Im Jahre 1966 hielt sich der polnische Journalist Ryszard Kapuściński während eines Putsches in Nigeria auf. In seiner Reportage „Anatomie eines Staatsstreichs“ schilderte er die blutige Machtübernahme der Armee in den vier Regionen des Landes: Ibadan (Westnigeria), Kaduna (Nordnigeria), Benin (Mittelwestnigeria) und Enugu (Ostnigeria). Die Nigerianer, die fast ein Jahrhundert unter britischer Herrschaft standen, waren im Jahr 1960 mit großen Hoffnungen in die erste Etappe der Entkolonialisierung gestartet: „Die Menschen waren überzeugt, die Freiheit würde ihnen ein besseres Dach über dem Kopf, eine größere Schüssel Reis, das erste Paar Schuhe in ihrem Leben bringen. Es würde ein Wunder eintreten – die Vermehrung von Brot, Fisch und Wein. Doch nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil – die Bevölkerung wuchs sprunghaft, und es fehlte an Nahrungsmitteln, Schulen und Arbeitsplätzen für sie. Der Optimismus machte bald Enttäuschung und Pessimismus Platz. Die ganze Verbitterung der Menschen, ihre Wut und ihr Hass entluden sich gegen die eigenen Eliten, die nur damit beschäftigt waren, sich rasch zu bereichern.“ (1) In dem damals allein landwirtschaftlich geprägten Land gehörten die Plantagen den Ausländern und die Banken ausländischen Investoren. Als Einheimischer konnte man lediglich in der Politik eine schnelle Karriere machen. Während die Masse hungerte, prasste die Oberschicht hemmungslos. In dieser Situation gab sich das Militär als Retter der Erniedrigten und Beleidigten aus.

Pfahlbauten und Boote im Slumviertel Makoko von Lagos
Bildquelle: Wikimedia, Heinrich-Böll-Stiftung
Ein Jahr nach dem Putsch hatte sich daran nicht viel geändert. Kapuściński fand eine Bleibe in einem Armenviertel im Zentrum von Lagos, der damaligen Hauptstadt des Landes. Kaum angekommen, ging das Licht aus. Die Klimaanlage fiel aus. Der Journalist öffnete das Fenster. Von draußen drang Gestank ins Zimmer, eine Mischung von verfaulten Früchten, verbranntem Öl, Abwaschwasser und Urin. Unter seinem Fenster lagen halbnackte Menschen auf geflochtenen Matten oder dem Boden. Um der unerträglichen Hitze zu entkommen, suchte Kapuściński nach Hilfe. Zwei junge Männer sagten, sie könnten den defekten Stromkreislauf für zehn Pfund reparieren. Damals galt das nigerianische Pfund zu 20 Shillings und 240 Pence, nach britischem Vorbild. Münzen aus unedlen Metallen gab es von einem halben Penny aufwärts bis zu zwei Shillings: „Wenig später war es in der Wohnung wieder hell, und auch die Klimaanlage arbeitete wieder. Nach ein paar Tagen – wieder ein Stromausfall, wieder zehn Pfund, dann fünfzehn und zwanzig.“ (2) Verließ der Journalist die Wohnung, wurde sie ausgeraubt. Die permanent hungrigen Menschen arbeiteten für ein paar Pence oder holten sich einfach, was sie zum Überleben brauchten. Abends wurde das wenige Geld für selbstgebrautes Bier ausgegeben: „Wer einen Shilling besitzt, geht in die Bar. (…) Wenn jemand an einem Tag nur einen Shilling verdient, wird er den mit großer Wahrscheinlichkeit in der Bar ausgeben.“ (3)
Shilling (Nigeria, 1959, Kupfer-Nickel, 5 Gramm, 23 mm)
Bildquelle: CoinBrothers
Die noch kurz vor der Unabhängigkeit hergestellten Banknoten der nigerianischen Zentralbank mit landestypischen Motiven wurden fast ein Jahrzehnt lang weiterverwendet. Die zugehörigen Münzen mit dem Porträt von Königin Elizabeth II. blieben sogar noch etwas länger im Verkehr. Während des Biafra-Krieges, in dem sich der östliche Landesteil abspaltete, wurde ein regional gültiges Biafra-Pfund eingeführt, für das im Ausland sogar silberne und goldene Pseudomünzen hergestellt wurden. Erst im Januar 1970 gelang es der Zentralregierung, die Separatisten in der abtrünnigen Region mit einem hohen Blutzoll niederzuringen. Mit der Einführung des Dezimalsystems am 1. Januar 1973 endete die Zeit des nigerianischen Pfunds. Nachfolgewährung wurde der Naira zu 100 Kobo. Zum Zeitpunkt der Reform hatte er den halben Wert eines Pfundes. Für den Übergang konnte somit ein Naira mit zehn Shilling verrechnet werden. Zu Zeiten des nigerianischen Ölbooms in den siebziger Jahren wurde ein Naira zeitweise mit zu zwei US-Dollars bewertet. Bald fiel die Währung jedoch der Inflation anheim. Banknoten mit immer größerem Nennwert wurden gedruckt. Das seit 1973 produzierte Kobo-Kleingeld wurde immer leichter. Die 1994 geprägten Gold- und Silbermünzen zum 100. Jubiläum des Bankwesens dienten lediglich der Repräsentation.
25 Pounds (Biafra, 1969, 917er Gold, 79,9 Gramm, 50 mm)
Bildquelle: Stacks Bowers, August 2023 Global Showcase Auction, Lot 52041
2 Naira (Nigeria, 2006, 7,5 Gramm, 26 mm)
Bildquelle: NumizMarket
Viele Jahre nach seinem ersten Aufenthalt besuchte Richard Kapuściński das Land erneut. Er wollte den legendären Markt von Onitsha im Osten des Landes besichtigen. Für die mehrtägige Anreise suchte er sich einen ortskundigen Chauffeur: „Mein Fahrer hieß Omenka und gehörte zu den schlauen und durchtriebenen Leute, die im Schatten des Reichtums des hiesigen Ölgebietes aufgewachsen sind und genau wissen, was Geld bedeutet und wie man es seinen Passagieren am besten aus der Tasche zieht.“ (4) Am ersten Tag gab ihm Kapuściński noch kein Trinkgeld, beim nächsten Mal dann 50 Naira, beim übernächsten 100, dann 150 und schließlich 200 Naira. Der riesige Markt, den der Journalist schließlich zu sehen bekam, entpuppte sich als ein improvisiertes Feuerwerk der Kommunikation. Seine hochgesteckten Erwartungen an das Warenangebot wurden allerdings enttäuscht: „Ein afrikanischer Markt ist eine riesige Ansammlung von Billigkeiten und Krimskrams. Eine Fundgrube von Schund und Tand. Berge von Tinnef. (…) Erst an einem solchen Ort erkennt man, wie die Welt von zehntklassiger Ware überschwemmt wird, wie sie versinkt in einem Ozean von Kitsch, wertlosem Plunder, geschmacklosem Zeug und Mist.“ (5)
Dietmar Kreutzer
Quellenangaben:
(1) Richard Kapuściński: Anatomie eines Staatsstreichs; in: Afrikanisches Fieber; Frankfurt/Main 1999, S. 106f.
(2) Richard Kapuściński: Meine kleine Gasse; in: Afrikanisches Fieber; S. 113
(3) Ebenda, S. 116
(4) Richard Kapuściński: Ein Loch in Onitsha; in Afrikanisches Fieber; S. 296f.
(5) Ebenda
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