Erstmalig tauchte das Porträt der Marianne nach der Französischen Revolution auf Münzen auf. Die allegorische Nationalfigur erschien ab 1795 mit einer phrygischen Mütze auf Scheidemünzen. Geprägt wurden Stücke von einem bis 20 Centimes aus Kupfer. Als Medailleur zeichnete sich Augustin Dupré (1748-1833) verantwortlich, der Graveur Général an der Monnaie de Paris. Unter Napoleon und den folgenden Königen verschwand das Abbild der Marianne dann für mehrere Jahrzehnte. Erst während der Zweiten Französischen Republik war sie wieder zur Stelle. Von 1848 an prangte ihr Porträt sogar auf den Goldmünzen. Das mit Ähren und Eichenlaub bekränzte Symbol der Republik hatte der französische Bildhauer und Medailleur Louis Merley (1815-1883) modelliert. Das Bildnis wirkte etwas volkstümlicher als das seines Vorgängers, war aber weiter an der starren Bildsprache der Antike orientiert.
Jugendlichkeit und Frische kam in die Darstellung der Symbolfigur erst während der Epoche des Jugendstils, der in Frankreich unter der Bezeichnung Art nouveau bekannt wurde (siehe: Münzen und Medaillen des Jugendstils; Münzen-Online, Fachartikel, 16. Juni 2019). Die seit 1897 erschienen Münzporträts einer zart bekränzten Marianne mit wallender Haarpracht und wehenden Gewändern sorgten für großes Aufsehen. Die Entwürfe stammten von der Crème de la Crème der französischen Medailleure: Daniel Dupuis (1849-1899), Auguste Patey (1859-1930), Oscar Roty (1846-1911) und Jules-Clément Chaplain (1839-1909).
Infolge des Ersten Weltkriegs kam es zu einer stilistischen Neuorientierung. Erneut ging der Wandel von Frankreich aus: „Was haben das Chrysler Building in New York, die sachlich kühlen Porträts von Tamara de Lempicka, die Tiller Girls und eine Tischleuchte von Wilhelm Wagenfeld gemeinsam? Den Stil: in allen Fällen allerschönster Art déco. Kaum eine andere Stilrichtung hat das Bild ihrer Epoche so umfassend geprägt wie der Art déco, dem es gelang, verschiedenste Einflüsse – die kubistischen Stillleben Picassos, die reinen Farben der Fauves, die ornamentalen Verzierungen des Jugendstils – miteinander zu verschmelzen.
Ausgehend von Paris setzte sich die Formensprache des Art déco ab Mitte der 1920er Jahre weltweit durch und ergriff alle Bereiche von Kunst und Kultur: von Architektur und Innenraumgestaltung über Skulptur und Mode bis zu Grafik- und Produktdesign.“ (Norbert Wolf: Art déco; München 2013, Klappentext).
Im Medaillenschaffen dürfte Pierre Turin (1891-1968) mit seiner Siegesmedaille von 1918, die eine Friedensgöttin zeigt, den entscheidenden Schritt in die neue Richtung getan haben. Es folgten bahnbrechende Entwürfe, darunter die Medaille zur Exposition internationale des Arts Décoratifs et industriels modernes von 1925 in Paris. Diese Ausstellung gab dem ganzen Stil seinen Namen. Auch zahlreiche Münzen und Medaillen mit einem modern stilisierten Porträt der Marianne gehen auf Turin zurück. Bekannte Medailleure wie Pierre- Alexandre Morlon (1878-1959), André Lavrillier (1885-1958) und der französische Graveur Général Lucien Georges Bazor (1889-1974) traten in seine Fußstapfen.
Bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein erschien es schwer vorstellbar, dass Frauen gesellschaftlich wichtige Positionen bekleiden. So kam es, dass sie zwar oft auf Münzen und Medaillen abgebildet waren, selbst aber nicht als Medailleurin arbeiteten. Unter den Künstlerbiografien des Standardwerkes Französische Medaillenkunst 1870-1940 von Nicolas Maier tauchen daher fast nur Männer auf. Auch auf der Website www.finemals.com des genannten Autors ist lediglich einer von 63 vorgestellten Medailleuren weiblichen Geschlechts.
Der Erfolg der Art-Déco-Künstlerin Josette Hébert-Coëffin (1908-1973) kann daher als Ausnahme gelten. Die französische Bildhauerin und Medailleurin entdeckte schon mit fünf Jahren ihre Kreativität. Sie studierte an der École des Beaux-Arts von Rouen und gewann mit 16 Jahren einen ersten Preis für Skulptur und Architektur. Im Jahr 1937 erhielt sie eine Goldmedaille auf der Exposition Internationale des Arts et Techniques und ging mit einem Stipendium der Guggenheim-Stiftung nach New York. Ihr Oeuvre umfasst annähernd 200 Medaillen. Zunächst griff sie die Stilmittel der Art déco auf. Ein Porträt der französischen Marianne von ihr ist auf einer 20-Centimes-Probe aus dem Jahr 1961 zu sehen. Im Laufe ihres Schaffens änderte sich ihre Bildsprache erheblich. Eines ihrer letzten Werke war die Gedenkmedaille für die Olympischen Winterspiele von 1968 in Grenoble. Die Vorderseite zeigt das Porträt eines griechischen Athleten mit Schneeflocken und Eiskristalle im Hintergrund. Auf der Rückseite ist die Silhouette von Grenoble vor dem dortigen Belledonne-Gebirge abgebildet.
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