Im Februar 2021 meldete der Bank-Blog, der Aktuelles rund um Banken und Finanzdienstleister bietet: „Die Corona-Pandemie hat bargeldlosen Zahlungsmöglichkeiten in ganz Europa einen Schub verliehen – auch in Deutschland.“ Die Vorliebe für Bargeld habe in einem Maß abgenommen, für das es sonst wohl eine Generation gebraucht hätte. Ist Bargeld, und damit auch das Münzgeld, ein Auslaufmodell? Gehört dem bargeldlosen Zahlungsverkehr die Zukunft? Werden Münzen in absehbarer Zeit vielleicht ganz aus dem Zahlungsverkehr verschwinden?
Ein Blick auf Entwicklungen der Vergangenheit hilft, Antworten auf diese Fragen zu finden.
Schon zur Zeit des deutschen Goldstandards war das Münzgeld im Schwinden begriffen.
Die Regelung, dass nur Banknoten mit großem Nennwert kursieren durften, erschien an der Schwelle zum 20. Jahrhundert aus verschiedenen Gründen nicht mehr zeitgemäß. Um die Golddeckung der Mark abzusichern, entschloss sich die Reichsbank daher, den Zahlungsverkehr zu entgolden: „Hierfür wurden verschiedene Maßnahmen unterschiedlichen Gewichts getroffen. Nachdem im Jahre 1905 die Goldreserven der Reichsbank innerhalb von sieben Monaten um 40 Prozent zurückgegangen waren, erhielt die Notenbank 1906 das Recht, auch Noten im Wert von 50 und 20 Mark auszugeben. Während man die längere Verweildauer der kleinen Noten im Verkehr früher als Gefahr angesehen hatte, betrachtete man dies jetzt mehrheitlich als Vorteil. Weil aber eine starke Minderheit im Reichstag, darunter Nationalliberale und Sozialdemokraten, noch immer eine Papiergeldinflation befürchtete, wurde die Ausgabe kleiner Noten auf 300 Millionen Mark begrenzt. In der Marokko-Krise von 1911 befreite dann der Reichskanzler die Bank von der Einhaltung des Kontingents, und 1913 wurde die Begrenzung völlig aufgehoben. Inzwischen drängte die Reichsbank ihre Noten dem Verkehr förmlich auf und fand darin Unterstützung bei öffentlichen Kassen und große Unternehmen. Mehr und mehr gelangten Banknoten nun auch in den Einkommenskreislauf.“ (Währung und Wirtschaft in Deutschland 1876-1975, Frankfurt/Main 1976, S. 50).
20 Mark (Preußen, 1888, 900er Gold, 8,0 Gramm, 22,5 mm). [Bildquelle: Wikimedia, Pharos].
In den anderen Industrieländern verlief die Entwicklung ähnlich. Der Anteil des Münzgeldes ging zugunsten von Banknoten zurück. Sogar der bargeldlose Zahlungsverkehr hatte bereits einen erheblichen Stellenwert: „Zahlungen wurden immer häufiger auf diese Weise vorgenommen. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Geschäfte der Bank von Frankreich zu vierzehn Prozent in Hartgeld, zu 43 Prozent in Banknoten und bereits zu 43 Prozent in Buchgeld abgewickelt. Um 1900 war der Anteil des Hartgeldes auf zwei Prozent und der Banknoten auf 29 Prozent gesunken, während 69 Prozent des Zahlungsverkehrs in Buchgeld geregelt wurde.
1913 betrugen die jeweiligen Anteile ein Prozent, 17 Prozent und 82 Prozent. Dies war aber nur eine Etappe einer unaufhaltsamen Entwicklung, in deren Verlauf das Hartgeld immer mehr an Bedeutung verlor, und im Zahlungsverkehr in immer höherem Maße Buchgeld verwendet wurde.“ (René Sedillot: Muscheln, Münzen und Papier – Die Geschichte des Geldes, Frankfurt/Main 1992, S. 406).
Im alltäglichen Zahlungsverkehr vollzog sich diese Entwicklung langsamer. Nach dem Ersten Weltkrieg und der anschließenden Inflation war die Ausprägung von Silbermünzen ein Zeichen der wieder erlangten Währungsstabilität: „Obwohl das Münzmetall bei Münzen einer manipulierten Papierwährung für die Wertschätzung keine Bedeutung mehr haben konnte,
blieb man für diese Markwerte beim Silber, doch wurden sämtliche Silbermünzen der Weimarer Republik nur noch 500/1000 fein ausgeprägt.“ (Herbert Rittmann: Deutsche Geldgeschichte seit 1914, München 1986, S. 127). Das später ausgeprägte Fünf-Mark-Stück mit dem Eichenbaum wog jedoch in dieser Legierung stolze 25 Gramm. Aufgrund seiner Größe war es für den täglichen Gebrauch zudem recht unhandlich. Daher wurden im Dritten Reich die Legierung und der Durchmesser reduziert. Im Zweiten Weltkrieg hortete die Bevölkerung das verbliebene Silbergeld. So erschien es in der Bundesrepublik nach Kriegsende und Währungsreform sinnvoll, erneut ein Zeichen zu setzen: „Die Münzserie schloss die Silbermünze zu fünf DM nach der Bekanntmachung vom 1. Dezember 1951 ab. Man wollte als repräsentative Hauptmünze der
D-Mark-Währung aus psychologischen Gründen eine Silbermünze haben, obwohl der Wert des Metalls mit dem Geldwert der Münze – wie schon seit der Kaiserzeit – nichts mehr zu tun hatte.“ (Ebenda, S. 381). Mit der Silberspekulation sowie einer Umstellung an den Warenautomaten wurde das letzte Silber 1975 aus dem Verkehr gezogen.
1 Euro (Niederlande, 2016, Bi-Metall, 7,5 Gramm, 23 mm). [Bildquelle: Coin-Brothers].
In der jüngsten Zeit scheint nun das Bargeld an sich zur Disposition zu stehen. Doch auch hier gibt es eine längere Geschichte. Die Einführung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs über Lohn- und Gehaltskonten vor etwa 50 Jahren war der erste Schritt: „Allein von 1969 bis 1974 stieg die Zahl der Girokonten von sechs auf 20 Millionen. Noch benutzten viele Arbeitnehmer ihr Girokonto als Lohnbüro und hoben einmal im Monat ihren gesamten Lohn ab. Die Miete oder
die Kosten für Gas, Strom und Wasser wurden dem Vermieter persönlich gebracht oder beim monatlichen Ablesen den Stadtwerken übergeben. Die Familie hatte dadurch einen direkten Überblick über ihren Verbrauch und ihre Ausgaben. Mit entsprechender Nachhilfe der Geldinstitute lernten die Verbraucher jedoch schnell, mit ihrem Girokonto umzugehen,
und Daueraufträge, Lastschrifteinzüge und Überweisungen ersetzten mehr und mehr die realen Geldscheine.“ (Arne Andersen: Der Traum vom guten Leben – Alltags- und Konsumgeschichte vom Wirtschaftswunder bis heute, Frankfurt/Main 1997, S. 201). Von diesem Übergang bis zur Nutzung von EC-Schecks und Kartengeld war es nur noch ein Katzensprung. Die Zahlung per Handy-App folgte schließlich im aktuellen Jahrhundert.
Auf Urlaubreisen in Länder wie Schweden oder die USA ist seit Jahren nachvollziehbar, wie eine Gesellschaft funktioniert, die weitgehend auf Bargeld verzichtet. Der Autor dieser Zeilen hatte in Schweden unlängst sogar für seinen Coffee-to-go und die Parkgebühr digital zu zahlen. Die Entwicklung zum virtuellen Geld wird also kaum aufzuhalten sein. Die Verschuldung der Staaten und die Unsicherheit an den Finanzmärkten durch Wirtschaftskrisen werden „Hartgeld“ jedoch nicht aus der Mode kommen lassen. Allerdings handelt es sich dabei nicht mehr um tägliche Zahlungsmittel, sondern eine Edelmetall-Anlage in Gestalt von Barren oder Münzen.
Dietmar Kreutzer
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