Im Erfinden von Geschichten war der 1842 geborene Rudolph Berns ganz groß. Seiner kleinen Schwester Elise schrieb er kleine Texte auf. Eines Tages schob er ihr beim Abendessen mit den Eltern eine neue Kladde unter dem Tisch zu. In ihr stand, dass König Friedrich Wilhelm IV. die Absicht habe, das Berliner Schloss zu versilbern. Von oben bis unten solle es mit feinen Silberplättchen geschmückt werden: „Zur allgemeinen Ehre und zum Ruhm in der Nachwelt sind nun alle preußischen Bürger aufgerufen, ihre Silberwaren unverzüglich aus dem Fenster zu schmeißen, damit sie im Laufe des Tages eingesammelt werden können. Ziel ist es, sie zentral einzuschmelzen. Die Versilberung der Schlossmauer reicht bereits fünf Fuß hoch. Es ist ein Schimmern, ein Blitzen und ein Glitzern, wie es sich niemand vorstellen kann, der nicht einmal davorstand. Allerdings sind die staatlichen Silberreserven nun aufgebraucht. ‚Bürger Berlins!‘ hört man überall in den Straßen den Ausrufer. ‚Werft euer Silber auf die Straße! Am besten sofort‘“. (Sabrina Janesch: Die goldene Stadt, Berlin 2017, S. 54). Die leichtgläubige Schwester glaubte die Geschichte aufs Wort. Sie sprang vom Tisch auf, riss kurz entschlossen den Kasten mit dem Tafelsilber aus der Kommode und beförderte ihn aus dem Fenster. Unten auf der Leipziger Straße schepperte, klirrte und rasselte es so, als ritten Dragoner gegen Barrikaden an. Dutzende von silbernen Gabeln, Löffeln und Messern lagen nun unten. Dem Mädchen blieb sogar noch genug Zeit, sich die silberne Kette mit dem Madonnenamulett vom Hals zu reißen und hinterherzuwerfen. Dann erst sprang die Mutter auf und schüttelte Elise. Die stotterte nur, sie habe auch einen Beitrag leisten wollen: „Für die Ehre. Und den Ruhm. In der Nachwelt.“ (Ebenda, S. 55).
Machu Picchu. [Bildquelle: Wikimedia, Szekely].
Erwachsen geworden, wollte Rudolph Berns El Dorado finden, die goldene Stadt. Hoch in den Anden von Peru fand er tatsächlich etwas. Im Jahre 1867 entdeckte er die Inkastadt Machu Picchu! Doch niemand in Peru interessierte sich für ein paar alte Mauern. So erfand er wieder Geschichten. Beim Mittagessen mit Luis Carranza, dem Chefredakteur der größten Wirtschaftszeitung des Landes, gab er sie zum Besten: „Schätzungen zufolge befindet sich in der Ruine etwa eine Tonne Gold.“ (Ebenda, S. 461). Seine Erzählungen versetzten die Kapitalgeber in Aufregung. Berns berichtete, die Stadt sei über und über mit Gold verkleidet. Platten aus purem Gold, die Wände, Fassaden und Altäre zieren! Alle sind begeistert. Zur Erkundung der „goldenen Stadt“ wurde 1887 in Lima eine Aktiengesellschaft gegründet: „Bald skizzierte Berns den Entwurf einer Aktie. Gerahmt von Ornamenten, prangte ganz zuoberst der Name des Unternehmens, Huacas del Inca. Darunter standen die Nummer der Aktie und ihr Preis, fünfzig Soles aus reinem Silber. In die Mitte setzte Berns das Wappen Perus, ein Schild, auf dem ein Vikunja-Lama, ein Chinarindenbaum und ein von Goldmünzen überquellendes Füllhorn zu sehen waren. Zu den Seiten des Wappens zeichnete er je eine Figur: links Manco Cápac, den ersten, mythischen Herrscher der Inka, Sohn des Sonnengottes, und rechts den Inka, dessen Statue er in der verlorenen Stadt gesehen hatte. Er war der siegreichste aller Inka, Pachacútec Yupanqui, und sein Name bedeutete: Weltenveränderer.“ (Ebenda, S. 475).
Aktie der Gesellschaft „Huacas de Inca“. [Bildquelle: Die Welt, Wenig].
Das Buch über Rudolph Berns, für das Sabrina Janesch im Jahr 2017 den Anette-von-Droste-Hülshoff-Preis bekam, ist ein moderner Abenteuerroman. Sie schrieb es, nachdem 2008 bekannt wurde, dass Machu Picchu nicht zu Beginn des 20. Jahrhunderts von einem Briten, sondern schon viel früher von einem Deutschen entdeckt wurde. Und das kam so: Ein amerikanischer Forscher hatte in der Nationalbibliothek von Peru zahlreiche Dokumente des deutschen Ingenieurs Rudolph August Berns entdeckt. Unter ihnen befanden sich handgefertigte Karten, aus denen die genaue Lage der Inkastadt hervorgeht, die heute unter dem Namen Machu Picchu bekannt ist. Nach jahrelanger Forschung zum Lebensweg von Berns schrieb Sabrina Janesch einen farbenfrohen, mitreißenden Romans über den preußischen Abenteurer. Die historisch verbürgte Suche nach der „goldenen Stadt“ durch Rudolph Berns endete jedoch in einem Skandal. Nachdem das Kapital der Aktiengesellschaft „Huacas de Inca“ eingesammelt war, verschwand Berns mit dem Geld der Anleger auf Nimmerwiedersehen. Welches Schicksal der Mann erlitt und wann er starb, ist unbekannt. Als der US-Archäologe Hiram Bingham im Jahre 1911 die Ruinen von Machu Picchu zum zweiten Mal entdeckte, berichtete er in seinem Tagebuch von einem alten Deutschen in abgerissenen Kleidern, der ihn auf eine bedeutende Ruinenlandschaft in der Nähe hinwies. Sabrina Janesch glaubt sicher zu wissen, wie der Name des Mannes lautete: Rudolph August Berns.
1 Libra (Peru, 1898-1969, 917er Gold, 8,0 Gramm, 22 mm). [Bildquelle: Numismatic Guaranty Corporation].
50 Soles (Peru, 1930-1969, 900er Gold, 33,4 Gramm, 35 mm). [Bildquelle: Heritage Auctions, Long Beach Auction, September 2018, Los 32126].
Die Inkas und ihre Häuptlinge erlangten nun zunehmend Symbolkraft für Peru. Als das Land im Jahre 1898 zur Goldrechnung überging, wurde die Libra im Gewicht eines britischen Goldpfundes als Standardmünze eingeführt. Auf der Rückseite zeigt sie ein Porträt von Manco Cápac, den Begründer des Inkareiches. Nach der Aufhebung der Goldeinlösung während des Ersten Weltkrieges verschwanden die Münzen. Im Jahr 1930 kehrte Peru zu einem festen Wechselkurs seiner Währung zum goldgedeckten US-Dollar zurück. Eine kleine Serie von Goldmünzen zu 50 Soles im Gegenwert eines 20-Dollar-Stücks mit dem Porträt von Manco Cápac kam heraus. Nachprägungen der Libra- und Soles-Goldstücke sind heute beliebte Sammler- bzw. Anlagemünzen.
Dietmar Kreutzer
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