Um 300 v. Chr. gründete der Seleukidenkönig Seleukos I. Nikator vier Städte, die als Syrische Tetrapolis in die Geschichte eingingen: Seleukeia Pieria in der nordsyrischen Landschaft Pierien, Antiocheia am Orontes, Apameia am Axios und Laodikeia am Meer. Bei Seleukeia Pieria handelte es sich um eine Hafenstadt, die nach Seleukos I. benannt worden war, etwa 40 Stadien nördlich der Orontesmündung am Hang des Koryphaios, zwischen zwei Bachtälern lag, von einer 12,5 km langen Mauer umgeben und von Seleukos als Reichshauptstadt konzipiert worden war. Seleukos bevölkerte diese neugegründete Stadt mit den ehemaligen Einwohnern von Antigoneia, nachdem er diese Stadt, die eine Gründung seines Rivalen Antigonos I. Monophthalmos war, zerstört hatte. Seleukeia Pieria beherbergte bald schöne Tempel, die dem Zeus Keraunos und dem Kult Seleukos I. gewidmet waren. Nach dem Tode Seleukos I. 281 v. Chr. wurde dieser in Seleukeia Pieria bestattet. Doch schon sein Sohn und Nachfolger Antiochos I. verlegte die Residenz des Reiches nach Antiocheia am Orontes. 246 v. Chr., während des 3. Syrischen Krieges zwischen Seleukiden- und Ptolemaierreich, fiel Seleukeia Pieria an die Ptolemaier und blieb ptolemaiisch bis 219 v. Chr., als Antiochos III. der Große die Stadt für die Seleukiden zurückgewinnen konnte. Im Hellenismus diente diese bedeutende Hafen- und Handelsstadt als militärischer Stützpunkt für die seleukidische Flotte. Unter Antiochos VIII. erlangte Seleukeia Pieria im Jahre 109 v. Chr. die Autonomie. Da mit dem Autonomiestatus auch das Recht der Stadt auf eine eigene Münzprägung einherging, emittierte Seleukeia Pieria ab 106/105 v. Chr. zahlreiche städtische Tetradrachmen. Diese Silbermünzen, die im reduzierten attischen Standard (ca. 14,9 g/Tetradrachmon) verausgabt wurden, tragen auf ihren Vorderseiten die nach rechts gewandte Büste der Tyche (der Stadtgöttin) Seleukeias mit Mauerkrone, Schleier, Ohrring und Perlenhalskette im „Eierstabkranz“ und zeigen rückseitig einen mit Bändern geschmückten Donnerkeil (griechisch Keraunos) auf einem „Polstersitz“ für die Götter (lat. Pulvinar) liegend – das Ganze von einem Lorbeerkranz umgeben.
Mit dem Donnerkeil bzw. Blitz der Rückseite nehmen die Münzen eindeutig Bezug auf Zeus Keraunos, der in Seleukeia große Verehrung genoss. Die griechische Legende dieser Tetradrachmen lautet auf SELEUKEON TES IERAS / KAI AUTONOMOU, was „[Münze] der Seleukeier [Einwohner] der heiligen und autonomen [Stadt]“ bedeutet.
Vergleicht man die abgebildeten Tetradrachmen miteinander, so fällt auf, dass vor allem die Gestaltung der Tyche stilistisch-künstlerische Unterschiede aufweist. Auf einigen frühen Ausgaben (erste Abb.) war ihr Porträt großflächiger und die Gesichtszüge expressiver durchmodelliert als auf späteren Emissionen (zweite Abb.), ihre Mauerkrone entsprechend wuchtiger. Auch folgte ihr Schleier der Frisur am Hinterkopf weitaus genauer und fiel fließender vom Haar zum Dekolletee herab. Zudem war ihr Ohrring in selteneren Fällen nicht einfach nur ein Ring, sondern trug noch einen traubenförmigen Anhänger. Das Außergewöhnliche an diesen Tetradrachmen ist allerdings die Tatsache, dass sie allesamt datiert sind. Die Datierung erfolgte in griechischen Großbuchstaben, die sich auf der Münze stets zwischen den Beinen des Polstersitzes über dem Wort KAI befinden. Rein theoretisch beginnt die Datierung mit dem Buchstaben Alpha [Jahr 1] für das Jahr 109/108 v. Chr. Weil die Münzprägung aber nicht sofort, sondern erst im vierten Jahr einsetzte, tragen die ersten autonomen Tetradrachmen den Buchstaben Delta [Jahr 4] für 106/105 v. Chr. Da die letzten Tetradrachmen die Buchstaben Beta Kappa [Jahr 22] für das Jahr 88/87 v. Chr. aufweisen, wird klar, dass man die Tetradrachmenprägung danach einstellte. Was die Seltenheit dieser autonomen Münzen angeht, so stuft sie der Numismatiker Oliver D. Hoover mit S [scarce] (selten) ein, was etwa 60-200 Exemplare bedeutet. Doch auch wenn die Emission autonomer Silbertetradrachmen nach 88/87 v. Chr. nicht weitergeführt wurde, so war dies keineswegs das Ende der autonomen Münzprägung oder gar das Ende der Stadt-Autonomie. Da sich Seleukeia Pieria gegen die Belagerung des Tigranes von Armenien erfolgreich zur Wehr gesetzt hatte, wurde ihr Autonomiestatus 66 v. Chr. vom römischen Felherrn Pompeius Magnus anstandslos anerkannt und offiziell bestätigt, zumal Tigranes II. von Armenien (95-55 v. Chr.) auch sein Feind und Kriegsgegner gewesen war.
Zwischen 93/92 und 6/5 v. Chr. emittierte Seleukeia Pieria eine Reihe autonomer Bronzemünzen. Bronzemünzen, die entweder motivgleich mit den silbernen Tetradrachmen waren oder solche, die vorderseitig den Kopf des Zeus und rückseitig seinen Donnerkeil tragen oder aber auf ihren Vorderseiten das Zeusporträt und auf den Rückseiten die Büste der Tyche mit Mauerkrone sowie Schleier zeigen. Die Münzlegende dieser Bronzestücke lautete übrigens ebenso wie bei den silbernen Tetradrachmen. Oliver D. Hoover stuft die Seltenheit dieser Bronzemünzen wie folgt ein: Die mit den Tetradrachmen motivgleichen und die mit Zeus und Donnerkeil jeweils R1 (rar, etwa 10-30 Exemplare) und die mit Zeus und Tyche S [scarce] (selten, etwa 30-100 Exemplare). #Antike #Seleukiden #SeleukeiaPieria #SeleukosINikator #Syrien #SyrischeTetrapolis #Orontes #ZeusKeraunos #Zeus #Antiochia #Ptolemaierreich #Ptolemaier #Tetradrachme #Tetradrachmon #PompeiusMagnus #TigranesIIVonArmenien #MichaelKurtSonntag
Comments