Im Jahre 1922, also vor genau 100 Jahren, drohte die Inflation in Deutschland außer Kontrolle zu geraten. Der namhafte Pariser Kunsthändler Ambroise Vollard erinnerte sich an einen damaligen Aufenthalt in Wiesbaden. Fünfstöckige Häuser seien zu dieser Zeit für kaum 25.000 französische Francs angeboten worden. Ehemals wohlhabende Leute waren in kürzester Zeit verarmt. Viele von ihnen konnten ihre luxuriösen Villen nicht mehr unterhalten. Ein Notverkauf war die letzte Lösung. Vollard erlebte unerwartet einen solchen Handel mit. Eine abreisende Dame hatte für den Nachmittag ein hoteleigenes Fahrzeug für ihr Gepäck bestellt.
„Wie gut es sich in Wiesbaden lebt“, bemerkte sie. „Es müsste schön sein, hier ein Haus zu besitzen.“
„In welchem Viertel sollte das etwa sein?“, fragte der Portier.
„Aber ich reise ja in zwei Stunden ab!“
„Das genügt vollkommen.“
Der Mann zeigte auf ein Plakat, auf dem mehrere Villen zum Kauf angeboten waren. Erstaunt sah die Dame den Portier an, er aber hatte schon das Telefon ergriffen, sprach einige Worte, und erklärte dann der Dame: „Der Verwalter der Häuser wird in fünf Minuten hier sein, und der Notar ist auch schon benachrichtigt.“
Keine fünf Minuten waren vergangen, als der Verwalter im Auto erschien, und nachdem die Dame mehrere Villen von außen besichtigt hatte, wählte sie eine davon aus.
Da sie vor der Abreise noch essen wollte, kam der Notar in das Hotel und arbeitete am Nachbartisch den Vertrag aus. Er machte seine Klientin darauf aufmerksam, dass das Protokoll verlesen werden müsste, obgleich sie kein Deutsch verstand. Der Notar hatte den Vertrag fast fertig gelesen, als er bemerkte, dass die Klientin auf den Balkon getreten war.
„Nun müssen wir noch einmal von vorn beginnen, denn das Gesetz verlangt, dass der Käufer während der Verlesung des Vertrages den Raum nicht verlassen darf.“
Glücklicherweise entdeckte der Notar rechtzeitig, dass der Balkon überdacht war, und das rettete die Situation. Die Klientin hatte den Raum im rechtlichen Sinne also gar nicht verlassen. Der Verkauf erlangte Rechtskraft (Ambroise Vollard: Erinnerungen eines Kunsthändlers, Zürich 1980, S. 329f.) Dies war aber beileibe nicht das ungewöhnlichste Geschäft, das damals geschlossen wurde. Viele Kinder und Jugendliche in den Berliner Arbeiterbezirken waren in jenen Jahren unterernährt. In seinem neuen Buch „Hunger & Ekstase – Berlin 1922/23“ berichtet Armin Fuhrer über die vielfältigen Versuche der Deutschen, im Kampf ums Überleben an etwas Geld zu gelangen. In vielen Lokalen und privaten Wohnungen fanden sogenannte Schönheitsabende statt, bei denen nackte Tänzerinnen auftraten. Die Auftritte waren eine nur notdürftig kaschierte Art der Prostitution. Der eigentliche Akt fand im Anschluss an die Vorstellung in einem der Nebenzimmer statt. Wesentlich direkter trat ein Landwirt aus dem Berliner Vorort Dahlem auf. Er veranstaltete Sexpartys mit insgesamt 60 jungen Mädchen aus „besseren Kreisen“. Diese Art von Kulturbetrieb ging den Behörden allerdings zu weit. Der Mann wurde verhaftet und vor Gericht gestellt. Neben der Prostitution boomte das Glücksspiel. Die Hoffnung auf schnelles Geld, mit dessen Hilfe das Überleben gesichert schien, heizte überdies die Bereitschaft zur Spekulation an der Börse an. Als der Kurs des Dollars im Sommer 1922 die Schwelle von 1.000 Mark überschritt, schauten sich Banken und andere Unternehmen nach wertbeständigem Ersatzgeld um. Da die deutschen Reparationen laut Versailler Vertrag in Goldmark der Vorkriegszeit geleistet werden mussten, bot sich eine Goldrechnung an. Für das „wertbeständige Notgeld“ des Jahres 1923 hatten die herausgebenden Körperschaften und Institute eine vollständige Deckung in Gold oder goldgedeckten Devisen zu gewährleisten. Der erfolgreiche Feldversuch gipfelte in der Reform vom Herbst 1923, mit der die Rentenmark eingeführt wurde.
Ein Nürnberger Juwelier wollte aus der als Recheneinheit verwendeten „Goldmark“ auch richtige Goldmünzen werden lassen. Sein Name: Josef Wild. Am 13. März 1872 geboren, war der Mann seit 1897 als selbstständiger Goldschmiedemeister und Juwelier in Nürnberg tätig. Auf dem Höhepunkt der Inflation im Jahre 1923 begann Wild mittels einer eigenen Prägemaschine münzartige Medaillen herzustellen, denen er einen Wert in Goldmark oder Dukaten beilegte. Ein Dukaten sollte zehn Goldmark entsprechen. Als höchste Wertstufe brachte Wild einige Stücke zu 100 Goldmark heraus. Künstlerisch ließen die meisten dieser Fabrikate zu wünschen übrig. Reich wurde er mit ihnen ohnehin nicht. Freunde mussten ihm finanziell immer wieder unter die Arme greifen. Als Wild schließlich alte Reichsgoldmünzen nachprägen wollte, wurde er der Falschmünzerei bezichtigt: „Er kam in Haft und wurde später wegen einer schweren Erkrankung in das städtische Krankenhaus Nürnberg verlegt, wo er am 31. März 1932 im Alter von 60 Jahren verstarb.“ (Mynter auf: numismatikforum.de, 5. Dezember 2010) Einen umfangreichen Überblick über sein Schaffen bietet der Spezialkatalog „Die Gepräge des Josef Wild“ von Dieter P. W. Fischer (Nürnberg 1996). Eine ganz andere Motivation liegt der sogenannten Bielefelder Goldmark zugrunde. Die im Jahre 1923 in Silber, Messing und vergoldeter Bronze ausgegebene Medaille strotzt vor Schuldzuweisungen für das Dilemma der Deutschen. Auf der Vorderseite ist Otto von Bismarck als Deutscher Michel mit Schlafmütze abgebildet. Die Umschrift: „Michel besiegt aber betrogen“. Auf der Rückseite wird die Legende des „Schmiedes von Bielefeld“ mit zeitgenössischen Politikern besetzt. Genaueres ermittelte Bernd Szarkowski-Tegtmeier (blog.mehrwissen.info, 2. Juni 2013).
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