Unmittelbar nach der Gründung des Deutschen Reiches im Januar 1871 begannen die Planungen für ein geeignetes Parlamentsgebäude. Anfangs konnten die Abgeordneten in dem frei werdenden Bau der Königlichen Porzellanmanufaktur tagen. Der Übergangslösung sollte aber möglichst bald ein angemessener Neubau folgen. Das Parlament sollte schließlich den ganzen deutschen Bundesstaat repräsentieren, der als konstitutionelle Monarchie organisiert war: „Architektur gilt als identitätsstiftend, die Baukunst wurde und wird von Obrigkeiten und Machthabern stets sehr ernst genommen. Briefköpfe, Logos, Publikationen und Internetauftritte von Unternehmen und Institutionen sind häufig mit einer Ansicht des Hauptgebäudes gestaltet, das idealerweise eine Identifikation ohne erklärende Beischrift ermöglicht.“ (Ulrich Schäfer: Deutsche Gedenkmünzen nach 1945 aus kunsthistorischer Sicht, In: GeldKunst-KunstGeld, Osnabrück 2005, S. 129). Einen ersten Wettbewerb gewann 1872 der Architekt Friedrich Bohnstedt. Den zweiten Wettbewerb zehn Jahre später entschied Paul Wallot für sich. Wie im ersten Durchgang wurde über das Ergebnis heftig gestritten. Berlins späterer Stadtbaurat Ludwig Hoffmann polterte: „Eigentlich ist alles falsch daran, alle Maßstäbe sind verkehrt. […] Das Ergebnis wirkt wie ein Leichenwagen erster Klasse.“ (Chronik des 20. Jahrhunderts, Gütersloh 1997, S. 280). Nach zehnjähriger Bauzeit konnte das Bauwerk am 5. Dezember 1894 eingeweiht werden. Am folgenden Tag fand die erste Sitzung der Abgeordneten statt.
Am 9. November 1918 rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann von einem Fenster des Reichstages die Republik aus. In der Schlussphase der Weimarer Republik wurde der Reichstag zum Schauplatz tumultartiger Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten. Der Reichstagsbrand in der Nacht zum 28. Februar 1933 stellte wohl die nachhaltigste Zäsur in der Geschichte des Gebäudes dar. In den Jahren des Nationalsozialismus war die Ruine dem Verfall preisgegeben. Das Hissen der roten Flagge auf dem Dach des zerschossenen Bauwerkes wurde in der Sowjetunion als Symbol des Sieges über den Faschismus gesehen. Erst 1957 begannen die Bauarbeiten zur Restaurierung der Fassaden und fünf Jahre später der innere Umbau zu einem Versammlungsort des Deutschen Bundestages. Kernstück sollte ein großer Plenarsaal für 680 Abgeordnete sein. Als das Haus im Jahr 1972 fertiggestellt war, wurde es jedoch kaum genutzt. Lediglich die Bundestagsfraktionen tagten von Zeit zu Zeit in Berlin. Erst mit der Deutschen Einheit erhielt der Bau seine ursprüngliche Bedeutung zurück. In der Nacht zum 3. Oktober 1990 fand die offizielle Vereinigungszeremonie vor dem Reichstagsgebäude statt. Aber erst mit dem Beschluss vom 20. Juni 1991 über die Verlegung des Regierungssitzes nach Berlin zeichnete sich ab, dass das gesamtdeutsche Parlament künftig wieder in dem Gebäude tagen würde.
Am 24. November 1971, also vor fast 50 Jahren, erschien erstmalig eine Gedenkmünze zum Nennwert von fünf Deutschen Mark auf die Gründung des Deutschen Reiches: „Alle mit Prämien ausgezeichneten Entwürfe zum 100. Jahrestag der Reichsgründung von 1871 – der ausgeführte erste Preis durch Robert Lippl und die weiteren auf den Plätzen zwei bis vier – zeigen das Gebäude des Reichstags als Symbol der konstitutionellen Monarchie. (Ebenda, S. 134f.). Auf dem Siegerentwurf ist die Vorderseite des Gebäudes zu sehen, darunter die Worte „Dem deutschen Volke“. Ein entsprechender Schriftzug prangt seit 1916 über dem Haupteingang. Ein kleines „L“ als Monogramm des Künstlers ist rechts unten neben der Abbildung zu erkennen. Mit „Einigkeit und Recht und Freiheit“ ist eine Zeile aus der Nationalhymne in den Rand der Münze eingeprägt. Die Auflage belief sich auf fünf Millionen Stück, davon 200.000 in besonderer Qualität: „Bei der Ausführung in Polierte Platte gibt es verschiedene Versionen, da die Prägestempel unterschiedlich stark mit Sandstrahlgebläsen bearbeitet wurden. Deshalb gibt es sogenannte geschlossene und offene Fenster sowie alle denkbaren Zwischenstufen.“ (Manfred Pfefferkorn: 40 Jahre Deutsche Gedenkmünzen – Zwischen Germanischem Museum und Brandenburger Tor, Ostfildern 1993, S. 142).
Der Künstler Robert Lippl war eher zufällig zum Entwerfen von Münzen gekommen. Im Jahr 1933 hatte er sein Diplom als Architekt an der Technischen Hochschule München abgelegt: „In der Architektur-Abteilung der T. H. München gab es als Unikum einen Lehrstuhl für Bildhauerei. Mein Lehrer Prof. Vorhölzer berief damals den Bildhauer Karl Knappe auf diesen Lehrstuhl. Knappe war in vieler Hinsicht ein Reformer. Vor allem war er der Wiedererwecker des Negativ-Schnittes. Er schnitt, wie die griechischen Bildhauer, die Geldstücke oder Medaillen in Originalgröße in Stein, Schiefer oder Gips. Das regte mich an, nach 1945 Medaillen z. B. für die Porzellan-Manufaktur Nymphenburg zu schneiden und mich seit 1952 an den Wettbewerben für die neuen Geldstücke und vor allem für die Sonderprägungen von 5- und 10-Markstücken zu beteiligen.“ (Robert Lippl: Lebenserinnerungen, In: GeldKunst-KunstGeld, Osnabrück 2005, S. 186). Seine Frau Greta Lippl-Heinsen war mit der ersten Sondermünze für die Olympischen Spiele von 1972 „Strahlenspirale“ ebenfalls bekannt geworden. So reichten im offenen Wettbewerb „100 Jahre Reichsgründung“ gleich beide Ehepartner ihre Entwürfe ein. An einem Samstag traf ein Telegramm mit dem Text ein: „Das Bundesfinanzministerium gratuliert Ihnen zum 1. und 2. Preis!“ Hatte nun Robert oder wieder einmal Greta den ersten Platz belegt? Robert Lippl: „Ich war überzeugt, dass ich diesmal gewonnen hatte. Ich musste mich bis zum Montag gedulden, bis ich in Bonn anrufen konnte. Ich hatte Recht behalten.“ (Ebenda, S. 187f.).
Im Sommer 1995 erregte der von dem Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude verhüllte Reichstag weltweite Aufmerksamkeit. Doch auch andere Aktionen finden im Reichstag statt: „Sie kamen als ganz normale Reichstag-Besucher, freundlich, nett angezogen. Aber oben, in der berühmten Glaskuppel rissen sich die sechs jungen Männer plötzlich die Sachen vom Leib – posierten für Nacktfotos! Die Sex-Attacke im Reichstag, Besucher und Bundestagsverwaltung reagierten geschockt auf die nackten Lümmel.“ (Stefan Peter: Nackte Lümmel im Reichstag – Alarm in der berühmten Glaskuppel, In: Bild-Zeitung, 29.07.1999). In einer Aktion für das Magazin Playgirl hatten die jungen Männer am Rande der offiziellen Love-Parade ihre eigene „Love-Parade“ gefeiert. Die Verwaltung des Bundestages reagierte entsetzt. „Solche Bilder verletzen die Würde des Hauses“, sagte Wolfgang Wiemer, der Leiter des Pressezentrums. Peter Ramsauer, Mitglied im Ältestenrat des Bundestags, legte nach: „Der Bundestag darf kein Lotterhaus werden!“ Die Hamburger Morgenpost sah das in ihrer Titelstory völlig anders. Die Aktion gebe dem strengen Haus eine zukunftsweisende Note: „Zeigen solche erotischen Fotos doch, wieviel Spaß Demokratie machen kann – und wie inspirierend das neue Wahrzeichen von Berlin geraten ist.“ (Schniedel-Skandal im Reichstag: Nackte Männer unter der Parlamentskuppel, In: Hamburger Morgenpost, 30.07.1999). So wird es wohl auch in Zukunft immer wieder neue Überraschungen aus dem Reichstag geben! #Reichstag #Berlin #Kaiserreich #5DMark #Gedenkmünze #RobertLippl #GretaLipplHeinsen #Reichstagsgebäude #Gedenkmedaille #PaulWallot #DietmarKreutzer
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