Am 27./28. September 2024 versteigert Künker mit Laurens Schulman den 2. Teil der Sammlung Beuth von niederländischen Münzen. Diese bedeutende Sammlung enthält viele Raritäten. Sie enthält aber auch günstige Münzen mit Schätzungen im zweistelligen Bereich. Sie sind, das wollen wir hier zeigen, genauso spannend wie Unika und Raritäten.
Am 9. November 1670 beschlossen die Staaten von Holland und Westfriesland, eine neue Münze einzuführen. Ihr Sinn war es, neben den vielen minderwertigen Schillingen, die auf dem heimischen Markt zirkulierten, eine verlässliche Münze für den Außenhandel zu schaffen. Schließlich zählte im Ausland nur Feingehalt und Gewicht. Wer also eine Münze für den Fernhandel konzipierte, ließ sie mit gleichbleibender Legierung und wenig Gewichtsschwankungen prägen. Die Politiker der Staaten von Holland und Westfriesland waren aber nicht nur kluge Wirtschaftsfachleute. Sie verstanden auch viel von Propaganda. Wie raffiniert man dabei vorging, illustriert eben jener Münztyp, dessen Ausprägung am 9. November 1670 beschlossen wurde.
Niederlande / Gelderland. Scheepjesschelling (6 Stüber) 1734, Harderwijk. Sehr schön bis vorzüglich. Taxe: 100 Euro. Aus Künker 414 (27./28. September 2024), Nr. 4149.
Der Scheepjesschelling
Er zeigt ein prachtvolles Segelschiff mit geblähten Segeln. Das scheint uns heute ein naheliegendes Motiv für eine Handelsmacht. Tatsächlich aber war dieses Bild für seine Zeitgenossen eher ungewohnt. In den Niederlanden setzte man auf Motive, die Einheit und / oder Freiheit symbolisierten. Man denke nur an den Freiheitshut oder das Pfeilbündel des Scilurus. Ein realistisches Schiff war da neu und anders.
Die Darstellung gab dem Schilling seinen Namen. Man spricht heute vom Scheepjesschelling, dem Schiffleinschilling. Scheepje – Schifflein, das klingt eher gemütlich. Doch was auf den Schillingen zu sehen ist, war alles andere als das. Wir mögen heute vielleicht nicht mehr in der Lage sein, Handels- und Kriegsschiffe der frühen Neuzeit auseinanderzuhalten – im Gegensatz zu Menschen des 17. Jahrhunderts. Sie sahen nicht nur den elegant-schnittigen Rumpf und die vollen Segel. Sie nahmen die Kanonen wahr. Für den zeitgenössischen Betrachter stand dieser Schiffstyp für den Kampf auf Leben und Tod.
Niederlande / Holland und Westfriesland. Probe zum Scheepjesschelling von 1670. Sehr selten. Sehr schön. Taxe: 200 Euro. Aus Künker 414 (27./28. September 2024), Nr. 4447.
Detail aus der vorherigen Abbildung.
De Bloedvlag
Eine sehr seltene Probe zum Scheepjesschelling ohne Münzzeichen und Wertangabe auf der Vorderseite liefert uns einen weiteren Hinweis, wie diese Darstellung gemeint war. Wer sich nämlich die Flagge am Heck des Schiffes genau ansieht, der erkennt, dass es nicht die Prinsenvlag mit den Streifen in Orange, Weiß und Blau ist, sondern eine andere Flagge, deren Darstellung ohne Vorwissen kaum zu deuten ist. Sie zeigt etwas, das man zunächst für eine kreuzförmige Struktur mit verschobenem Zentrum halten könnte. Doch wenn man weiß, was es darstellen soll, erkennt man eine senkrecht gehaltene, sich nach oben verbreiternde Klinge sowie eine Hand, die das Heft der Klinge hält.
Die Blutflagge der Kaperfahrer.
Und damit sind wir bei der Blutflagge angekommen. Sie zeigt auf blutrotem Grund einen muskulösen Arm, der ein Entermesser hält. Diese Entermesser waren eng mit der Seefahrt verbunden. Sie wurden beim Nahkampf auf Deck eingesetzt. Ihre Wurzeln hatten sie in der Machete, einem breiten Messer, wie es z. B. bei der Zuckerrohrernte eingesetzt wurde. Die kurze, stabile Klinge war hervorragend geeignet, auf engstem Raum tödliche Hiebe auszuteilen. Eine ideale Waffe also für alle, die ein Schiff entern wollten – daher auch der deutsche Name Entermesser.
Seeschlacht bei Elseneur. Gemälde von Peter van de Velde, entstanden zwischen 1670 und 1679, also zur gleichen Zeit wie die ersten Scheepjesschellinge.
Diese Bezeichnung gibt uns auch einen Hinweis auf den Zweck der Blutflagge. Bei ihr handelte es sich um ein Signal. Man hisste sie, um anzukündigen, dass jetzt Ernst gemacht wird. Die Blutflagge war das Zeichen für den Angriff, gleich ob in der Schlacht oder im Zweikampf auf hoher See. Mit anderen Worten: Eine Münze, die für das Ausland bestimmt war und ein Schiff mit einer Blutflagge zeigte, transportierte eine eindeutige Botschaft. Aber warum war das notwendig?
Der historische Hintergrund
Mit dem Abschluss des Westfälischen Friedens hatten die Republik der Vereinigten Niederlande zwar ihre Unabhängigkeit durchgesetzt, aber das garantierte noch nicht ihre friedliche Existenz. Vor allem die Geschehnisse in Frankreich machten den niederländischen Politikern Sorge. 1665 starb Philipp IV. von Spanien und hinterließ einen drei Jahre alten Nachfolger. Ludwig XIV. von Frankreich nutzte die günstige Gelegenheit, um sein Reich zu vergrößern. Er leitete aus seiner Ehe mit einer Tochter des Verstorbenen den Anspruch auf einen Teil des Erbes ab. Natürlich wies die spanische Regentin seine Forderung zurück. Das nutzte nichts. Der junge und ehrgeizige König von Frankreich zog in den Krieg. Schließlich verfügte er über ein teures stehendes Heer, damals eine strategische Neuerung. Das wollte er nutzen. So marschierte er 1667 mit seiner Armee in die Spanischen Niederlande ein. Spanien war nicht in der Lage zu reagieren. Der Sieg wäre total gewesen, hätten sich nicht andere Staaten gefragt, was Frankreichs Machtzuwachs für sie bedeutete. England, Schweden und die Niederlande verbündeten sich daraufhin im Jahr 1668. Die Niederlande, die traditionell wegen der gemeinsamen Feindschaft mit den Habsburgern auf Seiten Frankreichs gestanden hatten, brachen damit einen Vertrag. Ludwig XIV. war wütend. Er hatte mit der Bündnistreue der Niederländer gerechnet. Nun musste er seine Forderungen im Frieden von Aachen mäßigen und Teile des eroberten Besitzes zurückgeben. Damit stand für ihn fest, gegen wen er seinen nächsten Krieg führen würde, und zwar gegen die Niederlande.
Abschrift eines Kaperbriefs des Moriz von Nassau für Johan de Moor vom 1. Juni 1618. Nationaal Archief, The Hague. Archieven van de Admiraliteitscolleges [nr. toegang 1.01.46] inv.nr 2425.
Kaperfahrer und niederländische Flotte
Ludwig XIV. begann, die Niederlande militärisch und diplomatisch einzukreisen. Er sprengte die Allianz mit England und Schweden und schloss Abkommen mit benachbarten Fürsten. Das blieb in den Niederlanden natürlich nicht unbemerkt. Und hier kommt unser Scheepjesschelling wieder ins Spiel. Er erinnerte daran, wo die wahre Stärke der Niederlande lag, nicht in einem stehenden Heer mit unzähligen Soldaten, sondern in den vielen Schiffen, die auf allen Weltmeeren unterwegs waren. Die Münze rief jedem Betrachter ins Gedächtnis, dass sich jedes niederländische Schiff potentiell in ein Kriegsschiff verwandeln konnte.
Das galt natürlich für die Staatenflotte. Das galt aber auch für die vielen verstreuten Handelsschiffe auf den Ozeanen. Sie konnten als Kaperfahrer den Handel der feindlichen Nationen empfindlich schädigen. Kaperfahrer – man sprach auch von Freibeutern – waren keine Piraten. Es handelte sich um private Unternehmer in Sachen Krieg, die durch einen Kaperbrief nachweisen konnten, dass ihr Schiff im staatlichen Auftrag unterwegs war. Das konnte wichtig werden, denn während Piraten überall sofort hingerichtet wurden, unterlagen Kaperfahrer dem Kriegsrecht und wurden bei einer Niederlage zu Kriegsgefangenen. Dafür mussten sich als Kaperfahrer an gewisse Regeln halten. Sah er ein Handelsschiff, musste er ihm die Möglichkeit geben nachzuweisen, dass es sich um ein neutrales Schiff handle, dessen Ladung (zumindest theoretisch) nicht angetastet werden durfte. Erst wenn sich das Handelsschiff weigerte beizudrehen, wurde die Blutflagge gehisst und das Schiff geentert.
Niederlande / Holland und Westfriesland. Goldabschlag zu 2 Dukaten von den Stempeln des Scheepjesschelling von 1727, Dordrecht. Sehr selten. Vorzüglich bis Stempelglanz. Taxe: 2.500 Euro. Aus Künker 414 (27./28. September 2024), Nr. 4384. Während die Flagge am Heck die Prinsenvlag zeigt, weht die Blutflagge am Topp.
Die Darstellung der eigenen Stärke
Das Schiff mit der Blutflagge stand also für die größte Stärke der Niederlande, für jedes einzelne Schiff, das bereit war, für sein Land einzustehen. Auch wenn die Aufschrift der Münzen Gott beschwört – die Umschrift lautet in Übersetzung: Bleibt wachsam im Vertrauen auf Gott –, verließen sich die Niederländer lieber auf ihre Mauern aus Holz.
Doch Ludwig XIV. interessierte sich nicht für das Meer. Er überfiel die Niederlande bereits 1672, zunächst mit großem Erfolg. Doch die Flotte verhinderte Schlimmeres. Ihre Siege verschafften Statthalter Willem III. die Argumente und den Spielraum, selbst diplomatisch tätig zu werden. 1673 schlossen die Niederlande mit dem Habsburger Kaiser und dem König von Spanien einen Vertrag gegen Ludwig XIV. Dieser musste so einen aufwändigen Mehrfrontenkrieg führen. Nur ein Jahr später schied England wegen des hohen wirtschaftlichen Schadens, den niederländische Schiffe angerichtet hatten, aus dem Krieg aus. 1678, im Frieden von Nijmegen, waren die Niederlande die großen Gewinner. Sie erhielten nicht nur alle Gebiete zurück. Ludwig XIV. lockte sie auch mit einem Handelsvertrag, der für sie alle Zölle in seinem Reich abschaffte.
Niederlande / Zeeland. Dickabschlag (Piedfort) eines Scheepjesschellings (6 Stüber) 1754, Middelburg. Selten. Vorzüglich. Taxe: 250 Euro. Aus Künker 414 (27./28. September), Nr. 4676.
Viele verschiedene Flaggen
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Münztyp des Scheepjeschellings jenseits aller politischer Botschaften als beliebte Handelsmünze auf den ausländischen Märkten eingebürgert. Deshalb prägten bald auch andere nach seinem Vorbild. Und so finden wir auf den späteren Ausgaben die verschiedensten Flaggenvarianten.
Der hier gezeigte Piedfort präsentiert eine etwas abgewandelte Form der Blutflagge. Das Entermesser ist durch das Wappen von Middelburg ersetzt. Wie das Maritieme Musea in seinem Online-Katalog beschreibt, brachten die verschiedenen Städte auf den Blutflaggen ihrer Schiffe Erkennungszeichen an, um auch während des Kampfes die Herkunft eines Schiffes zu signalisieren. Auch Vlissinger Schiffe verwendeten eine Blutflagge. Sie trug das Jacoba-Glas, wie es heute noch im Stadtwappen zu sehen ist.
Die „Blutflagge“ erinnert uns an eine Grundregel der Numismatik: Es gilt ganz genau hinzusehen, wenn man die spannende Geschichte einer Münze erzählen will. Eine weitere Grundregel ist, dass man nicht reich sein muss, um interessante Objekte zu erwerben. Die Schätzungen der Scheepjesschellinge in der Sammlung Beuth beginnen bei 50 Euro.
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