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Helmut Caspar

Ein Diamantenherzog auf der Flucht - Braunschweigs Münzen vom 16. bis in das 20. Jahrhundert (Teil 2)

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts existierten die braunschweigischen Herzogtümer nicht. Sie waren im Ergebnis der napoleonischen Kriege und des Friedens von Tilsit (1807), dem von König Jerôme, eines Bruders von Kaiser Napoleon I., regierten Königreich Westphalen zugeschlagen worden. Das gleiche Schicksal erlitten bedeutende Teile der preußischen Monarchie und das Kurfürstentum Hannover, das seit dem frühen 18. Jahrhundert in Personalunion mit dem englischen Königreich verbunden war, dem Hauptfeind des Franzosenkaisers. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig am 18. Oktober 1813 und den folgenden Feldzügen gegen Frankreich gelang die Wiederherstellung sowohl von Hannover als Königreich als auch des Herzogtums Braunschweig. Dessen Herzog Friedrich Wilhelm erwarb sich in den Befreiungskriegen als Führer eines Freikorps, das man wegen der Farbe der Uniformen „Schwarze Schar“ nannte, einen Namen. In der Schlacht von Waterloo im Juni 1815 fiel der „Schwarze Herzog.“ Trauernde Bürger errichteten für ihn und seinen, im Krieg gegen Frankreich gefallenen, Vater nicht nur einen Obelisken und zwei Reiterdenkmäler, sondern sammelten auch fleißig Erinnerungsstücke an sie und an die  Befreiungskriege. Diese Souvenirs bildeten den Grundstock des 1891 eröffneten Vaterländischen Museums, aus dem das heutige Braunschweigische Landesmuseum hervorging.


Herzog Karl II. stiftete die Medaille für braunschweigische Soldaten, die sich in den Befreiungskriegen durch Heldentaten hervorgetan hatten. Quelle: https://nds.museum-digital.de/object/7869.


Diese Halbtalerprobe von 1829 zeigt Herzog Karl II., der den Braunschweigern unrühmlich als Despot in Erinnerung blieb. Foto: Caspar.


Nachdem Karl II. 1823 mündig geworden war, stellte er sich als souveräner Herzog dar und entfaltete eine reiche Silber- und Goldprägung, die bei Sammlern hoch im Kurs steht. Auf einer Probe zu einem halben Taler von 1829 erscheint er im Schmuck seiner Orden, während auf der Rückseite das Landeswappen unter einem bekrönten Hermelinmantel von zwei „Wilden Männern“ flankiert wird. Diese Form heraldischer Präsentation findet man auf braunschweigischen, preußischen und anderen Münzen. Die Regierungszeit von Karl II. war durch seinen autokratischen Herrschaftsstil, extravagantes Auftreten und höfische Verschwendungssucht gekennzeichnet. Karl II. brachte seine unter Despotie und Armut leidenden Untertanen gegen sich auf. Wegen Missernte und großer Hungersnot brach 1830, als sich die Franzosen in der Pariser Julirevolution gegen die Bourbonenherrschaft erhoben, ein Volksaufstand aus. In seinem Verlauf ging das Braunschweiger Residenzschloss in Flammen auf. Statt auf die Forderungen aus der Bevölkerung einzugehen, die sich vor seinem Schloss versammelt hatte und verzweifelt nach Brot rief, tat der Herzog das, was alle Selbstherrscher ohne Gefühl für die Nöte ihrer Untertanen tun. Er ließ die Wachen verstärken, Kanonen auffahren und die Pulvervorräte aufstocken. Sogenanntes Umherstehen von mehr als sechs Personen war von nun an verboten. Die Volkswut drohte, sich in einem Aufstand zu entladen, wie 18 Jahre später in Paris, Wien, Berlin, Dresden und an anderen Orten. Die Erhebung ging als Braunschweigische Revolution in die Geschichte ein. Sie war ein wichtiges, freilich wenig bekanntes Ereignis auf dem Weg der Deutschen zur Überwindung der autoritären Fürstenherrschaft und Erlangung demokratischer Verhältnisse.


Das Schloss in Braunschweig ging im  September 1830 in Flammen auf. Der Nachfolgebau wurde im Zweiten Weltkrieg ausgebombt und 1960 abgerissen. Ein Neubau mit rekonstruierter Fassade beherbergt heute ein Einkaufszentrum. Foto: Caspar.


Wäre der von seinem Gottesgnadentum überzeugte Herzog nicht von seinen eigenen Leuten daran gehindert worden, er hätte den Schießbefehl erteilt und schreckliche Schuld auf sich geladen. Doch es kam anders. Die aufgebrachte Menge überwand die Absperrungen am Schloss und näherte sich bedrohlich den herzoglichen Gemächern. Jetzt entschloss sich der bis dahin so hochmütige, nun aber verängstigte Herrscher zur Flucht. Man erinnerte sich, dass der schlecht getarnte Fluchtversuch Ludwigs XVI. und seiner Gemahlin Marie Antoinette im Juni 1791 mit der triumphalen Rückführung nach Paris und der Hinrichtung des französischen Königspaars zwei Jahre später endete. Um nicht erkannt und gar erschossen zu werden, verkleidete sich Karl II. als einfacher Offizier und machte sich aus dem Staub, in der Hoffnung, seine Flucht werde zur Beruhigung der Lage beitragen und er könne bald wieder das Zepter übernehmen. In der Revolution von 1848/9 hatten der preußische König Friedrich Wilhelm IV. und andere Herrscher allen Grund, sich vor der Guillotine zu fürchten und waren sich ihres Lebens erst wieder nach der blutigen Niederschlagung der Aufstände sicher.


Münzen des frühen 19. Jahrhunderts nennen den Prince of Wales Georg August, der 1820 als König Georg IV. den englischen Thron bestieg, als Regenten für den minderjährigen Karl II. Der Taler von 1821 bezeichnet Georg IV. von England als Tutor (Vormund, Beschützer) des noch minderjährigen Herzogs Karl II. von Braunschweig und Lüneburg. Foto: Caspar.

Eine numismatische Rarität ersten Ranges ist die Doppeltalerprobe von 1850, die in den Katalogen mit LP für Liebhaberpreis bewertet wird. Foto: Caspar.


Die überstürzte Flucht des Braunschweigers hatte zwar zur Folge, dass nicht geschossen wurde, wohl aber kam es zu Ausschreitungen – und es brannte auch das Schloss. Wer das Feuer gelegt hatte, wurde nie ermittelt. Es wurde aber als Menetekel, als biblisches Zeichen an der Wand und als Signal für den Aufbruch zu neuen Ufern interpretiert. Karl II. wurde in Abwesenheit für regierungsunfähig erklärt und gab, nach Paris und Genf entwichen, niemals die Hoffnung auf, den Thron seiner Vorfahren wieder zu besteigen. Nach seinem Tod 1873 im Genfer Exil fand man in seinem Nachlass 5000 Uniformen zur Ausrüstung von Freiwilligen, die ihn in Braunschweig wieder an die Macht bringen sollten. Der Ex-Herzog, der als Schachspieler einen hervorragenden Ruf besaß, blieb unverheiratet und hatte auch deshalb keine legitimen Erben. Er hinterließ ein bedeutendes, vor allem aus Diamanten und Beteiligungen an Eisenbahngesellschaften bestehendes, Vermögen.


Die von Ex-Herzog Karl II. mit einem Millionenerbe bedachte Stadt Genf finanzierte mit dem Geld ein Opernhaus und ehrte ihren Gast mit einem am Quai du Alpes am Genfer See errichteten pompösen Grabdenkmal, das von Berühmtheiten der braunschweigischen Geschichte sowie Löwen und Greifen bewacht wird. Quelle: wikimedia commons.


Nachfolger des 1830 gestürzten Karl II. wurde sein Bruder Wilhelm, der Braunschweig bis 1884 regierte und auf Münzen mit seinem langsam älter werdenden Bildnis vertreten ist. In der Kaiserzeit ließ Wilhelm nur einmal eine Münze, und zwar das mit seinem Kopf geschmückte Zwanzig-Mark-Stück von 1875, in einer Auflage von 100.000 Stück prägen. Nach dem Tod von Herzog Wilhelm, der keine legitimen Erben hinterlassen hatte, übernahm ein Regentschaftsrat die Regierungsgeschäfte in Braunschweig. Da Preußen und das 1866 im Ergebnis des Deutschen Kriegs vertriebene Haus Hannover verfeindet waren, konnte der eigentliche Thronanwärter, König Ernst August von Hannover, die Regierung in Braunschweig nicht antreten. Deshalb übernahmen Vertreter anderer Fürstenhäuser von 1885 bis 1913 die Regentschaft. Daher hat Braunschweig in dieser Zeit keine eigenen Reichsmünzen ausgegeben.


Ein besonderes Ziel vieler Sammler der Münzen Braunschweigs ist es, die beiden Versionen der braunschweigischen Fünf- und Drei-Mark-Münzen von 1915 in ihren Besitz zu bringen. Foto: Caspar.


Erst 1913 gelang die Aussöhnung zwischen den Hohenzollern und den Welfen mit der Hochzeit zwischen der Prinzessin Viktoria Luise, einer Tochter von Kaiser Wilhelm II., und dem Welfenprinzen Ernst August. Nachdem er auf seine Ansprüche auf das ehemalige Königreich Hannover verzichtet hatte, konnte er in Braunschweig als neuer Herzog den Thron besteigen, was erst 1915 zur Ausgabe von Drei- und Fünf-Mark-Stücken mit seinem und dem Bildnis seiner Frau führte. Da der herzogliche Titel zunächst unvollständig wiedergegeben wurde, weil der Landesteil "U. LÜNEB." (und Lüneburg) fehlte, musste in Berlin ein neuer Stempel mit etwas verlängerter Umschrift angefertigt werden.


Helmut Caspar

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