Camilla von Stackelberg (1895-1978) wuchs im lettischen Riga auf. Infolge ihrer Heirat mit dem Notar Richard von Staden zog sie im Juni 1921 nach Estland. Das Markttreiben in Reval (heute: Tallin) versetzte die junge Frau in Begeisterung: „Fässer voller Butter, riesige Bütten mit saurem Schmand und Quark, der hier Tworok hieß! Berge von Eiern, ganze Schweine und Rinder, Fische in allen Größen, silberne Killos [= Revaler Fischspezialität] in Fässern, goldschimmernde geräucherte Strömlinge auf eisernen Stäben! Und richtige dicke Marktweiber mit hellen Kopftüchern und bunten Schürzen – wie lange hatte ich dergleichen nicht mehr gesehen! Nur unterhalten konnte ich mich nicht, ich kannte ja nur ein paar estnische Worte von Dorpat her. Es fand sich aber unter den Fischfrauen eine aus Riga, die allerdickste, und sofort schwatzten wir munter auf Lettisch miteinander. Die meisten Weiber verstanden auch ein wenig Deutsch oder Russisch, so dass die Verständigung zuletzt ganz gut ging, bis ich allmählich genügend Estnisch lernte, um mich auf dem Markt und mit den Dienstboten mühelos zu unterhalten.“ (Camilla von Stackelberg: Verwehte Blätter – Erinnerungen aus dem Baltikum, Berlin 1992, S. 164f.)
Am Ende des Ersten Weltkrieges liefen zahlreiche Währungen in der Region um. Die im Jahre 1918 von den Deutschen geschaffene Estnische Mark erlitt im blutigen Unabhängigkeitskrieg mit der Sowjetunion einen erheblichen Wertverlust: „Da der Wechselkurs nicht nachhaltig war, musste Estland die Goldreserven ausgeben, die es im Rahmen des Friedensvertrages von Tartu erhalten hatte.“ (100 Years of the Estonian Economyk, auf: icds.ee, 16. Februar 2018) Erst nach dem Sieg über die Sowjets und dem Vertrag von Tartu aus dem Jahr 1920 ging es allmählich aufwärts. Camilla von Stackelberg erlebte den einsetzenden Aufschwung mit: „Im Laufe des folgenden Jahres, vor allem in den ersten Monaten des Jahres 1924, begann Reval allmählich, sich zu verändern, sowohl hinsichtlich seines äußeren Bildes als auch hinsichtlich des gesellschaftlichen Lebens.“ (Stackelberg, S. 200f.) Überall wurde gebaut. Auf dem Dom entstand das Parlamentsgebäude, am Petersplatz das Palast-Hotel, das Café Corso und das Kino Gloria, das es an Prunk mit westlichen Kinos aufnehmen konnte: „Natürlich entwickelte sich auch die Industrie des Landes, der Handel und das Geschäftswesen. Als ich nach Estland zog, konnte man nur mit Mühe einen Porzellanteller kaufen; inzwischen gab es zahlreiche Geschäfte für alle möglichen Waren, und auch die eigene Produktion lief mit Macht an. Besonders die Textilbranche nahm einen großen Aufschwung.“ (Ebenda, S. 202)
Seit 1924 war geplant, die entwertete Mark durch eine neue Währung abzulösen. Ein Gesetz von 1927 führte die goldgedeckte Estnische Krone nach nordischem Vorbild ein. Ab dem 1. Januar 1928 galt die neue Währung, die der schwedischen gleichgestellt war. Doch die Lasten wogen schwer. Siebzig Prozent des Netto-Kapitalzuflusses mussten für den Schuldendienst aufgewendet werden: „Die Staatsverschuldung betrug 121,4 Millionen Kronen, davon 115,6 Millionen Kronen im Ausland und 5,8 Millionen Kronen im Inland. 84,3 Millionen Kronen der Auslandsverschuldung wurden während des estnischen Unabhängigkeitskrieges angehäuft, während 24,6 Millionen eine siebenprozentige Verschuldung darstellten, die in den USA, Großbritannien und den Niederlanden für die Währungsreform von 1927 aufgenommen wurde.“ (100 Years of the Estonian Economy) Im Gefolge der Währungsreform stattete der schwedische König Gustav V. dem Land eine offizielle Visite ab. Der estnische Staatspräsident August Rei, der noch nie ein gekröntes Haupt zu Gast hatte, und seine Landsleute waren in heller Aufregung. Die Straße vom Hafen zur Stadt wurde geteert, das für Gäste bestimmte Schloss Katharinental instand gesetzt und mit einem prunkvollen Bett ausgestattet. Trotz genauester Instruktionen gab es aber eine Panne nach der anderen. Der verwirrte Staatspräsident setzte sich als erster ins Auto, auf den Platz für den König: „Der Monarch verwies ihn mit größter Ruhe auf den linken Platz. Als sich dann bei der Abfahrt aus Katharinental ins Parlament der König glücklich als erster ins Auto gesetzt hatte, stieg der arme Rei einfach über dessen lange Beine hinweg, statt um das Auto herumzugehen.“ (Stackelberg, S. 266) Bei der Fahrt durch die Stadt stand auch Camilla von Stackelberg an der Straße: „Ich warf ihm einen Maiglöckchenstrauß zu, doch so ungeschickt, dass er ihn am Kopf streifte. Der König fing ihn gewandt auf; mich traf ein für Sekunden ungehaltener, dann jedoch lächelnder Blick.“ (Ebenda, S. 267)
Mit der Währungsreform wurden sukzessive die alten, auf Mark ausgestellten Banknoten und Münzen abgelöst: „Die ersten neuen Münzen waren bereits 1928 im Umlauf. Aufgrund des Währungsgesetzes mussten die Ein- und Zwei-Kronen-Stücke aus Silber sein. Dieses Gesetz wurde bei den Zwei-Kronen-Münzen Toompea (dt. Domberg, 1930, 2. Abb.), 300. Jahre Universität Tartu (1932, 3. Abb.) sowie 10. Estnisches Sängerfest (1933, 4. Abb.) befolgt. Der Silberanteil einer Estnischen Krone war genau halb so groß wie der einer schwedischen. Im Jahr 1934 wurde ein Gesetz zur Änderung des Währungsgesetzes verabschiedet. Es ermöglichte auch die Prägung von Münzen aus unedlen Metallen. Die im gleichen Jahr für den Umlauf ausgegebenen Ein-Kronen-Münzen waren aus Messing.“ (History of Estonian money, auf: eestipank.ee) Im Gefolge der Weltwirtschaftskrise gab Estland den Goldstandard auf. Wie viele andere Währungen ist die Krone abgewertet worden. Sie erhielt nun ein festes Wechselverhältnis zum britischen Pfund.
Im Juni 1940 fiel die Sowjetunion in Estland ein. Überstürzt verließ Camilla von Stackelberg ihre Heimat mit Deutschland als Ziel: „Das ganze Land erhob sich, um aufzubrechen; keine Stadt, kein Gut, kein Flecken in ganz Estland und Lettland, wo nicht Balten ihre Häuser auflösten, ihre Möbel und Sachen verpackten und in die paar großen Städte strömten, von denen die Transporte abgingen – bei uns waren es Reval und Pernau. […] Geschäfte, in denen Koffer verkauft wurden, wurden förmlich gestürmt, und bald gab es in ganz Reval kein einziges Stück mehr, in das man etwas verpacken konnte. Überhaupt kauften die Menschen sich für alles noch verfügbare Geld, was sie nur konnten, denn man durfte pro Person nicht mehr als fünfzig Eesti-Kronen mitnehmen, und schließlich kamen wir in ein Land, das Krieg führte, wo also alles knapp war. Ich war dieser Sorge allerdings insofern enthoben, als ich ohnehin kein Geld hatte.“ (Stackelberg, S. 364) Immerhin gab es noch den Familienschmuck. Er sollte ihr über die erste Zeit in der Fremde hinweghelfen. „Es dämmerte schon, als wir im Hafen in riesigen Speichern unser Gepäck dem estnischen Zoll vorführten. Schmuck, Gemälde und andere Gegenstände, die Altertumswert hatten, durften nicht ausgeführt werden. Ein Legationssekretär von der deutschen Gesandtschaft ging von einem zum anderen und steckte Ringe, Armbänder und Perlenketten ein, um sie später an Bord des Dampfers ihren Eigentümern heimlich zurückzugeben.“ (Ebenda, S. 365f.) Mit ihrem kleinen Sohn blieb sie fortan in Deutschland.
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