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Dietmar Kreutzer

Bankfrische Crowns: Der falsche Verdacht

„Ich kann mich noch gut an den Novembertag erinnern, als ich zum ersten Mal vom Fall Summertrees hörte, denn London war in einen so dichten Nebel gehüllt, dass ich mich zwei- oder dreimal verirrte.“ Mit diesen Worten leitet der britische Schriftsteller Robert Barr eine seiner Kriminalgeschichten ein. Spätabends nach Hause zurückgekehrt, liest Privatdetektiv Valmont in der Zeitung über den Ausgang der Präsidentschaftswahl des Jahres 1900 in den Vereinigten Staaten. Ein Befürworter des Goldstandards hatte sich gegen einen Vertreter der Silber-Lobby durchgesetzt. Da schellt es. Kriminalkommissar Spencer Hale von Scotland Yard steht vor der Tür. Hale hat noch nicht einmal abgelegt, da fragt ihn Valmont schon: „Sind sie ihnen entkommen?“ – Hale: „Wer?“ – „Die Falschmünzer“, antwortet Valmont. Und er erklärt auch gleich, wie er den Grund für den späten Besuch des Kommissars erraten hat: „Ganz einfach mon ami. Bei den Wahlen in Amerika ging es um den Silberpreis. Er ist so niedrig, dass er Mr. Bryan zugrunde richtete und alle Farmer im Westen, auf deren Land Silber geschürft wird, ebenfalls zu ruinieren drohte. Silber bereitet Amerika Kummer, folglich bereitet es auch Scotland Yard Kummer. […] Vor drei Monaten wurde der Diebstahl begangen, und zwar in Southampton, beim Entladen eines deutschen Dampfers.“ (Robert Barr: Der Fall Summertrees, In: Der Mord in der Via Belpoggio, Berlin 1965, S. 8)

Reprint der Kriminalgeschichten von Robert Barr (1850-1912). [Bildquelle: Between the Covers]

Valmont schlussfolgert, dass der niedrige Silberpreis mit einem Fall von Falschmünzerei zusammenhängt: „Anstatt minderwertiges Metall zu verwenden, stellt jemand ihre Schillinge und Kronen aus echtem Silber her, und trotzdem fällt dabei ein beträchtlicher Gewinn ab, den bisher der hohe Silberpreis unmöglich machte.“ (Ebenda, S. 9) Hale bestätigt die Vermutung und kommt zur Sache: „Wir haben es mit einer Bande ausgefuchster Falschmünzer zu tun, die echtes Silbergeld in Umlauf bringen und an jeder halben Krone einen Schilling verdienen. Aber wir können keine Spur von ihnen entdecken. Dabei kennen wir den Mann, der das Zeug unter die Leute bringt.“ (Ebenda) Der Verdächtige heißt Ralph Summertrees: „Jeden Freitag begibt er sich zur United Capital Bank in Picadilly und deponiert dort einen Beutel voll Geld, gewöhnlich alles Silbermünzen. […] So viel wir wissen, befindet sich darunter ein erheblicher Teil neuer Geldstücke, die die britische Münze nie gesehen haben.“ (Ebenda, S. 10) Valmont fragt nach, ob der Verdächtige etwa ausschließlich Neuprägungen abliefert. Hale: „O nein, dafür ist er zu vorsichtig. Schließlich kann man durch London gehen und die Taschen voller neu geprägter Fünf-Schilling-Stücke haben. Man kauft hier etwas und dort etwas, und das echte Wechselgeld aus der königlichen Münze bringt man nach Hause: halbe Kronen, Florins, Schillinge, was man gerade herausbekommt.“ (Ebenda) Um die Bande von Falschmünzern auszuheben, möge sich Valmont an die Fersen des mysteriösen Mr. Summertrees heften. Der Detektiv hatte lediglich eine Bitte: „Haben Sie zufällig eine neue Fünf-Schilling-Münze bei sich, von der sie annehmen, dass sie illegal geprägt worden ist?“ Hale öffnete seine Geldtasche, entnahm ihr eine Münze und händigte sie Valmont aus. (Ebenda, S. 20)

Crown (Großbritannien, 1898, 925er Silber, 28,3 Gramm, 39 mm). [Bildquelle: Sovereign Rarities]

Münzfälschung war ein Problem, von dem Großbritannien tatsächlich lange verfolgt wurde. William Chaloner (1650-1699) stellte in großem Stil falsche Goldmünzen her, insbesondere britische Guineen und französische Pistolen. Dazu vergoldete er die Falsifikate aus Silber und überzog sie mit einer dünnen Schicht Gold. Er beschäftigte sich aber auch mit der Fälschung von Crowns, also großen Silbermünzen im Wert von fünf Schilling, sowie Halbstücken der Crown. Dazu wurden die gefälschten Stücke aus Messing gegossen, zur Schärfung der Konturen nachbearbeitet und versilbert. Der damaligen Münzwardein Isaac Newton brachte den Gauner schließlich zur Strecke. Im März 1699 wurde er hingerichtet. David Hartley stellte Ende des 18. Jahrhunderts mit einer Fälscherbande in Cragg Vale (Grafschaft York) verschiedene Sorten von Goldmünzen her. Bei der Bande handelte sich um sogenannte Clipper. Sie frästen Gold von den Rändern echter Münzen ab und verarbeiteten es zu neuen. Im Jahre 1769 verriet ein Mitglied dieser „Yorkshire Coiners“ den Führer der Bande. Bis zum Dezember des Jahres konnten 30 Mitglieder verhaftet werden. David Hartley wurde im Jahr darauf gehenkt. Im März 1789 ist Caterine Murphy in London wegen Münzfälschung hingerichtet worden. Es war die letzte Frau, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Der massenhaften Fälschung von Kupfermünzen bereitete Thomas Boulton ein Ende. Er gründete 1789 die Soho Mint, stattete sie mit moderner Prägetechnik aus und erhielt von der Royal Mint den Auftrag, dort fälschungssichere Kupfermünzen herzustellen. Höhere Wertstufen wurden jedoch weiterhin nachgemacht. In einer Studie der British Numismatic Society über den Falschmünzer John Holden heißt es: „Die Herstellung gefälschter Münzen war im England des 19. Jahrhunderts ein besonderes Problem.“ (britnumsoc.blog/2021/06/25) Vor allem die Sovereigns, die goldenen Standardmünzen aus Großbritannien wurden häufig gefälscht, oft sogar im Ausland. Gefälschte Crowns und Halbstücke der Crown sind im Royal Mint Museum ausgestellt. Der Durchmesser ist zumeist korrekt. Die Stücke sind jedoch in der Regel untergewichtig. Sie bestehen häufig aus Blei, Eisen oder Mangan. Nicht immer handelt es sich um historische Fälschungen. In numismatischen Sammlerportalen wird heute vor allem vor zeitgenössischen Fälschungen aus China gewarnt.

Gegossene Fälschung einer Crown von 1898 aus Eisen. [Bildquelle: Allnumis]

Gefälschte Fünf-Schilling-Stücke aus Silber sind allerdings nicht bekannt. In der Kriminalgeschichte von Robert Barr um die angeblichen Falschmünzer begann Detektiv Valmont seine Ermittlungen im Antiquitätenladen des mysteriösen Mr. Summertrees. Er kaufte ein kleines, eisernes Kruzifix für sieben Schilling und sechs Pence. Er zahlte mit einem Sovereign. Das Wechselgeld, das der Detektiv erhielt, war zweifellos echt. Dann interessierte sich Valmont für ein kleines Tintenfass und fragte nach dem Preis. „Zwei Schilling“, war die Antwort. Der Detektiv zahlte mit der angeblich gefälschten Crown, die ihm Kommissar Hale übergeben hatte. Mr. Summertrees nahm die Münze an und gab anstandslos heraus. Der Verdacht der Falschmünzerei war entkräftet. Kommissar Hale von Scotland Yard lag also falsch! Im Lauf der weiteren Ermittlungen fand der Detektiv jedoch heraus, dass Summertrees einen Ring von Betrügern anführte, der wohlhabende Bürger ausnahm. Das eingenommene Geld lieferten dessen Agenten täglich im Laden ab. Mithilfe eines der Agenten konnte die Methoden von Mr. Summertrees aufgedeckt werden.

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