Die Internationale Medaillenausstellung der American Numismatic Society im Jahr 1910 endete mit einem Paukenschlag. Insgesamt 135 Bildhauer und Medailleure waren eingeladen worden. Doch kein Amerikaner trug den Sieg davon, sondern ein Belgier:
„Das Komitee der Ausstellung gab bekannt, dass derjenige Aussteller, dessen Werk als das beste erachtet wird, zum Sieger auf dem Gebiet der Gedenkmedaille für das Jahr 1910 ernannt wird (...) Nach Abschluss der Ausstellung prämierte das Auszeichnungskomitee M. Godefroid Devreese als Gewinner, und in Übereinstimmung mit dem Plan des Komitees hat M. Devreese kürzlich eine besondere Ausstellungsplakette angefertigt.“ (1)
In Europa war Devreese zu dieser Zeit längst kein Unbekannter mehr.
Internationale Medaillenausstellung (Plakette von Devreese, 1910, Bronze, 50 x 88 mm, 142 Gramm) – Bildquelle: American Numismatic Society.
Godefroid Devreese wurde am 19. August 1861 im belgischen Kortrijk als Sohn eines Bildhauers geboren. Seine Mutter Virginie war Musiklehrerin:
„Godefroid Devreese lernte Bildhauerei von seinem Vater Constant Devreese. Danach studierte er an der Akademie der Schönen Künste in Kortrijk und anschließend an der Akademie in Brüssel, wo er Unterricht bei Eugène Simonis, einem Freund seines Vaters und bei Charles Van der Stappen erhielt.“ (2)
Im Jahre 1884 ließ er sich in Schaerbeek nieder. Ein Jahr später errang er mit seiner Plastik Tod des Caesars den zweiten Preis beim Prix de Rome, einem Wettbewerb für Bildhauer und Medailleure. Die Stipendien, die Devreese wiederholt erhielt, ermöglichten ihm ausgedehnte Reisen durch Europa.
Godefroid Devreese (1861-1941) im Herbst 1920 - Bildquelle: Wikimedia, L’Art belge.
Mit Viktor Horta, einem bedeutenden Architekten, verband Devreese eine besondere Freundschaft. Horta hatte 1893 mit dem Maison Tassel seinen ersten Bau in Art Nouveau entworfen, dem französisch-belgischen Jugendstil. Andere Künstler schlossen sich dem Vorbild an. Der Architekt und Formgestalter Henry van de Velde schrieb 1893 über den Stil:
„Der Unterschied, der zwischen dem neuen und dem naturalistischen Ornament liegt, ist ebenso groß wie der zwischen etwas Bewusstem, etwas Richtigem und etwas Falschem (…) zwischen etwas nach den wirksamen Gesetzen der Harmonie der Formen und hierin Bestimmtem und etwas Ungeordnetem, Chaotischen, das aus der wunderbaren Verkettung aller Dinge mit den Naturgesetzen hervorgeht.“ (3)
König Albert I. (Medaillon, Eisenguss, 658 x 665 mm, Dm. netto 430 mm) – Bildquelle: Drouot, Auktion Gemälde, Möbel und Kunstwerke, 21.05.2023, Los 1179.
Der Aufbruch inspirierte nicht nur die Plastiken von Devreese. In den Jahren ab 1890 hatte sich der Bildhauer erstmals der Medaille zugewandt. Bald wurde er Mitglied im belgisch-niederländischen Kreis der Freunde der Kunstmedaille:
„Ohne auf sein reichhaltiges Werk einzugehen, das zahlreiche Denkmäler, Brunnen und Flachreliefs umfasst, zeichnet sich Devreese vor allem durch die Kunst der Medaille aus, einem Genre, indem er sich als der innovativste belgische Künstler seiner Zeit erweist. Mehr als vierhundert Medaillen bilden den Katalog dieses erfindungsreichen Künstlers mit Erfahrung in der Beherrschung sehr feiner Reliefs, wie das Eisenguss-Porträt zeigt, das König Albert I. in einer ungewöhnlichen Dimension und perfekt gemeisterter Balance darstellt.“ (4)
2 Francs (Belgien, 1912, 835er Silber, 10 Gramm, 27 mm) – Bildquelle: Numista, Smy77.
Der Regierungsantritt des jungen Königs Albert I. im Jahre 1910 bescherte Devreese den Auftrag zur Neugestaltung der belgischen Umlaufmünzen. Belgien hatte als Gründungsmitglied der von Frankreich geführten Lateinischen Münzunion eine Währung, die auf einem festen Wertverhältnis zwischen Gold und Silber basierte. Mit dem Wertverfall des Silbers im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts setzte sich Belgien für einen reinen Goldstandard innerhalb der Union ein, konnte sich aber nicht durchsetzen. Von der größten Wertstufe der Goldmünzen zu 100 Francs gab es so nur einige Belegexemplare. In den Umlauf kamen vor allem Münzen zu 20 Francs, auf denen der neue König als bewusstes Zeichen der Wehrhaftigkeit eine Uniform trug.
20 Francs (Belgien, 1914, 900er Gold, 6,4 Gramm, 21 mm) – Bildquelle: Künker am Dom.
Die Beschriftung der Münzen verweist auf eine Besonderheit:
„Die abgebildete belgische Münze von 1914 ist besonders interessant, weil in diesem Land, in dem sowohl Französisch als auch Flämisch Amtssprachen sind, 125.000 Exemplare mit der französischen Aufschrift "ALBERT ROI DES BELGES" und weitere 125.000 mit der flämischen "ALBERT KONING DER BELGEN" geprägt wurden. König Albert trägt den Stern des Leopold-Ordens auf seinem Waffenrock, und das Revers zeigt das Abzeichen und den Kragen des Ordens.“ (5)
Die Silbermünzen mit einem anderen von Devreese geschaffenen Porträt gibt es in den Wertstufen zu einem und zwei Francs sowie 50 Centimes. Die unedlen Münzen sind ohne ein Porträt gestaltet.
Weltausstellung Brüssel (Medaille von Devreese, 1910, Bronze, 124 Gramm, 70 mm) – Bildquelle: Stockholms Auktionsverk Hamburg, 21.10.2021, Los 2375982.
Die Entwürfe zu seine Münzen und Medaillen fertigte Devreese in Übergröße und brachte sie anschließend mithilfe einer Reduziermaschine auf die zur Fertigung der Stempel benötigte Größe. So entstanden kleine Kunstwerke wie die Medaille zur Brüsseler Weltausstellung von 1910. Auf der Vorderseite verkündet ein berittener Herold den Beginn der Ausstellung. Die Rückseite zeigt eine Belga, die auf einer Treppe vor dem Brüsseler Marktplatz einen Handwerker mit dem Kranz des Siegers auszeichnet. Der renommierte französische Numismatiker Jean Babelon äußerte 1927 voller Anerkennung über das Schaffen von Devreese:
„Belgien ist aus Tradition und Überzeugung ein Land der Medaillen. Es gibt unzählige Medailleure, viele verdienstvoll. Ihre Leitfigur ist Godefroid Devreese, der einen einzigartigen Ruf und ein beeindruckendes Oeuvre hat." (6)
Dietmar Kreutzer
Quellenangaben:
Catalogue of the international Exhibition of contemporary Medals; American Numismatic Society, New York 1911, Vorwort.
Artistes Locaux: Godefroid Devreese; auf: archiviris.be, 15.09.2019.
Gabriele Fahr-Becker: Jugendstil; Köln 1996, S. 160.
Text zu Albert I., König der Belgier, Großes Medaillon, Paris 1912; Drouot-Auktion, 21. Mai 2023, Lot 179; auf: alexandrelandre.com.
Burton Hobson: Historic Gold Coins of the World; Garden City 1971, S. 150f.
Pierre-Jean Foulon: Les médailles de Godefroid Devreese conserves au Musée de Mariemont; in: Le cahiers de Mariemont, Volume 12, 1981, S. 53.
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