Mitte Januar 2024 veröffentlichte die Deutsche Bundesbank eine von ihr in Auftrag gegebene Studie zum Thema "Bargeld der Zukunft". Ein Forschungsteam sollte mögliche Szenarien entwickeln, wie das (Euro-)Bargeld um das Jahr 2037 aussehen könnte. Dies war zum Zeitpunkt des Beginns der Arbeiten an der Studie 15 Jahre in der Zukunft.
Die Forscher stellen in der Studie drei mögliche Szenarien vor. Ausgangspunkt ist jeweils die wirtschaftliche, soziale und politische Situation zu Beginn der 2020er Jahre (die in der Studie näher beschrieben, hier aber nicht dargestellt wird). Dann werden verschiedene mögliche Entwicklungen durchgespielt. Die Bundesbank weist ausdrücklich darauf hin, dass die in der Publikation geäußerten Ansichten und Meinungen nicht mit denen der Deutschen Bundesbank übereinstimmen müssen.
Diese drei Szenarien möchte ich nun kurz vorstellen.
Foto: Andres Siimon.
Erste Variante
''Die hyperdigitale Bezahlwelt – künstlich intelligent, bequem vulnerabel''
In dieser Variante hat:
Deutschland den ''3D-Strukturwandel" (Demografie, Dekarbonisierung, Digitalisierung) zumindest teilweise erfolgreich geschafft.
Die Digitalisierung hat durch Künstliche Intelligenz (KI) eine neue Dimension erreicht.
Die Europäische Union hat eine KI-Verordnung erlassen, die Risiken regulieren soll, und ein Großteil der Bevölkerung glaubt, dass man dadurch KI im Griff hat.
Bargeld spielt nur noch als Wertaufbewahrungsmittel und für extreme Notfälle eine Rolle, allerdings neben Krypto-Assets, Non-Fungible Tokens und Buchgeld als Spareinlage bei Banken und Sparkassen.
Bargeld spielt für alltägliche Zahlungen, auch zwischen Privatpersonen, keine Rolle mehr.
Es ist kaum noch möglich mit Bargeld bei öffentliche Stellen zu bezahlen.
Da alle Bürger ein Recht auf ein Konto haben, sieht der Gesetzgeber keine Notwendigkeit Kommunen und Behörden zur Annahme von Bargeld zu verpflichten. Folglich bieten fast alle Kommunen, Behörden, öffentliche Einrichtungen und Unternehmen Barzahlung nicht mehr an.
Auch bei privaten Unternehmen, im Handel, der Gastronomie, auf Flohmärkten, usw. spielt Bargeld keine Rolle mehr. Kaum noch ein Akteur aus dem Bereich der Wirtschaft akzeptiert Bargeld.
In dieser stark digitalisierten Welt ist Bequemlichkeit und Komfort das zentrale Motiv bei der Wahl des Zahlungsmittels. Und das ist die unbare Variante.
Das Vertrauen in private Anbieter unbarer Zahlungsmittel ist bei der Mehrheit der Verbraucher groß. Bedenken werden hintangestellt.
Der demografische Wandel senkt den Stellenwert des Arguments, dass digital distanzierte und ältere Bevölkerungsgruppen berücksichtigt werden müssen.
Falls es zu temporären Ausfällen bei Nichtverfügbarkeit von unbaren Zahlungsmitteln kommt, reagiert die Bevölkerung mit Gleichmut, da es zahlreiche unbare Alternativen gibt und Verluste von Anbietern ersetzt werden.
Für die Bevölkerung sind Datenlecks der Preis der Digitalisierung und den daraus gewonnenen Wohlstand und deshalb hinzunehmen.
Der digitale Euro hat kaum Effekte auf die Bargeldnutzung.
Der Zugang zu Bargeld ist schlecht. Da der Kostendruck bei Banken und Sparkassen hoch ist, wurden Geldautomaten stark abgebaut. ''Cashback'' in Geschäften ist kaum noch möglich, da der Bargeldbestand in den Kassen sehr gering ist, selbst dort, wo es überhaupt noch solche Kassen gibt.
Vereinzelt wird die neue Zahlungsrealität zwar vollständig abgelehnt, aber die Politik ignoriert dies.
Trotzdem gehen die Forscher in diesem Szenario davon aus, dass Bargeld wegen seiner weitgehenden Unabhängigkeit von technischer Infrastruktur weiterhin geschätzt wird.
Zweite Variante
In dieser Variante:
wollen sich Deutschland und die EU wegen der multiplen Krisen zu Beginn der 2020er-Jahre unabhängiger machen, vor allem von US-amerikanischen privaten Zahlungsdienstleistern. Bargeld und der digitale Euro sollen dazu dienen.
Es gibt deswegen im Euroraum verbindliche Standards für die Akzeptanz und den Zugang zu Bargeld.
Die Bundesregierung beschließt aufgrund der EU-Verordnungen und Vorgaben Bargeld regulatorisch zu stärken.
Die mit Massendaten trainierten selbstlernenden KI-Systeme stellen bei vielen Menschen ein mulmiges Gefühl der Fremdbestimmung und Kontrolle ein.
Es entwickelt sich in Teilen der Bevölkerung ein Bewusstsein für ein Recht auf ein analoges Leben. Datensicherheit, Datensparsamkeit und digitale Souveränität sind für diesen Teil der Bevölkerung wichtig. Bargeld verhindert also, dass die Anbieter unbarer Zahlungsmittel ihre Geschäftsmodelle mit den Daten ihrer Kundschaft füttern.
Bargeld wird ein Symbol dieser Personengruppe zur Abgrenzung gegenüber dem als technologiehörig bewerteten Rest der Gesellschaft.
Der digitale Euro spielt für den Teil der Bevölkerung, der aus Gründen der Privatsspähre Bargeld bevorzugt, keine Rolle.
Das Verschwinden von Barzahlungsmöglichkeiten (''Nur Kartenzahlung möglich!'') wird auch von Personen, die meist oder fast ausschließlich unbar zahlen, kritischer gesehen.
Es regt sich Widerstand gegen das Verdrängen von Bargeld, z.B. bei öffentlichen Verkehrsmitteln oder öffentlichen sanitären Anlagen.
Bargeld wird als einziges Zahlungsmittel anerkannt, das wichtige gesellschaftliche Funktionen in ihrer Kombination – Schutz der Privatsphäre, Inklusion, Unabhängigkeit von technischer Infrastruktur – vollständig erfüllen kann.
Dritte Variante
''Die verschwindende hybride Bezahlwelt – Pluralistisch, segregiert und indifferent."
In dieser Variante:
haben sich die Milieus in Deutschland durch die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen der 2020er-Jahre weiter differenziert. Die Milieuzugehörigkeit entscheidet maßgeblich über das favorisierte Zahlungsmittel.
Wirtschaftlich eingeschränkte oder benachteiligte Personen ziehen Bargeld vor. Ebenso Menschen, die dem Staat oder privaten oder digitalen Anbietern nicht vertrauen. Außerdem Menschen, die über ihr Ausgabeverhalten eine gute Übersicht behalten möchten oder müssen.
Während informierte oder skeptische Verbraucher anonyme (Bargeld) oder datenarme Bezahlmittel (digitaler Euro) bevorzugen, bevorzugen die Risikobereiten (u.a. gleichgültig gegenüber Datenschutzaspekten) und Bequemen unbare Zahlungsmittel privater Anbieter.
Cyberangriffe verängstigen digitalaffine Milieus nicht.
Bargeld dient in allen Milieus weiterhin als Wertaufbewahrungsmittel.
Aber die Bargeldakzeptanz geht im Handel und der Verwaltung zurück. Dadurch geht auch eine echte Wahlfreiheit beim Bezahlen zurück.
Das Geldautomatennetz wird aus Kostengründen zurückgebaut. Cashback im Handel kann den Wegfall der Geldautomaten nicht ausreichend kompensieren.
Es kommt insgesamt zu einem schleichenden aber stetigen Rückgang der Bargeldnutzung. Da die Bevölkerung stark segregiert ist, ist die Lobby für Bargeld nicht schlagkräftig genug. Darum sieht die Politik keine Notwendigkeit den Zugang und die Akzeptanz von Bargeld zu stärken.
Bargeld hat seinen Vorteil als universelles Zahlungsmittel eingebüßt.
Das Bargeld wird also nach Ansicht der Forscher in Deutschland in absehbarer Zeit nicht verschwinden. Allerdings gibt es große Unterschiede, wie die Bargeldwelt im Jahr 2037 aussehen könnte. In zwei der drei Szenarien sieht es nicht gut aus für das Bargeld. Damit es im Interesse aller Menschen nicht so kommt, wie in zwei der Szenarien beschrieben, müssen in naher Zukunft entscheidende Weichen gestellt werden, unter anderem von der Politik. Betrachtet man die aktuelle Situation in den skandinavischen Ländern, insbesondere in Schweden und Dänemark, so muss man feststellen, dass dort Teile der Varianten eins und drei bereits Realität sind. So ist z.B. die Akzeptanz von Bargeld in Handel und Gastronomie stark rückläufig, das Vertrauen in bargeldlose Zahlungsmittel ist hoch, die Angst vor Cyberangriffen gering.
Obwohl die Zentralbanken Schwedens und Dänemarks beteuern, dass Bargeld in ihren Ländern weiterhin eine Rolle spielen soll, sieht die Praxis, insbesondere in Dänemark, anders aus. Die Obergrenzen für Barzahlungen werden weiter gesenkt, die höchste Stückelung (1000-Kroner-Banknote) wird abgeschafft. In einer Rede an der ''Frankfurt School of Finance and Management'' am 19.02.2024 auf Einladung von Prof. Jens Weidmann (ehemaliger Chef der Bundesbank), verteidigte die dänische Notenbankchefin diesen Schritt noch einmal und erzählte, dass sie seit Jahren kein Bargeld mehr mit sich führe und keine Geldbörse mehr besitze, sondern nur noch mit Karte oder Smartphone bezahle. Dies von der Frau, deren Unterschrift demnächst auf den neuen dänischen 100- und 200-Kronen-Banknoten der Serie 2009A zu sehen sein wird.
Mein persönliches Fazit: Es sieht nicht gut aus für das "Bargeld der Zukunft".
Ralf Faust
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