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Michael Kurt Sonntag

Eine der frühesten und eindrucksvollsten Elektronhekten Mytilenes

Zwischen 521 und 326 v. Chr. prägten Phokaia in Ionien und Mytilene auf Lesbos eine Unmenge an Elektronhekten (1/6 Statere aus Elektron) für den Fernhandel beider Poleis im nord- und ostägäischen Raum. Einem Münzvertrag zufolge, der während der erwähnten Periode sowohl für Phokaia als auch für Mytilene galt, sollten beide Städte abwechselnd jedes zweite Jahr Münzen, d. h. Elektronhekten, prägen. Jahresbeamte – im Vertrag „Legierer des Goldes“ genannt –, die mit ihrem Leben für die Einhaltung der festgelegten Legierung hafteten, wurden bestellt und mussten die jeweiligen Prägungen überwachen. Um diese Jahresbeamten kontrollieren zu können, führte man in Ermangelung einer Monogramm- oder Beizeichenpraxis jährlich wechselnde Münzbilder (in Phokaia) bzw. jährlich wechselnde Kombinationen von Münzbildern (in Mytilene) ein, die man dann dem jeweils verantwortlichen Beamten zuordnen konnte. Diese unterschiedliche Handhabung in Phokaia und in Mytilene war der Tatsache geschuldet, dass die Hekten in Phokaia auf ihrer Rückseite stets nur ein Quadratum incusum (vertieftes Quadrat) oder ein viergeteiltes vertieftes Quadrat trugen, während die Hekten Mytilenes immer Vorder- und Rückseitenbilder zeigten.


Betrachtet man nun die nachfolgende Hekte Mythilenes, so erkennt man vorderseitig einen nach rechts gewandten Löwenkopf mit aufgerissenem Rachen, der im Abschnitt geperlt ist. Auf der Rückseite dagegen erscheint ein inkuser (vertiefter) Hahnkopf nach links und rechts davon ein vertieftes unregelmäßiges Viereck.

Mytilene (Lesbos): Hekte (509 v. Chr.), Elektron, 2,56 g, Ø 11 mm. [Bildquelle: MA-Shops, Künker am Dom, München (Oktober 2021)].

Im Gegensatz zur Stierprotome und dem inkusen Löwenkopf der 1. mytilenischen Hektenemission von 521 v. Chr., die nach J. P. Barron und Friedrich Bodenstedt von samischen Münzen entlehnt wurden, scheinen der Löwen- und der Hahnkopf der hier abgebildeten siebenten Emission eigenständige mytilenische Schöpfungen zu sein, wenngleich es Löwenköpfe mit geöffnetem Rachen zwischen 520 und 500 v. Chr. auch schon auf Trihemiobolen und Drachmen aus Knidos (Karien) gab. Anders als der Löwenkopf, der hier zum ersten Mal auf mytilenischen Hekten erscheint, ist der inkuse Hahnkopf ein Münzbild, das bereits in Kombination mit einer vorderseitigen Stierprotome auf einer Hekte von 517 v. Chr. zu sehen ist. Allerdings war der Hahnenkamm damals etwas kleiner und nicht so weit nach hinten auslandend wie auf der hier abgebildeten Hekte.


Was diese Münze bis heute so ansprechend macht, ist nicht allein die gelungene Wahl der Bildmotive – ein imposanter, respekteinflößender Löwen- und ein stolzer Hahnkopf –, sondern auch die technisch so gegensätzlich gestalteten Münzbilder. Vorderseitig der plastische Löwenkopf in hohem Relief und rückseitig der detailreiche inkuse Hahnkopf. Doch so eindrucksvoll derart gefertigte Münzen auch waren, nach 455 v. Chr. gab man die inkusen Rückseitenbilder auf und fertigte alle Reversmotive in derselben Art und Weise wie auch die Vorseitenbilder.


Laut Bodenstedt sind von der [abgebildeten] siebenten Emission nur 13 Exemplare aus zwei Vorder- und sechs Rückseitenstempel auf uns gekommen. (Vgl. Friedrich Bodenstedt: Die Elektronmünzen von Phokaia und Mythilene, Tübingen 1981, S. 315).

Karte des nordwestlichen Kleinasien in der Antike. [Bildquelle: Eva Szaivert / Wolfgang Szaivert / David R. Sear: Griechischer Münzkatalog. Bd. 2: Asien und Afrika, München 1983, S. 82].
Das 1995 neu eröffnete Archäologische Museum in Mytilene auf Lesbos. [Bildquelle: KureKewlik81, Wikipedia].

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