Wie kein anderer Monarch seiner Zeit spielte Frankreichs Kaiser Napoleon I. auf der Klaviatur der Propaganda. Zu seinem bis heute zumindest in Frankreich kaum infrage gestellten Ruhm als Heerführer, Politiker, Kunstmäzen und treusorgender Landesvater trugen nicht nur zahllose gedruckte und gemalte Legenden bei, die ihn in der Pose eines militärischen Alleskönners und weisen Staatenlenkers verherrlichen. Auch auf Medaillen wusste sich der Aufsteiger blendend darzustellen. Napoleon-Medaillen sind auf Auktionen und im Handel ein Renner, nur muss man prüfen, ob es sich um Originale oder nur um posthume Nachprägungen handelt. An diese Medaillen musste ich beim Besuch der bis 26. Januar 2025 im Berliner Humboldt Forum laufenden Ausstellung „Kunst als Beute“ denken, in der auch der Kunstraub unter Napoleon I. thematisiert wird.
Napoleon I. ließ berühmte Antiken wie den Apoll von Belvedere aus den Vatikanischen Museen nach Paris entführen und feierte diese Kulturbarbarei durch Medaillen, die die ihnen gewidmeten Säle im Musée Napoléon zeigen. Bildquelle: Landesmuseum Württemberg https://bawue.museum-digital.de/object/18708.
Ebenfalls aus den Vatikanischen Museen stammt die die Laokoon-Gruppe. Nach dem Ende seiner Herrschaft kam das meiste Raubgut in die Heimatländer zurück. Bildquelle: Landesmuseum Württemberg https://bawue.museum-digital.de/object/18708.
In der Ausstellung spielen die aus einem Königspalast von britischen Kolonialtruppen geraubten Benin-Bronzen und die Diskussion über die Rückgabe dieser wichtigen Zeugnisse afrikanischer Kultur und Identität eine große Rolle. Die Staatlichen Museen zu Berlin entschlossen sich vor einiger Zeit, die Artefakte an Nigeria zurückzugeben. Im Humboldt Forum werden einige im Hohlgussverfahren hergestellte Objekte als nigerianische Leihgaben sowie weitere Kunstwerke aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Ozeanien gezeigt. Anhand von zehn Fallstudien befasst sich die Dokumentation mit dem komplexen Thema Raubkunst in der Kolonialzeit, während der napoleonischen Eroberungen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert und in der Zeit der Nazidiktatur von 1933 und 1945. Zu sehen sind unter anderem der originale Pferdekopf der 1806 von französischen Truppen geraubten Quadriga vom Brandenburger Tor in Berlin, ein Selbstbildnis von Rembrandt, das für Hitlers „Führermuseum Linz“ geraubt worden war, sowie Repliken und Gussformen der bisher in Berliner Museumsbesitz befindlichen Benin-Bronzen aus Nigeria.
Unter dem Motto AUX ARTS LA VICTOIRE (Den Künsten der Sieg) ließ Napoleon I. den Raub der Venus Medici aus Florenz feiern. Bildquelle: Landesmuseum Württemberg https://bawue.museum-digital.de/object/18661.
Die Klage über Vandalismus gegen Kunst zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Persische Großkönige und ägyptische Pharaonen brachten Kunst und Kultur auf die Schlachtbank, richteten schreckliche Verwüstungen in Tempeln und Palästen ihrer Gegner an, ließen Götter- und Königsbilder umstürzen oder wenigstens die Inschriften heraus schlagen und neue anbringen, um sich als Eroberer zu feiern. Die Römer nahmen aus besetzten Ländern alles mit, was in ihre Villen und Paläste passte. Mit großer Kraftanstrengung wurden ägyptische Obelisken als Siegeszeichen herbei geschleppt und auf zentralen Plätzen in Alexandria, Rom und Konstantinopel neu aufgestellt.Wir wissen, dass sich schwedische Soldaten im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) kostbare Sammlungen deutscher Fürsten angeeignet haben. Preußische Soldaten raubten ein Jahrhundert später Meißner Porzellan, weil ihr König Friedrich II. ein besonderer Liebhaber des „Weißen Goldes“ war und seine Schlösser mit ihm schmücken wollte.
Soldaten des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. plünderte das Heidelberger Schloss und vergingen sich, wie die Medaille von 1693 zeigt, an den Gräbern der Kurfürsten von der Pfalz. Historisches Museum der Pfalz - Speyer https://nat.museum-digital.de/object/1191646?navlang=de.
Schon vor seiner Krönung am 2. Dezember 1804 nahm Napoleon Bonaparte Einfluss auf Bilder und Inschriften und verwarf Vorlagen, wenn sie seinen Vorstellungen nicht entsprachen. Ihm stand als eine Art Auge sowie Ratgeber in Kunst- und Medaillenfragen Baron Dominique-Vivant Denon (1747-1825) zur Seite, ein Mann, der als Direktor des Musée Napoléon aus französisch besetzten Ländern zielgerichtet und skrupellos bedeutende Kunstwerke nach Paris entführen ließ. Der barbarische Kunstraub und die feierliche Aufstellung antiker Skulpturen von Weltrang wie der Laokoongruppe und des Apoll von Belvedere, die aus dem Vatikan stammten, sowie der aus Florenz nach Paris entführten Venus Medici im Louvre, der 1802 den Namen Musée Napoléon erhielt, wurde der Mit- und Nachwelt durch Medaillen bekannt gemacht.
Baron Dominique-Vivant Denon um 1808. Bildquelle: Robert Lefèvre, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1244387.
Der ehemalige königliche Kammerherr und Diplomat Denon war überzeugt, dass Medaillen die einzigen Zeugnisse des Ruhms sind, die über Jahrhunderte überdauern. Seine Signatur "DENON DIR." (Denon direxit) unterstreicht, dass er der geistige Vater der seinem Kaiser gewidmeten Medaillenfolge ist, während die ausführenden Stempelschneider wie Andrieu, Brandt, Brenet, Droz, Galle, Gayrard, Jaley und Jeuffroy mit ihrem Namen und dem Zusatz "F." (fecit) als ausführende Künstler ausgewiesen sind. Sie erhielten pro Stempel mehrere tausend Francs Lohn, während die Zeichner der Entwürfe nur mit weniger als hundert Francs abgespeist wurden.
Die unter Denons Regie herausgegebenen Medaillen wurden auf Spindelpressen geprägt. Eine solche wird auf dieser Medaille (eine Nachprägung der Monnaie de Paris) von Clio und Moneta, den antiken Schutzgöttinnen der Geschichte und der Münzprägung bewacht. Bildquelle: Caspar.
Napoleon Bonaparte wurde schon vor seiner Kaiserkrönung am 2. Dezember 1804 in der Pariser Kirche Notre Dame auf Münzen und Medaillen verherrlicht. Sie zeigen ihn mit glattem, klassizistisch-makellosem Profil sozusagen als überirdisches Wesen, das von Sieg zu Sieg eilt und niemals altert. Der Lorbeerkranz im Haar erinnert an Darstellungen der römischen Kaiserzeit. Einige Motive sind direkt antiken Skulpturen und Münzen nachempfunden und signalisieren damit historische Kontinuität und Traditionslinien in weit entfernte Zeiten. In ihrem Buch „Napoleons Medaillen“ haben Lisa Zeitz und Joachim Zeitz solche Vergleiche angestellt und die politischen und künstlerischen Hintergründe zahlreicher Ausgaben erläutert. Der Prachtband mit Künstlerbiographien erschien 2003 im Michael Imhof Verlag Petersberg, hat 288 Seiten und zahlreiche meist farbige Abbildungen. Alle diese Medaillen sind in der numismatischen Literatur gut erfasst. Zitiert wird bis heute nach dem auch als Nachdruck verfügbaren Katalog des dänischen Sammlers Ludwig Bramsen „Médaillier Napolón le Grand“ (Paris 1904-1913). Die umfangreiche Sammlung von Dieter Schwerig „Napoleon I. und seine Zeit“ wurde am 19. Oktober 2007 bei der Münzen & Medaillen GmbH in Weil am Rhein versteigert. Der reich illustrierte Katalog mit über 2000 Nummern eignet sich ebenfalls hervorragend als Zitierwerk.
Die dem Krieg von 1812 gegen Russland gewidmeten Medaillen führen die französische Niederlage auf das Walten widriger Naturkräfte zurück. Dass dem Desaster Hybris und Selbstüberschätzung zu Grunde lag, war für die Hersteller und ihren Auftraggeber kein Thema. Bildquelle: Landesmuseum Württemberg https://bawue.museum-digital.de/object/18663.
Da es sich bei den napoleonischen Medaillen um Propaganda-Erzeugnisse handelte, nehmen sie es mit der Wahrheit nicht genau, was man an auch vielen anderen numismatischen Hinterlassenschaften vor und nach dem Kaiser der Franzosen beobachten kann. Brutale Völkerrechtsverletzungen werden als Befreiungstaten, das Diktat schmachvoller und bedrückender Friedensverträge als Gunstbezeugung, die Absetzung alteingesessener Dynastien und die Thronbesteigung von Mitgliedern des Bonaparte-Clans als Sieg der Vernunft und Gerechtigkeit ausgegeben. Das Leid vieler unterdrückter und ausgebeuteter Völker war ebenso wenig die Prägung von Medaillen wert wie Aufstände gegen die Besatzer sowie Zerwürfnisse innerhalb der herrschenden Clique oder Differenzen zwischen Vertragspartnern. Statt dessen schildern sie Glanz und Gloria.
Der Erlass des Code Civil wurde 1804 durch eine Medaille bekannt gemacht. Sie verbindet die Statue des Kaisers mit Minerva, der antiken Göttin der Weisheit und Beschützerin der Handwerker und des Gewerbes. Bildquelle: Landesmuseum Württemberg https://bawue.museum-digital.de/object/18694.
Zu Napoleons herausragenden politischen Leistungen mit weitreichenden rechtlichen Folgen gehört der Erlass des Code Civil, der 1804 durch eine Medaille gewürdigt wurde. Für viele Staaten, darunter auch deutsche Fürstentümer, wurde die damals geradezu revolutionäre Paragrafensammlung zum Vorbild für eigene Gesetzestexte. In Erfüllung ging, was sein Urheber vorausgesagt hatte: „Was ewig bleiben wird, ist mein Code Civil“. Solang Frankreich zu Beginn des 19. Jahrhunderts über andere Länder herrschte, wurde er auch dort eingeführt. Geltung hatte das Gesetzeswerk in ehemals deutschen Gebieten links des Rheins, die Frankreich annektiert hatte. Außerdem übernahmen einige deutsche Fürstentümer die neue französische Rechtsordnung. Festgeschrieben wurden die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, der Schutz und die Freiheit des Individuums und des Eigentums sowie die strikte Trennung von Kirche und Staat. Um die Wirtschaft zu beflügeln, wurden der Zunftzwang aufgehoben und die Freiheit von Arbeit und Gewerbe angeordnet. Die Gleichheit war eine Ungleichheit zwischen Begüterten und Nichtbegüterten sowie zwischen Mann und Frau, die in der Formulierung gipfelte „Der Mann ist seiner Frau Schutz, und die Frau ihrem Mann Gehorsam schuldig“. Durch Zugehörigkeit zu den Eliten und den Besitz von materiellen Gütern konnte mancher Bürger „gleicher“ vor dem Gesetz sein als andere und ist es auch heute.
Helmut Caspar
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