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Helmut Caspar

Der schwere Start der Weimarer Republik – Goetz-Medaillen in der „Topographie des Terrors“

Das Berliner Dokumentationszentrum „Die Topographie des Terrors“ zeigt bis zum 1. September 2024 die Sonderausstellung „Gewalt gegen Weimar - Zerreißproben der frühen Republik 1918 bis 1923“. Es schildert den schweren, von Bürgerkrieg, Gewalt und Elend geprägten Start der Weimarer Republik nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Monarchie. Kaiser Wilhelm II. und die anderen Fürsten räumten ihre Throne widerstandslos, und so verlief die erste Phase der Novemberrevolution 1918 nahezu gewaltfrei. Im Deutschen Reich und den einzelnen Ländern entstanden revolutionäre Regierungen, die einen friedlichen Übergang zur Republik anstrebten.


Anders als frühere Ausstellungen verbindet die neue Dokumentation in der Topographie des Terrors Fotos, Plakate, Bücher und Dokumente mit Sachzeugnissen und wirkt daher besonders eindringlich. Bildquelle: https://www.topographie.de/ausstellungen/gewalt-gegen-weimar; musealis GmbH.


Kurz darauf schlug das Pendel jedoch nach der anderen Seite aus, denn um den Jahreswechsel 1918/19 gab es linksgerichtete Attacken gegen die von den Mehrheits-Sozialdemokraten geforderte Ruhe und Ordnung. Bürgerliche Parteien und die alten monarchistischen Eliten stellten die Republik in Frage und riefen zum Widerstand auf. Derweil hoffte Ex-Kaiser Wilhelm II. im niederländischen Exil, irgendwann „mit klingendem Spiel“ durchs Brandenburger Tor reiten und seinen Thron wieder besetzen zu können. Auf der anderen Seite gab es die Wahl zur Nationalversammlung, zu der nach langen Kämpfen nun auch Frauen zugelassen waren.

Medaillen wie diese von Heinrich Wanderé zur Eröffnung der Nationalversammlung am 31. Juli 1919 in Weimar lassen nicht erkennen, dass es der jungen Weimarer Republik von unterschiedlichen Kräften schwer gemacht wurde, sich zu etablieren. Die Umschrift auf der Rückseite "DIE STAATSGEWALT GEHT VOM VOLKE AUS" zitiert dem Artikel 1 der Weimarer Verfassung. Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=73351111; Historisches Museum Frankfurt, gemeinfrei.


Die neue Volksvertretung stimmte am 31. Juli 1919 der Reichsverfassung zu. Sie hatte Forderungen aus der Revolution von 1848/49 übernommen und versprach den Deutschen ein demokratisches Leben in Frieden und Freiheit. Dass sie dem Reichspräsidenten außerordentliche Vollmachten zubilligte, sollte sich in den späten Jahren der Weimarer Republik als schwere Belastung für das fragile politische System erweisen und war einer der Gründe, dass Hitler 1933 an die Macht gelangte.

Die Spottmedaille von 1923 auf den misslungenen Hitlerputsch in München war Karl Goetz später so peinlich, dass er alle bei Sammlern befindliche Exemplare wieder an sich zu bringen versuchte. Bildquelle: https://www.metmuseum.org/art/collection/search/236731, gemeinfrei.


Gleiches hatte er bei der Schlageter-Medaille aus dem selben Jahr nicht nötig. Sie und ähnliche Arbeiten kamen in deutsch-nationalen Kreisen gut an. Bildquelle: Leipziger Münzhandlung und Auktion Heidrun Höhn, 99. Auktion, 12. Mai 2022, Los Nr. 555.


Der überaus talentierte Münchner Medailleur Karl Goetz (1875-1950) machte sich mit seinen bei Sammlern beliebten Arbeiten über linke und rechte Politiker lustig und schreckte nicht davor zurück, die Weimarer Republik als das Werk von Vaterlandsverrätern und Bolschewisten zu verunglimpfen. Ausgelegt sind in der Topographie des Terrors mehrere Medaillen dieses Künstlers, darunter eine von 1923, die rebellierende Nazis mit Hitler an der Spitze verhöhnt. Nach dessen „Machtergreifung“ am 30. Januar 1933 unternahm Goetz große Anstrengungen, um diese Medaille wieder an sich zu bringen. Dass er sich der Gunst Nazis erfreuen konnte, zeigen die Hitler und seinen Helfershelfern gewidmeten Goetz-Medaillen. Eine weitere von 1923 ehrt den von den Nazis als Held, Patriot und Freikorpsführer gefeierten Albert Leo Schlageter, der von französischen Soldaten standrechtlich erschossen wurde. Eine andere Medaille in der Ausstellung mit der Umschrift "DIE SCHWARZE SCHANDE" zeigt, wie Germania an einen französischen Phallus gefesselt ist. Auf der Rückseite sieht man die Karikatur eines in der französischen Armee dienenden Schwarzen. Weitere Goetz-Medaillen bedienen rassistische Vorurteile gegenüber Juden, die der rechten Propaganda nach, am Krieg und am Elend von Millionen Menschen profitieren sollten. Andere Arbeiten zeigen, wie sich Kriegsgewinnler an der Not ihrer Landsleute bereichern und welche Auswirkungen die Inflation und der massenhafte Ausstoß von wertlosem Papiergeld haben. Es ist zu begrüßen, dass in der Ausstellung Goetz-Medaillen gezeigt werden, da dieses für das Verständnis von Propaganda und Personenkult so bedeutende Sammelgebiet bei solchen Gelegenheiten in der Regel unberücksichtigt bleibt.

Die von Karl Goetz geschaffene Spottmedaille aus dem Jahr 1919 zeigt, wie König Friedrich II. (Der Große) dem kaiserlichen Deserteur die Ohren lang zieht und ein Hund die Uniform von Wilhelm II. anpinkelt. Foto: Caspar.

Bild 6) Dass die Besatzer den Deutschen Michel „bis aufs Blut auspressen“, schildert eine andere Goetz-Medaille. Foto: Caspar.


Die Ausstellung in der Topographie des Terrors schildert auf beklemmende Weise, welche Chancen sich durch die Beseitigung der Monarchie boten und wie sie vertan wurden. Sie fragt am Ende nach den Kontinuitäten politischer Gewalt und antisemitischer Hetze in Deutschland von der Weimarer Republik über die Zeit des Nationalsozialismus bis heute. Das Thema ist angesichts destruktiver Tendenzen von bedrückender Aktualität. Denn rechte Gruppen, Rassisten, Neonazis und andere Extremisten versuchen, unsere freiheitlich-demokratische Ordnung in Frage zu stellen und zu zerstören.


Seine nationalistische Haltung hat Karl Goetz in der Umschrift einer Medaille zum Jahr 1918 so zum Ausdruck gebracht: "GANZ EUROPA DIE GANZE WELT DIE GANZE WELT WIRD DEUTSCH WERDEN". Bildquelle: https://ikmk.smb.museum/object?id=18235088.


Die Ausstellung zeigt, wie traumatisierte Soldaten, Putschisten, Separatisten und Hitler-Anhänger die junge Republik an den Rand des Bürgerkriegs und Zusammenbruchs brachten und wer den durch Inflation und Massenelend befeuerten Umsturzversuchen zum Opfer fiel. Dass auf der anderen Seite Kommunisten träumten, aus dem Deutschen Reich ein „Sowjetdeutschland“ machen wollten, wird ebenso wenig verschwiegen wie Versuche von Intellektuellen und Künstlern, die Wogen des Hasses zu glätten und Zuversicht zu verbreiten. Über allem stand die Frage, wer an dem verloren gegangenen Krieg Schuld hat. Rechte Kräfte denunzierten die ihnen so sehr verhasste Republik als das Werk von Bolschewisten, Juden und anderen Vaterlandsverrätern. Demokratische Politiker wurden als „Erfüllungspolitiker“ diffamiert, weil sie den Versailler Vertrag unterschrieben hatten.


Anhand von Fotos, Plakaten und Dokumenten wird deutlich, wie die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen bürgerkriegsartige Zustände, separatistische Bestrebungen und den Hitlerputsch in München am 9. November 1923 begünstigte. Als Hitlers Marsch auf die Feldherrnhalle in München scheiterte, hat man den Umsturzversuch nicht als Weckruf aufgefasst, alle Kräfte zur Verteidigung der Republik und ihrer demokratischen Werte zu vereinen, sonst wäre es nicht zehn Jahre später zur Errichtung der Nazidiktatur gekommen.


Helmut Caspar


 

Mehr Informationen zur Ausstellung:

Dokumentationszentrum Topographie des Terrors

Niederkirchnerstraße 8

10963 Berlin

030 254509-0

info@topographie.de

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