Immer wieder bekommen wir an der Ladenkasse nagelneue Euro-Münzen, bei denen man sich fragt, was sie bedeuten. Eine solche ist die Ausgabe „Erasmus-Programm“ zu zwei Euro von 2022. Die Legende klärt uns auf: Die Münze erinnert daran, dass 1987 – also vor nunmehr 35 Jahren – das Förderprogramm der Europäischen Union ins Leben gerufen wurde. Das nach dem berühmten Humanisten der Renaissance Erasmus von Rotterdam benannte Programm, heute „Erasmus+“, hilft bei Aulandsstudienaufenthalten an Universitäten und Hochschulen. Der korrekte Name setzt sich aus den Anfangsbuchstaben von „European Community Action Scheme for the Mobility of University Students“ zusammen.
Wer sucht, der findet in seinem Portemonnaie ganz bestimmt auch Ausgaben der Erasmus-Münze aus anderen Ländern und kann sich Varianten sichern. Das große D auf der Bildseite der Ausgabe von 2022 [Bildquelle: BMF/SMBW], die einem Kupferstich von Albrecht Dürer von 1526 [Bildquelle: Wikipedia] und anderen Porträts nachempfunden ist, ist die Kennung von Deutschland [s. auch Anm.].
Der auch „Fürst der Humanisten“ oder „Kosmopolitischer Vordenker“ genannte niederländische Theologe und Kichenkritiker, Philosoph, Philologe sowie Autor und Herausgeber von mehr als 150 Büchern war ein Zeitgenosse von Martin Luther und Johannes Zwingli, Albrecht Dürer und Lucas Cranach und anderen. Er übte maßgeblichen Einfluss auf die Bildung und Kultur im damaligen Europa aus und bereitete den Weg in die Aufklärung zwei Jahrhunderte später.
Die Europäische Kommission hatte die Mitgliedsstaaten der Euro-Zone aufgerufen, eine motivgleiche 2-Euro-Sondermünze zum 35-jährigen Bestehen des Erasmus-Programms auszugeben. Das Motiv der Bildseite mit dem Porträt von Erasmus von Rotterdam wurde von Bürgerinnen und Bürgern der Europäischen Union im Ergebnis einer Internet-Abstimmung bestimmt. Entworfen von Joaquin Jimenez von der Monnaie de Paris, zeigt die Münze Erasmus von Rotterdam nicht nur in Anlehnung an Vorlagen aus dem 16. Jahrhundert mit Talar und Doktorhut, sondern symbolisiert auch seine Einflüsse und Nachwirkung: Im Hintergrund wird die intellektuelle und menschliche Vernetzung der Studierenden über Ländergrenzen hinweg angedeutet. Den Bezug zu Europa stellen die gewohnten Sterne auf dem Ring her. Die europäische Seite mit der großen Ziffer 2 entspricht der seit 2007 verwendeten gemeinsamen Wertseite der Zwei-Euro-Umlaufmünze mit der Europakarte ohne Ländergrenzen.
Die für den Umlauf bestimmte Auflagenhöhe beträgt nach Angaben des Bundesfinanzministeriums in Berlin maximal 20 Mio. Stück. Die neue Sondermünze ist gesetzliches Zahlungsmittel im gesamten Euro-Raum.
Die neue Erasmus-Ausgabe ist nicht die erste Gemeinschaftsmünze des Euro-Verbundes, denn in den vergangenen Jahren kamen andere Geldstücke dieser Art heraus. Sie stimmen in den Bildern auf der Vorderseite überein, doch können sie durch winzige Buchstaben und Symbole einem bestimmten Land zugeordnet werden. Interessenten, die nach solchen Varianten Ausschau halten, öffnet sich hier ein interessantes und gar nicht teures Sammelgebiet. In dieser Kategorie finden wir die Ausgaben zu den Römischen Verträgen (2007), zum 10-jährigen Bestehen der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU, 2009), 10 Jahre Euro-Bargeld (2012) und 30 Jahre Europa-Flagge (2015), um nur einige Beispiele zu nennen.
2-Euro-Sondermünzen: 50 Jahre Römische Verträge (2007); 10 Jahre WWU (2009);
10 Jahre Euro-Bargeld (2012); 30 Jahre Europa-Flagge (2015) [Bildquelle: BMF/SMBW]
Die ab 2002 ausgegebenen Euromünzen haben sich zu einem beliebten, kaum noch überschaubaren Sammelbereich entwickelt, für den der Münzhandel zahlreiche Belegstücke zu meist moderaten Preisen bereitstellt und der auch auf Münzbörsen präsent ist. Allerdings gibt es viele Raritäten in kleiner Auflage und solche aus Gold und Platin, für die mehrstellige Summen verlangt werden. Sie zu bekommen, dürfte selbst für hartgesottene Eurosammler nicht einfach sein. Hilfreich sind zur Orientierung Münzkataloge wie das von Mario Kamphoff verfasste Nachschlagewerk „Die 2-Euro-Münzen – Katalog der 2-Euro-Umlauf und -Gedenkmünzen aller Euro-Staaten“. Das reich illustrierte Buch mit 896 Seiten erschien in 13. Auflage im Battenberg Gietl Verlag (ISBN 978-3-86646-214-4).
Anmerkung der Redaktion zum Erasmus-Porträt
Dass das Erasmus-Porträt auf den 2-Euro-Münzen nicht nach dem Kupferstich des Dürer gestaltet ist, sondern nach diesem Ölgemälde des Hans Holbein d. J., scheint auf der Hand zu liegen.
Erasmus-Porträt des Hans Holbein d. J. von 1523 [Standort: Louvre-Museum; Bildquelle: Wikipedia]
Das vom Autor erwähnte Erasmus-Bildnis Dürers ist jedoch auch aus anderen Gründen höchstinteressant:
Zur Zeit des Byzantinischen Reiches wurden altgriechische Texte in der zeitgenössischen Aussprache gelesen, was etwa ab dem 15. Jahrhundert nicht mehr unumstritten war. Bekannt ist beispielsweise die Kritik, dass in der Alten Komödie die Schafe nach der byzantinischen Aussprache unrealistischerweise „wih wih“ statt „bäh bäh“ (βῆ βῆ) blöken würden.
Aufgrund der Lesart der verschiedenen Buchstaben(-kombinationen), die als „i“ gelesen wurden – neben ι auch η, υ, ει, οι sowie υι –, wird diese in Byzanz übliche Aussprache symptomatisch auch als „Itazismus“ (im Gegensatz zum „Etazismus“ nach der unterschiedlichen Aussprache des Eta [η]) bezeichnet. Auf Erasmus geht die sogenannte „Erasmische“ Aussprache des Griechischen zurück, mit der er die klassische Aussprache authentisch zu rekonstruieren versuchte. Auf dieser basiert die heute noch in den deutschsprachigen Ländern gelehrte Schulaussprache. Auch wenn der Rekonstruktionsversuch mit den damals verfügbaren Methoden eine enorme Leistung darstellt, entspricht die Erasmische Aussprache aber selbstverständlich nicht der historischen Realität der zu irgendeiner bestimmten Zeit gesprochenen altgriechischen Sprache.
Ein Blick auf die Tafel des Dürer-Kupferstichs verrät jedoch eine Kuriosität: Beim letzten Wort ΔΕΙΞΕΙ, itazistisch „ðíxi“ und erasmisch „deíxei“ ausgesprochen, wurde aufgrund der itazistischen Aussprache des Diphthongs als i-Laut ein Epsilon vergessen, das nachgetragen wurde. Diese simple Form von Korrekturen finden wir auch sonst in zahlreichen Handschriften, Inschriften etc.
Gerade beim Porträt des wichtigsten und einflussreichsten Kritikers des Itazismus musste sich ein solcher Fehler einschleichen!
Ausschnitt aus dem obigen Erasmus-Porträt Dürers mit dem Rechtschreibfehler im griechischen Satz
(übersetzt: „Sein besseres [Bild, Anm.] werden seine Schriften zeigen“)
Comments