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Dietmar Kreutzer

Die Seidenstraße

Jeder hat schon einmal etwas über die Seidenstraße gehört. Doch was sich genau dahinter verbirgt, wissen die wenigsten. Geprägt hat den Begriff vor über 100 Jahren der Geograph und Geologe Ferdinand von Richthofen (1833-1905). Im Eingangsband seiner großen Buchserie über China (Berlin 1877) benutzte er ihn für die mehr als ein Jahrtausend währenden Handelsbeziehungen zwischen dem Reich der Mitte und dem Abendland. Die Verbindung soll sich seit der Reise eines Gesandten der Han-Dynastie gen Westen um 130 v.u.Z. ergeben haben.

Östlicher Teil der Hauptroute der Seidenstraße zwischen Changan sowie Samarkand und Buchara. Bildquelle: Wikimedia, Blood

Die wichtigste Route führte um 150 von der damaligen chinesischen Hauptstadt Changan über Samarkand, Hamadan, Antiochia und Palmyra nach Rom, die damalige Metropole des abendländischen Weltreiches. Doch es gab nicht nur eine einzige Seidenstraße. Neben der genannten Hauptachse, die nördlich und südlich der Wüste Taklamakan verlief, existierte ein ganzes Straßennetz, das Städte, Staaten und Völker in Ost und West, aber auch Nord und Süd verband. Der Transport des Luxusgutes Seide gab dem Straßennetz seinen Namen. Transportiert wurden aber auch viele andere Produkte.

Vor etwas mehr als 2.000 Jahren wurde Seide zum Schrittmacher der Zivilisation: „Sie markiert eine Frühform des Kapitalismus. Denn Seide ist nicht nur der äußere Ausdruck von Reichtum für den, der sie trägt, Seide ist zugleich auch Kapital, ist die erste Devise, die erste konvertierbare Währung zwischen Ost und West. Sie ist das einzige Äquivalent zum Gold, das mit dem Aufkommen der Seide aufhört, fast ausschließlich Schmuck für die Toten zu sein. Gold wird nun auch, mit der Seide gemeinsam, zum Schmuck der bevorrechtigten Lebenden. Es wird zum kostbaren Zierrat an sich wie auch zur Fassung von Edelsteinen, die als drittes Statussymbol die Trias der den Menschen auszeichnenden und verschönernden Accessoires bilden.“ (Helmut Uhlig, Die Seidenstraße, Bergisch Gladbach 1995, S. 24).


Goldene Rundbarren zu jeweils 250 Gramm aus der westlichen Han-Dynastie (ca. 100). Bildquelle: Ancient Archeologies

Unter den Han-Kaisern wurden Ballen von Rohseide neben Gold und Silber zu einer Landeswährung, mit der Beamtengehälter und Dienstleistungen bezahlt wurden. Der edle und aufwändig herzustellende Stoff unterlag jedoch dem Verschleiß: „Es handelte sich also um eine Art Schwundgeld, wie es in modernen Wirtschaftstheorien wiederauftauchte als Mittel gegen mangelnden Konsum und produktionsgefährdende Vermögensbildung.“ (Ebenda, S. 52). So gab es einen Anreiz zum Austausch gegen andere Güter aus anderen Regionen.


Silberne Glücksbringer der Dynastie (206 v.u.Z. bis 220 u.Z.), aus denen sich Silberbarren entwickelten. Bildquelle: Christie‘s, Sale 11421, Lot 717

Die Römer lernten den Stoff angeblich während einer Schlacht gegen die Parther im Jahr 53 v.u.Z. kennen. Unter lautstarkem Kriegsgeschrei entrollten die parthischen Truppen große Seidenbanner im Sonnenlicht. Die demoralisierten Römer ergriffen die Flucht. In der Metropole des Römischen Reiches galt Seide bald als Sensation. Schon für eine schmale Borte zum Besatz der Tunika oder Toga wurden Unsummen geboten. Anfangs konnte sich lediglich die Reichsten der Reichen derartige Statussymbole leisten: „Doch je mehr Seide in die Metropole am Tiber kam, um so spürbarer wurde der Kapitalabfluss nach Asien. Eine neue Schicht der Superreichen entstand in Rom: die Seidenhändler. Die meisten von ihnen waren keine Römer, sondern Orientalen.“ (Ebenda, S. 99).

In den Händen dieser Zwischenhändler sammelte sich immer größerer Reichtum. Mit einer großen Menge an Gold aufgewogen, wurde der Import der Seide allmählich zu einem wirtschaftlichen Problem. Um der zunehmenden Dekadenz und dem Abfluss des Edelmetalls zu begegnen, verbot der römische Senat im Jahr 16 den Männern das Tragen von Seidenkleidung. In derselben Senatssitzung wurde laut Tacitus auch die Herstellung von Tafelgeschirr aus reinem Gold untersagt. Doch bald geriet das Verbot in Vergessenheit: „Schon Kaiser Caligula, ein verschwendungssüchtiger Prasser, hielt sich nicht mehr an das Verbot seidener Männerkleidung, zumal er durchsichtige Gewänder bei seinen Lustknaben schätzte.“ (Ebenda). Als Kaiser Elagabalus am 29. September 219 in Rom einzog, war er gleich in mehrere grell farbige Seidengewänder gehüllt.


Für das Alltagsgeschäft in China seit etwa 200 v.u.Z. genutzte Bronzemünzen. Bildquelle: Ebay, Asian Coins Wholesaler

Auch Moslems ließen sich verführen: „Für die Haremsdamen der Kalifen wird Seide geradezu zum Synonym für Schönheit, Pracht und Verführung. Dabei spielte die ungeheure Feinheit der Gewebe eine Rolle. Wir hören von Gewändern, die, selbst mehrfach übereinander getragen, bei raffiniertem Faltenwurf, immer neue Details eines verführerisch schönen Körpers ahnen, ja sogar sehen ließen.“ (Ebenda, S. 327).

Nicht ohne Grund warnte der Prophet Mohammed: „Kleidet euch nicht in Seide und Brokat wie die Ungläubigen!“ Dennoch trugen Moslems zu Festtagen oft Seide auf. Kalif Omar wurde bei der Einnahme Jerusalems im April 637 von seinen Glaubensbrüdern in seidenen Kleidern begrüßt. Erbost ließ er ihnen den Stoff vom Leibe reißen und sie anschließend nackt durch die Straßen schleifen. Doch selbst Kalif Harun ar-Raschid (763-809) war dem Stoff zugetan. Es heißt, dass der mit Adlern und Greifen in Goldfäden bestickte Mantel von Kaiser Karl dem Großen ein Geschenk des Kalifen von Bagdad gewesen sei. Der Stoff dafür war auf der Seidenstraße transportiert worden. Bis zur ersten Jahrtausendwende nach Christus beruhte der Reichtum der Chinesen daher zu einem guten Teil auf dem Export dieses Stoffes. Erst dann ließ der Vormarsch der Moslems und Niedergang der Tan-Dynastie den Handelsweg in Vergessenheit geraten.

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