ebenso als Göttin und Personifikation. Dem antiken Autor Hesiod zufolge enstammte sie dem Chaos und gehörte somit zur ersten Göttergeneration. Mit der Unterwelt (Erebos) zeugte sie den „leuchtend klaren“ Himmel (Aither) sowie den Tag (Hemera). Aber sie war auch Mutter des Schlafs (Hypnos), der Träume (Oneiroi) und des Todes (Tanatos), jener Phänomeme also, die der Mensch ganz allgemein mit der Nacht in Verbindung bringt. Weil des Nachts aber auch viel Böses und Übles geschieht, zählte man personifizierte Übel wie das Verhängnis (Moros), das Verderben (Ker), die Schande (Momos), den Jammer (Oizys), die Vergeltung (Nemesis), den Trug (Apate), das Alter (Geras) und den Streit (Eris) ebenfalls zu ihren Sprößlingen. Darüber hinaus sollen auch die Schicksalsgöttinnen (Moirai) und die Rachegöttinnen (Erinyen) ihre Kinder gewesen sein. Gewohnt haben soll die Nacht mit ihrer Tochter, dem Tag, wechselweise in einer Höhle im Westen oder in der Unterwelt oder im hohen Norden. Ikonografisch gesehen fuhr sie, änlich wie die Sonne (Helios), in einem Himmelswagen, der von schwarzen Pferden gezogen wurde, am Himmel empor. In ihrem Tross fanden sich die Träume und die Sterne. Ihr Gewand war schwarz und mit bunten Sternen besetzt, zudem hatte sie schwarze Flügel. „Als Schlafspenderin und Sorgenlöserin, die oft einen Mohnkranz auf dem Kopf trägt […], heißt sie Euphrone bzw. Euphrosyne (Frohsinn). Andere Epitheta schwanken zwischen Dunkelheit […] und Unheimlichkeit/Verderben.“ (Der neue Pauly: Enzyklopädie der Antike, Bd. 8, Sp. 1078). Für die Römer hatte die Nacht einen furchterregenden Chrakter, denn sie assozierten diese mit Magie, Tod und Unterwelt.

So überwiegend düster und negativ wie in der Antike wurde die Nacht aber nicht zu allen Zeiten gesehen. Im 19. Jahrhundert beispielsweise wurde sie in der Numismatik, genauer gesagt auf einer französischen Silbermedaille, als bezaubernde, flügellose, nackte junge Frau dargestellt, die mit einer Sternenkrone geschmückt und mit einem Tuchmantel in ihrer Linken vor einem gestirnten Himmel über die Erde schwebt.

Preis der Astronomischen Gesellschaft Frankreichs, 1903 an Maurice Delmard verliehen, Medaille von Alphee Dubois (Ag, 153,57 g, Ø 69,00 mm). [Bildquelle: H. D. Rauch, 111. Auktion 2020, Los 1399].

Dass es sich bei der Schwebenden ganz eindeutig um die Nacht handelt, macht die Aufschrift NOX (lateinisch für Nacht) unter ihr deutlich. Wenn die Personifikation der Nacht hierauf so angenehm, bezaubernd und ganz und gar nicht unheimlich oder furchterregend präsentiert wird, so ist das der Tatsache geschuldet, dass dies eine Preismedaille der Astronomischen Gesellschaft Frankreichs war. Immerhin sind Astronomen der Nacht gegenüber durchweg positiv eingestellt, zumal sie ihre Studienobjekte, Sterne sowie Himmelskörper, nur bei Nacht beobachten und studieren können. Der Tag, an dem die Sonne alles Sternenleuchten überstrahlt, eignet sich für astronomische Beobachtungen nämlich ganz und gar nicht.

Doch nicht allein bei den Astronomen erfreute sich die Nacht einer bemerkenswerten Verehrung, sondern auch bei den Künstlern des 19. Jahrhunderts, allen voran den Malern, die sie oft eindrucksvoll als schöne junge Frau in Szene setzten. So zeigt sie uns zum Beispiel William-Adolphe Bouguereau (1825-1905) halbnackt in einen schwarzen Schleier gehüllt vor dem Hintergrund einer Landschaft schwebend, über die sie – als Nacht – gerade hereinbricht. Begleitet wird sie dabei von den Nacht-Tieren Eule und Fledermaus.

„Nacht“, 1883, Gemälde von William-Adolphe Bouguereau. [Bildquelle: Wikimedia Commons]

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