Ein Wendepunkt für die österreichische Wirtschaft und Gesellschaft
Die Einführung des Schillings vor 100 Jahren stellte einen markanten Wendepunkt in der österreichischen Wirtschaftsgeschichte dar. Sie war nicht nur eine notwendige Reaktion auf die verheerenden wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkriegs und der Inflation, sondern auch ein bedeutendes Symbol für den Neuanfang und die Stabilisierung der jungen Ersten Republik Österreich. Die rechtliche Grundlage für die Einführung der neuen Währung wurde im Schillingrechnungsgesetz vom 20. Dezember 1924 geschaffen, welches den Rahmen für den Übergang von der Krone zur neuen Währung definierte. Der Schilling löste damit die stark entwertete Österreichisch-Ungarische Krone ab und sollte als stabile Währung dazu beitragen, das Vertrauen in die österreichische Wirtschaft wiederherzustellen.
Bundeskanzler Ignaz Seipel (1876-1932)
Bildquelle: Picryl, Salomon
Wirtschaftliche und politische Rahmenbedingungen nach dem Ersten Weltkrieg
Der Erste Weltkrieg hatte Österreich nicht nur militärisch und politisch geschwächt, sondern auch massive wirtschaftliche Schäden hinterlassen. Die Kriegsfolgen, verbunden mit der Auflösung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, führten zu einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Die österreichische Krone, die vor dem Krieg als stabile Währung galt, war nach dem Ende des Krieges stark von Inflation betroffen. Die jahrzehntelange Inflation hatte bereits 1921 dramatische Ausmaße angenommen, als der Wert der Krone nahezu zusammenbrach. In den frühen 1920er-Jahren eskalierte diese Entwicklung weiter, was zu einem drastischen Verlust des Wertes führte und das Vertrauen der Bevölkerung in die Währung weiter erschütterte. In dieser Phase war die österreichische Wirtschaft im Wesentlichen handlungsunfähig, und die Regierung war gezwungen, nach Lösungen zu suchen, um das Vertrauen der Bevölkerung in die wirtschaftliche Zukunft des Landes zurückzugewinnen.
Der Wertverlust der Krone hatte tiefgreifende soziale und wirtschaftliche Auswirkungen. Die Bevölkerung kämpfte mit der galoppierenden Inflation, was zu einer dramatischen Erhöhung der Lebenshaltungskosten führte und die Kaufkraft erheblich schmälert. In dieser schwierigen Lage war es für die Regierung unter Bundeskanzler Ignaz Seipel von entscheidender Bedeutung, Maßnahmen zu ergreifen, um eine Stabilisierung der Wirtschaft und des Finanzsystems zu erreichen. Die Einführung des Schillings war als eine der zentralen Maßnahmen zur Überwindung dieser Krise geplant.
Der österreichische Schilling (Graz 1974)
Bildquelle: Amazon, Styria
Die politischen Bemühungen und die internationale Unterstützung
Bundeskanzler Ignaz Seipel, der sich zu dieser Zeit aktiv auf Reisen durch mehrere europäische Hauptstädte und zum Völkerbund nach Genf begab, suchte Unterstützung von den europäischen Siegermächten des Ersten Weltkriegs, um eine Lösung für die gravierenden wirtschaftlichen Probleme Österreichs zu finden. Eine der wichtigsten Maßnahmen war die sogenannte Völkerbundanleihe von 1922, die als erster Schritt zur Stabilisierung der österreichischen Wirtschaft und zur Gewährung internationaler Hilfe verstanden wurde. Gleichzeitig wurde 1922 auch die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) gegründet, die fortan für die Herausgabe von Banknoten und die Kontrolle der neuen Währung verantwortlich war.
Trotz dieser ersten Schritte blieb die Frage der Währungsstabilität eine der größten Herausforderungen für die junge Republik. Die Einführung des Schillings, die im Schillingrechnungsgesetz von 1924 verankert wurde, sollte als Teil eines umfassenden Reformpakets den Weg für die wirtschaftliche Erholung ebnen. Diese Reform war jedoch nicht nur eine technische Notwendigkeit, sondern auch eine politische Herausforderung. Sie stellte die erste ernsthafte Bewährungsprobe für die junge Nationalbank dar, die mit der Aufgabe betraut wurde, die Stabilität der neuen Währung zu gewährleisten.
Schreiben des Finanzministeriums vom 22. Dezember 1924
Bildquelle: Österreichisches Staatsarchiv
Die Schaffung der Schillingrechnung: Ein langsamer Übergang zur neuen Währung
Die Einführung des Schillings erfolgte zunächst als "Buchwährung", was bedeutete, dass in den ersten Monaten nach Verabschiedung des Schillingrechnungsgesetzes nur in Schilling gerechnet wurde, ohne dass sofort physische Banknoten und Münzen ausgegeben wurden. Dies stellte sicher, dass die Umstellung auf die neue Währung kontrolliert und schrittweise erfolgen konnte, um mögliche Störungen in der Wirtschaft zu vermeiden. Es war jedoch ein erheblicher administrativer Aufwand erforderlich, um die Umstellung auf die Schillingrechnung erfolgreich umzusetzen. Von den öffentlichen Verwaltungen bis hin zu den privaten Wirtschaftsakteuren mussten alle Stellen auf die neue Währung umstellen, was eine umfangreiche Organisation und Koordination erforderte.
In einem internen Schreiben des Finanzministeriums vom 22. Dezember 1924 wird darauf hingewiesen, dass für die Umstellung der Rechnungswährung mindestens zwei bis drei Monate benötigt würden. Eine voreilige Einführung könnte zu einem "heillosen Chaos" und zu finanziellen Schäden für den Bundeshaushalt führen. Das Schillingrechnungsgesetz legte daher fest, dass die Umstellung der Bundeshaushalte sowie aller anderen öffentlichen Haushalte spätestens bis zum 30. Juni 1925 abgeschlossen sein sollte. Dieser Zeitraum ermöglichte es, die notwendigen administrativen Schritte zu unternehmen und die neuen Währungsrechnungen flächendeckend zu implementieren.
1 Schilling (Österreich 1925, 640er Silber, 6 Gramm, 25 mm)
Bildquelle: Katz Auction, Aukion 133, Los 1022
Die rechtlichen Grundlagen und der Umrechnungskurs
Ein zentraler Aspekt des Schillingrechnungsgesetzes war die Festlegung des Umrechnungskurses von 10.000 Kronen auf einen Schilling. Dies war notwendig, um die Umstellung auf die neue Währung rechtlich zu regeln und den Wert der alten Krone im Verhältnis zur neuen Währung festzulegen. Der Umrechnungskurs war entscheidend für die Wahrung von finanziellen Vermögenswerten und für die Berechnung von Schulden und Verbindlichkeiten. Gleichzeitig war die rechtliche Verankerung der neuen Währung ein wichtiges Signal an die internationale Gemeinschaft, dass Österreich ernsthafte Schritte unternahm, um seine Wirtschaft zu stabilisieren und den Währungsverfall zu stoppen.
Trotz des frühen administrativen Übergangs zur Schillingrechnung mussten die physischen Banknoten und Münzen, die den Schilling repräsentieren sollten, noch gedruckt. geprägt und verteilt werden. Dies war eine logistische Herausforderung, da die benötigte Menge an Schilling-Banknoten und -Münzen in einem relativ kurzen Zeitraum produziert und in Umlauf gebracht werden musste. Die erste Schillingmünze, die 1924 geprägt wurde, symbolisierte nicht nur den Übergang von der Krone zum Schilling, sondern auch den Beginn eines neuen wirtschaftlichen Kapitels für Österreich.
25 Schilling (Österreich, 1935, 900er Gold, 5,9 Gramm, 21 mm)
Bildquelle: V.L. Nummus, TOP3 Auction, Lot 976
Der lange Weg zur Währungsstabilität und die Bedeutung des Schillings
Die Schaffung des Schillings war ein symbolischer und praktischer Schritt, um das Vertrauen in die österreichische Wirtschaft wiederherzustellen. Doch der Prozess der Währungsumstellung war langwierig und von vielen Herausforderungen begleitet. Die Banknoten und Münzen mussten in Umlauf gebracht und die Bevölkerung auf die neue Währung eingewöhnt werden. Zudem blieb die Stabilität des Schillings eine dauerhafte Aufgabe für die OeNB, die dafür verantwortlich war, die Währung im internationalen Kontext zu schützen und Inflation zu vermeiden.
Der Schilling blieb bis zur Einführung des Euro im Jahr 2002 die offizielle Währung Österreichs. Diese lange Geschichte des Schillings unterstreicht die Bedeutung der Währungsreform von 1925, die als ein Grundpfeiler der wirtschaftlichen Stabilität und des nationalen Selbstverständnisses Österreichs betrachtet werden kann. Der Schilling half, die österreichische Wirtschaft nach den verheerenden Folgen des Krieges zu stabilisieren und den Weg für das 20. Jahrhundert zu ebnen. Die Einführung des Schillings ist somit nicht nur ein wirtschaftlicher, sondern auch ein politischer Meilenstein in der Geschichte der Ersten Republik Österreich.
Andreas Raffeiner
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