Um 535 v. Chr. gründeten die Phokaier im Süden Lukaniens die Stadt Velia (griechisch Hyele oder Elea). Obwohl die Polis, die nach einem in der Nähe gelegenen Fluß benannt worden war, kein großes landwirtschaftliches Nutzgebiet besaß, prosperierte sie auf Grund von Fischfang und Seehandel.
Im frühen 5. Jahrhundert v. Chr. prägte die Stadt u. a. silberne Statere (auch Didrachmen oder Nomoi genannt) im phokaiischen Münzfuß (um 8 g / Stater), die auf der einen Seite den Kopf der örtlichen Nymphe Hyele und auf der anderen einen Löwen zeigen. Ein paar Jahrzehnte später ersetzte man allerdings den Kopf der Nymphe durch den der Göttin Athe-na. Die Statere, die dann von 440-280 v. Chr. geprägt wurden, tragen vorderseitig fast im-mer den behelmten Kopf der Athena – zwischen 400 und 340 v. Chr. erscheint gelegentlich auch noch der Nymphenkopf – und rückseitig stets einen Löwen.
Während der Kopf der Athena nahezu ausnahmslos in Profilansicht, nach rechts oder links gewandt, zu sehen ist, erscheint der Löwe in diversen Posen: Entweder schleicht oder schrei-tet er nach rechts oder links, oder reißt einen Hirsch oder nagt an einem Beuteteil oder ei-nem Widderkopf.
Auf einem zwischen 300 und 280 v. Chr. geprägten Stater fällt die Löwendarstellung jedoch völlig aus dem Rahmen, zumal sich der nach links schreitende Löwe vor einer im Hinter-grund stehenden Dattelpalme befindet und seinen Kopf dem Betrachter zuwendet.
Eine Darstellung, die im Repertoire der erwähnten silbernen Statere, aber so ungewöhnlich und selten ist, dass man sie gar nicht erst zu den Münzen dieser Polis zählen möchte, wenn, ja wenn da nicht das Ethnikon YELETON ([Münze] der Velier / Hyeler) wäre. Im Grunde ge-nommen handelt es sich bei dieser Löwendarstellung aber nicht um eine eigenständige Schöpfung der Hyeler, sondern um ein Bildmotiv, das der in der griechischen Numismatik Bewanderte, auch sofort als entlehnt erkennt. Die Münze, die hierfür das Vorbild lieferte, war nämlich ein Tetradrachmon der Karthager bzw. Punier auf Sizilien.
Vergleicht man die beiden Münzen, so offenbart sich, dass ihre Rückseiten nahezu identisch sind, woraus geschlossen werden kann, dass die Stempelschneider in Velia das punische Original so gut wie 1:1 kopierten. Die stilistisch ansprechende Vorderseite mit der Artemis-Tanith oder Elissa-Dido (?) übernahmen sie jedoch nicht, sondern blieben bei Athena im at-tischen Helm.
Aber warum kopierten sie die Rückseite? Nun, dies könnte, wie einige Numismatiker vermu-ten, mit der Expansion des syrakusanischen Königs Agathokles nach Süditalien zu tun gehabt haben. Denn nachdem Agathokles die Karthager aus dem größten Teil Siziliens vertrieben hatte, setzte er nach Süditalien über, eroberte Bruttium und Kroton und ging mit Taras (Ta-rent) eine Allianz gegen die Lukaner ein. Da das in Lukanien gelegene Velia unter diesen Umständen befürchtete, das nächste Opfer des Agathokles zu sein, suchte es den Schulter-schluss mit den Karthagern, den Erzrivalen des Agathokles. Gut möglich, dass es hiernach auch militärische Unterstützung seitens der Karthager für die Velier / Hyeler gab, für die jene dann die silbernen Stateren aus Abb. 2 prägen ließen, um damit zu bezahlen. Dies wür-de vor allem dann Sinn gemacht haben, wenn es sich zum einen bei den Karthagern um Pu-nier aus Sizilien gehandelt hätte, für die Münzen mit einem Löwen vor Dattelpalme gerade-zu heimisch gewirkt haben dürften und man zum anderen auf hyelischer Seite der neuen Freundschaft mit den Karthagern besonderen Nachdruck hätte verleihen wollen. Stattdessen anzunehmen, die Velier / Hyeler hätten diese einmalige Rückseite im Repertoire ihrer Sta-tere nur eingeführt, um auf diese Weise eine größere Diversifikation an Rückseitenmotiven zu erhalten, ist wenig überzeugend, zumal sie dafür nicht unbedingt auf sikulo-punische Schöpfungen hätten zurückgreifen müssen. Außerdem gab es in Velia nach diesem Intemez-zo ja auch wieder Statere mit den alt gewohnten heimischen Löwenmotiven.
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