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Dietmar Kreutzer

Die Abenteuer des Manuel Rojas

Lange Zeit lebte der chilenische Autor Manuel Rojas in Santiago de Chile. In seinem Roman Der Sohn des Diebes erinnert er sich an diese Zeit: „Ich war hungrig, sehr hungrig. Die einzige Hoffnung, meinen Hunger stillen zu können, waren die Metallstückchen. Waren sie wirklich etwas wert? War es vielleicht doch nur ein Scherz, mir zu sagen, man könnte sie verkaufen? […] Ich war lange am Strand auf und ab gegangen, hatte mich gebückt und wieder aufgerichtet, hatte die Augen angestrengt, im Sand gewühlt und war den Wellen ausgewichen.“ [1] Gemeinsam mit seinen Kameraden, denen er die Spitznamen „Philosoph“ und „der Spanier“ gegeben hatte, lieferte er die in tagelanger Arbeit zusammengetragenen Stücke in einem Geschäft ab. Ein Mann hinter dem Tresen wog sie aus. „Aus einer Schachtel hinter dem Ladentisch nahm er sieben Pesos, warf sie, einen nach dem anderen, auf das zerkratzte und rissige Holz, auf dem sie klangen, und schob sie Echeverria hin: sieben Pesos, die da im Gänsemarsch zu Echeverria kamen. Der Philosoph nahm eine Münze nach der anderen an sich, während der Spanier die Zeremonie schweigend verfolgte.“ [2] Im Anschluss wurde der Ertrag geteilt: „Wieviel ist sieben dividiert durch drei? Also los! Wie steht es bei mir mit der höheren Mathematik? Zwei Pesos für jeden, sind sechs Pesos, bleibt einer; unter dreien verteilt: dreißig Centavos; also zwei Pesos dreißig für jeden, und es bleiben zehn Kupfermünzen.“ [3]


Manuel Rojas (1896–1973). Bildquelle: Cultura acompañada


Die Geschichte des chilenischen Pesos während der Jugendjahre von Manuel Rojas ist schnell erzählt. Im Gefolge des sogenannten Salpeterkrieges und einer schweren Wirtschaftskrise liefen in dem südamerikanischen Land um 1880 fast nur noch Papiergeld und Silbermünzen um. Das Silbergeld verlor jedoch infolge eines anhaltenden Preisrückgangs bei Silber permanent an Wert. Der Versuch einer Stabilisierung des Pesos auf Goldbasis in den Jahren 1895 bis 1898 scheiterte jedoch. Nach dem Ersten Weltkrieg wagte das Land im Zuge der internationalen Bemühungen um eine Rückkehr zum Goldstandard einen zweiten Versuch. Im Jahre 1925 wurde der Peso offiziell in Gold notiert. Die neu gegründete Zentralbank legte zu diesem Zweck eine Goldreserve an. Eine relativ kleine Serie an Goldmünzen zu 20, 50 und 100 Pesos wurde tatsächlich geprägt. Die Ausgabe von Scheidemünzen aus Silber war exakt geregelt. Ein Peso enthielt gegenüber den Ausgaben ein halbes Jahrhundert zuvor aber nur noch ein Fünftel an Silber. Sie sollten bald noch leichter werden: „Die Silberprägungen Chiles seit 1896 sind insofern reizvoll als sie in einzigartiger Weise bei gleichbleibendem Münzbild (Kondor und Wert im Kranz) mit fortschreitendem Verlust an Gewicht und Feinheit bis zum Verfall in unedle Metalle bis 1932 den Wertverfall des Pesos illustrieren.“ [4]


Chile. Peso von 1890. 900er Silber, 25 g, 37 mm [Numista, Heritage Auctions]


Nach dem Tod seines Vaters lebte Manuel Rojas eine Zeit lang in Argentinien. Von den dortigen Tricks der Straßenhändler berichtet er ausführlich. Die Verkaufsanbahnung lief gewöhnlich so: „Lieber Herr! Ich habe eine gute Uhr zu verkaufen. Ein Geschenk. Sie ist ein Familienerbstück. […] Ich verkaufe sie nur, weil ich in großer Verlegenheit bin. Meine Mutter ist krank.“ Zeigte sich der potentielle Kunde interessiert, zog der Händler ein wertloses Stück aus der Tasche und schaute sich um, als müsste er einen kostbaren Schatz vor der Öffentlichkeit verbergen: „Weil Sie es sind, überlasse ich Ihnen die Uhr für achtzehn Pesos.“ [5] Er selbst hatte die Uhr zuvor am Bahnhof einem Altwarenhändler für drei oder höchstens vier Pesos abgekauft. Verlor der Kunde angesichts des überhöhten Preises das Interesse, ging der Händler im Preis herunter. Dann trat ein betont aufdringlicher Komplize an das Duo heran und erklärte, die Uhr für 15 Pesos abzunehmen. Daraufhin war der Kaufinteressent zumeist bereit, die Uhr für zwölf Pesos zu kaufen: „Das Opfer zog die Scheine, reichte sie hin, empfing die Antiquität und verließ eilig die Szene, indem er im Vorübergehen dem Aufdringlichen noch einen abfälligen Blick zuwarf. Dieser aber blieb bei dem Verkäufer, und beide machten sich auf die Suche nach einem neuen Opfer.“ [6]


Chile. Peso von 1910. 900er Silber, 12 g, 31 mm [Numista, Heritage Auctions]


Es fällt auf, dass die Summe in diesem Fall nicht in barer Münze, sondern ausschließlich mit Banknoten bezahlt wurde. Das hatte seinen Grund. Das argentinische Währungssystem wechselte wegen der Schuldenlasten schon frühzeitig von Münz- zu Papiergeld: „Während die öffentlichen Ausgaben zwischen 1864 und 1869 noch bei 13,1 Mill. Goldpesos gelegen hatten, betrugen sie im Zeitraum 1890 bis 1894 bereits 37,6 Mill. Goldpesos. Zwischen 1884 und 1890 ist mehr als eine Verdoppelung der öffentlichen Verschuldung festzustellen. Die früh geübte Praxis der Papiergeld-Emission durch die Zentral- und Territorialgewalten erschien angesichts des vorhandenen ökonomischen Potentials des Landes zunächst nicht als besonders bedenklich, doch zeigten inflationäre Schübe hier eindeutig Grenzen auf.“ [7] Trotz einer zeitweise florierenden Wirtschaft kam Argentinien praktisch nie mehr vom Papiergeld weg. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts zur Zeit von Manuel Rojas wurden selbst kleinste Beträge In Papier bezahlt. Münzen gab es lediglich in drei Wertstufen von 20 Centavos abwärts. In der Weltwirtschaftskrise begann eine nachhaltige Talfahrt des Pesos, die unlängst sogar in einen Staatsbankrott mündete.


Chile. Peso von 1933. Kupfer-Nickel, 10 g, 29 mm [MA-Shops, Dilmark’s]


Wie man sich in Buenos Aires ohne Geld in der Krise durchschlug, erfahren wir von Manuel Rojas ebenfalls. „Ich begann mich nach einer Arbeit umzusehen, nach irgendeiner Arbeit, wo auch immer sie zu finden wäre und wozu auch immer sie diente: Büro, Laden, Fabrik, Warenlager, Straße oder Bauarbeit in brennender Sonne. Es war aber sehr schwierig, etwas zu finden. Zu Zehnen, sogar zu Hunderten suchten Menschen aller Nationalitäten, Altersstufen und Herkunft nach Arbeit. Landstreicher wie ich und andere mit Wohnort, aber alle hungrig, bettelten um Beschäftigung für dreißig bis vierzig Pesos Monatslohn.“ [8] Zunächst ging es um nicht viel mehr als ein Quartier. Zumindest ein wenig Geld dafür war erforderlich: „Ich musste mir vor allem ein Zimmer suchen. Dazu aber hatte ich mir irgendwo und irgendwie einige Centavos für das Bett und die Decke zu verdienen, nicht viele, da das Bett nur sechzig und die Decke zwanzig Centavos kostete, aber ich musste unter einem Dach schlafen, sollte ich auch auf das Essen verzichten.“ [9]


Quellen

  1. Manuel Rojas: Der Sohn des Diebes. Berlin 1976, S. 273f.

  2. Ebenda, S. 284.

  3. Ebd.

  4. Herbert Rittmann: Moderne Münzen. München 1974, S. S. 251.

  5. Rojas, S. 172.

  6. Ebd., S. 176.

  7. Gerhard Senft: "Silvio Gesells Argentinien"; in: Zeitschrift für Sozialökonomie 174–175/2012, S. 6.

  8. Rojas, S. 78.

  9. Ebd., S. 103.

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