Cristina Carrillo de Albornoz, Florian Knauß (Hrsg.): Santiago Calatrava in the Glyptothek. Beyond Hellas, München 2022, 144 Seiten, 80 Farbbilder, Texte auf Deutsch und Englisch, Format: 24 × 30 cm, Festeinband, ISBN: 978-3-7774-4005-7, Preis: 38,00 Euro.
Liebhaber antiker griechischer Münzen sind zumeist auch Liebhaber antiker (griechischer) Kunst. Aber wo ist der Zusammenhang mit den zum Abstrakten neigenden Plastiken des 1951 geborenen spanischen Architekten, promovierten Bauingenieurs, Malers und Bildhauers Santiago Calatrava? Berühmt machten ihn u. a. das Milwaukee Art Museum, der Bahnhof Liège-Guillemins, der Bahnhof Oriente in Lissabon, der Olympia-Sportkomplex in Athen, das Hochhaus Turning Torso im schwedischen Malmö, die Stadt der Künste und Wissenschaften sowie das Opernhaus in Valencia – und die meisten Venedig-Besucher dürften über seinen Ponte della Costituzione gegangen sein. Und die Antike? Die Begegnung von Santiago Calatrava mit der Skulpturensammlung der Glyptothek in München vor dreißig Jahren faszinierte ihn, insbesondere war er von den „Aegineten“ begeistert. Die Giebelfiguren des Aphaia-Tempels von Ägina zählen als Glanzstück der Münchner Sammlung fraglos zu den schönsten griechischen Marmorskulpturen und zeigen die Kämpfe der Griechen gegen die Trojaner. Calatrava hat in den Folgejahren diese kämpfenden sowie sterbenden Krieger vielfach gezeichnet und diese Zeichnungen später abstrahiert und dann in Plastiken aus Schmiedeeisen auf Sockeln aus gealterter Eiche umgesetzt. Diese Skulpturen werden bis zum 22. Oktober 2022 in der Münchner Glyptothek zusammen mit den klassischen Vorbildern gezeigt. Man kann zwischen diesen 2500 Jahre alten sowie den ganz modernen Kunstwerken umhergehen und dieses künstlerische Spannungsfeld ausloten und wirken lassen. Man kann das auch sehr gut mit dem Begleitband zur Ausstellung machen, der beim seit Jahrzehnten für seine Normen setzenden Kunst-Bildbände bekannten Hirmer Verlag erschienen ist. Die Bilder sind berauschend und vermitteln, wie der berühmte Architekt von der Antike beeinflusst wurde. Seine Aegineten erscheinen als moderne, fast abstrakte Variationen der antiken Krieger des Aphaia-Tempels, ergänzt durch eine Auswahl von 30 Zeichnungen, Aquarellen, Studien und Skulpturen unterschiedlicher Themen. Über die Ausstellung hinaus verdeutlicht der Begleitband in Bild und Text, wie Calatravas Interesse am menschlichen Körper und der Natur seine Architektur beeinflusst. Es ist enorm spannend zu sehen, wie sich aus einem menschlichen Torso das Grundmodell für den 190 Meter hohen Turning Torso in Malmö entwickelt.
Der Band „Santiago Calatrava in the Glyptothek“ entführt nicht einfach in die Antike, er schafft den Spagat von der Antike zur Gegenwart. Calatrava vermittelt die Antike, indem er ihre Gegenwärtigkeit im modernen Gestalten begreiflich und begreifbar macht.
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