Die Märchen aus Tausendundeiner Nacht kennt jeder. Doch auch außerhalb dieses im 18. Jahrhundert übersetzten Erzählwerkes gibt es viele Geschichten, die von professionellen Erzählern in den Teestuben von Marokko bis Saudi-Arabien weitererzählt wurden. Geld spielte in ihnen oft eine bedeutende Rolle – ausschließlich in Gestalt von Münzen. Präzision in der Bezeichnung der Nominale darf allerdings nicht unbedingt erwartet werden. Häufig wird einfach von „Goldstücken“ gesprochen, um die es geht. Wie viele es sind, bleibt in vielen Fällen der Phantasie des Erzählers überlassen. Ebenso ist es bei anderen Zahlenangaben. So heißt es, der Held habe „vier, fünf, sechs Kinder“ oder „jeden Tag kam er zu ihm, jeden zweiten oder jeden dritten Tag (Arabische Märchen aus dem Morgenland, Frankfurt/Main, 1980, S. 12). In einigen der Geschichten werden jedoch traditionelle Münzsorten wie der Dinar ausdrücklich genannt. In anderen, später entstandenen sind es Währungseinheiten der Besatzungsmächte. So tauchen der türkische Piaster, das Pfund oder der französische Napoleon auf, also ein goldenes 20-Francs-Stück.
Der Tagdieb und der Nachtdieb (Ägypten)
Nachdem der Tagdieb in einem Kairoer Kaffeehaus von seinem besten Beutezug berichtet hatte, kam der Nachtdieb zu Wort. Er berichtete, dass er einst in einem herrschaftlichen Haus den Schlüssel zum Tresor gestohlen hatte. Gemeinsam mit einem seiner Spießgesellen öffnete er den Tresorraum und fand 40 Kisten. Der Nachtdieb öffnete „den ersten Kasten, zählte seinen Inhalt und stellte fest, dass er vierzig Beutel mit je 500 Piastern enthielt. Er nahm einen Beutel mit 500 Piastern an sich, dann verschloss er den Kasten wieder“. (Arthur Octavius Green, Modern Arabic Stories, Oxford 1909, S. 32). Jeder Kiste entnahm er einen Beutel. Danach bezichtigte er den Eigentümer der Schätze des Diebstahls: „Ich kam einst hierher mit 40 Geldkästen und in jedem Kasten befanden sich 39 Beutel mit je 500 Piastern und dieses Gut vertraute ich seinem Vater an.“ (Ebenda). Der Eigentümer hielt entgegen, in jeder Kiste befänden sich 40 Beutel. Als der Kadi den Tresor öffnen ließ, stellte er fest, wer Recht hatte. So bekam der Nachtdieb das Geld zugesprochen!
Über den Wert der Freundschaft (Irak)
Ein Kaufmann hatte einen Sohn, der all seine „Freunde“ mit dem Geld des Vaters unterhielt. Als der Vater ihn schließlich aus dem Haus jagte, war keiner dieser Freunde mehr für ihn da. Unter großer Mühe musste er eine Unterkunft und Arbeit finden. Zwei Jahre später trafen sich beide wieder. Der Sohn hatte in der Zwischenzeit hart für sein Auskommen arbeiten müssen. Der Vater fragte, ob er in dieser Zeit etwas sparen konnte. Sein Sohn zeigte ihm einen gut gefüllten Geldbeutel: „Hundert Pfund, antwortete der Sohn stolz, denn zu dieser Zeit war das eine ansehnliche Summe Geld.“ (Sarah Powell Jamali, Folktales from the City of the Golden Domes, Beirut 1965, S. 47). Während des Disputes nahm der Vater den Beutel mit den 100 Pfund und warf ihn ins Wasser. Der Sohn schäumte vor Wut. „Siehst du, wie es dich entrüstet, wenn ich dein Geld verschleudere, für das du hart gearbeitet hast! Doch erinnerst du dich noch, wie viele Pfunde meines schwer verdienten Geldes du für deine treulosen Freunde vergeudet hast? Du sollst wissen, wie wertvoll das Geld für denjenigen ist, der es im Schweiße seines Angesichts verdient hat.“ (Ebenda).
Der betrügerische Fellache (Palästina)
Unter Vorwänden wollte ein Fellache (Bauer, d. A.) ein Darlehen bei einem der berühmtesten Kaufmänner aufnehmen: „Der Kaufmann war einverstanden und gab ihm so viel er wollte, etwa 400 bis 500 Napoleon.“ (Leonhard Bauer, Das palästinische Arabisch, Leipzig 1913, S. 201). Den Betrag wollte der Fellache dem Kaufmann jedoch schuldig bleiben. Er verbarg das Geld in seiner Gerste, von wo es bei einem Getreidekauf versehentlich wieder in die Hände des Kaufmannes gelangte. Der Fellache ahnte jedoch nicht, wo das Geld geblieben war. Wieder borgte sich der Fellache bei dem Kaufmann zwischen 400 und 500 Napoleon aus, die er nicht zurückzuzahlen beabsichtigte. Diesmal verlor er das Geld auf dem Markt, wo es von dem Kaufmann gefunden wurde. Bei der Aufnahme des dritten Darlehens schwor der Fellache bei Allah, alles zurückzuzahlen. Als der Zeitpunkt dafür gekommen war, legte er den dreifachen Betrag auf den Tisch. Der Kaufmann nahm aber nur ein Drittel des Geldes entgegen. Weil der Fellache sich habe läutern lassen, beanspruche er nur einen Ersatz für das letzte Darlehen. Die beiden vorigen seien ihm bereits von Allah erstattet worden: „Wegen deiner unaufrichtigen Absicht kam mein Geld zurück.“ (Ebenda).
Der rosige Jüngling (Syrien)
Ein junger Familienvater klagte über den Geiz seiner vermögenden Mutter. Seine zehnköpfige Familie hatte kaum genug, um zu überleben: „Die Armut verfolgte sie; sie wurden ärmer und ärmer, bis sie nahe daran waren, vor Hunger zu sterben.“ (Bernhard Lewin, Arabische Texte im Dialekt von Hama, Beirut 1966, S. 38). Da verfiel der Sohn auf eine List. Er überzeugte einen Nachbarn, die Gunst der betagten Dame zu erschleichen. Als bereits die Hochzeit angesetzt war, erklärte der Bräutigam, dass der Termin aufgeschoben werden müsse. Denn zuvor habe er in Aleppo zwei Wechsel zu begleichen: „Der eine über 250 Goldpfund und der andere über 450 Goldpfund.“ (Ebenda). Die verliebte Witwe griff nach einem Schlüssel, den sie Tag und Nacht um ihren Hals trug, öffnete eine Kassette und zählte 700 Goldpfund in die Hand des Bräutigams: „Bitte zeig sie nicht! Schnür sie in das Taschentuch ein. Geh sofort und bezahl die Wechsel. Aber bleib nicht lange fort!“ (Ebenda). Der Bräutigam wurde nie wiedergesehen. Die Pfundstücke hatte er seinem Freund übergeben, sobald er aus dem Haus gekommen war - dem Sohn der Witwe und hungernden Familienvater!
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