In den Romanen und Erzählungen des US-amerikanischen Schriftstellers George Randolph Chester (1869-1924) spielt regelmäßig ein Mann namens J. Rufus Wallingford die Hauptrolle. Dieser „amerikanische Geschäftsfreibeuter“ hat sich zum Ziel gesetzt, seine Betrügereien immer im Rahmen der Gesetze abzuwickeln. Im 25. Kapitel seines Bestsellers von 1908 heißt es: „Ein junger Bursche mit pickelbesätem Gesicht, der die gesetzliche Altersgrenze für das Rauchen augenscheinlich noch nicht erreicht hatte, kam in den Laden und kaufte zwei Zigaretten für einen Cent, und der Zigarrenhändler bediente ihn mit sauertöpfischer Lässigkeit. […] Ein junger Mann mit schreiender Krawatte und schmutzigem Kragen kaufte drei Fehlfarben für fünf Cents und noch immer lagerte dieselbe Gleichgültigkeit über dem Laden. Dann aber erschien Wallingfords massige Gestalt, die die offene Eingangstür verdunkelte, und jeder im Laden wachte auf.“ (George Randolph Chester: Das Geld auf der Straße, Berlin 1983, S. 346f.). Wallingford tippte auf eine Kiste, auf der zwei Stück für einen Vierteldollar angeboten wurden. In diesem Moment kam der Bote eines Lieferanten in den Laden: „Hundert Blauringe!“ Der Händler holte Silbermünzen im Wert von 3,50 Dollar aus der Kasse und schob sie dem Boten zu. Wallingford gab sich angesichts des Einkaufspreises von 35 Dollar für das Tausend entrüstet.
Der Händler pflichtet ihm bei. Er stellt eine Kiste seiner Hausmarke auf den Tresen: „Sie heißt Ed Nickels Nickelfein-Zigarre. Eine ganz andere Sorte als die Blauringe! Eine wirklich gute, feine Zigarre und kostet auch wirklich nur einen Nickel das Stück.“ (Ebenda, S. 348f.). Mit welchen Münzen damals die Zigarren bezahlt wurden, zeigt das Kleingeld, das in der Kasse des Zigarrenhändlers Nickel liegt. Ein Exemplar der Hausmarke war für einen Nickel zu haben, also fünf Cent. Zwei „gute“ Zigarren, also Markenware, kosteten einen Vierteldollar. Legte man fünf Cent auf den Tisch, war das ein Liberty Head Nickel. Warum er so hieß? Infolge des Mangels an Silbergeld während des Amerikanischen Bürgerkrieges waren diese Münzen seit 1866 in einer Kupfer-Nickel-Legierung hergestellt worden. Zum Zeitpunkt der Handlung in „Das Geld auf der Straße“ war die zweite Nickel-Variante von Charles Barber aus dem Jahr 1882 im Umlauf – erkennbar an einer großen römischen „V“ auf der Wertseite. Der Dime zu zehn Cent war damals die kleinste US-Silbermünze. Den Entwurf der Bildseite von 1891 schuf ebenfalls Charles Barber. Als Vorbild für das Liberty-Porträt wählte er die weibliche Ceres-Darstellung von den französischen Münzen aus dieser Zeit. Die im gleichen Jahr von Barber entworfenen Quarter Dollars zeigen auf der Rückseite anstelle der Wertangabe den Bundesadler der Vereinigten Staaten. Die später unter den Bezeichnung Barber Coinage bekannt gewordene Serie von Münzen, die bis zum Ersten Weltkrieg geprägt wurde, umfasste zudem ein Half-Dollar-Stück.
Als Wallingford die bescheidenen Bestände an Kleingeld in der Registrierkasse sah, hatte er eine Idee. Wie wäre es, wenn dieser Händler und die hundert anderen in der Stadt sich zu einer Gesellschaft zusammenschlössen, die den Tabak en gros einkaufte? Auf diese Weise könnte man die Nickelfein-Zigarren groß herausbringen: „Ich will eine Aktiengesellschaft gründen und sie als Vereinigung der Detail-Zigarrenhändler eintragen lassen. Jedes Mitglied des Verbandes soll Aktien im Werte seines jetzigen Geschäfts erhalten; jeder Ladeninhaber soll seinen Laden auch weiterhin leiten und dafür ein Gehalt in der Höhe seiner nachweisbaren jetzigen Einnahmen erhalten; der Gewinnüberschuss soll alle drei Monate festgestellt und eine entsprechende Dividende verteilt werden.“ (Ebenda, S. 375). Die Zigarrenhändler der Stadt waren von Wallingfords Plänen sofort begeistert. Insgeheim dachte der verschlagene Wallingford jedoch bereits darüber nach, wie er sich das Kapital der Gesellschaft selbst aneignen könnte. Einige Fallstricke im Gründungsvertrag sollten ihm dabei helfen.
Der Betrüger Wallingford aus „Das Geld auf der Straße“ stolperte aber letztlich über einen ungedeckten Scheck. Als seine Frau ihn in der Haft besuchte, brachte sie einen Freund mit, der dem Betrüger auf den rechten Weg führen wollte. Wallingford sei kein gemeiner Verbrecher, sondern nur ein typischer US-Amerikaner: „Sie sind nur die logische Entwicklung des nationalamerikanischen Strebens, um jeden Preis und auf jede Weise reich zu werden. Es ist dies die nationale Schwäche, die nationale Drohung, die nationale Gefahr. Sie stellen nur ein einzelnes, allerdings sehr stark entwickeltes Molekül dieses Zustandes dar. Sie glauben, solang Sie sich innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen halten, sind Sie völlig gedeckt, auch moralisch; aber ein Mensch, der gewohnheitsmäßig so dicht an der scharfen Kante vorbeigeht, läuft jedes Mal Gefahr abzurutschen.“ (Ebenda, S. 397). #USA #GeorgeRandolphChester #Zigarrenhändler #Wallingford #Buch #Literatur #Schriftsteller #Währungsgeschichte #Dollar #Nickel #Dime #QuarterDollar #Reichtum #DietmarKreutzer
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