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Dietmar Kreutzer

André Gide und seine „Falschmünzer“

Wer den Roman Die Falschmünzer von André Gide erstmals zur Hand nimmt, erwartet womöglich eine spannende Geschichte über Geldfälscher. Was er bekommt, ist ein verwickeltes Vexierspiel über Aufrichtigkeit und Falschheit, also Fälschertum im übertragenen Sinne. Der Schriftsteller Édouard, in dem man Gide selbst erkennt, steht im Zentrum des Geschehens. Er arbeitet angeblich an einem Roman über eine Falschmünzerbande. Um diesen Schriftsteller kreisen die Schicksale einer Gruppe von Abiturienten. Eine unerfüllte Liebe zu seinem Neffen Olivier treibt den Letztgenannten in die Fänge des intellektuellen „Falschmünzers“ Robert de Passavant. Erst nachdem er von dem Blender und Hochstapler missbraucht wurde, gestehen sich Édouard und Olivier ihre Zuneigung ein. Doch Édouard hat sein Auge bereits auf einen anderen jungen Mann geworfen. Jener ist allerdings in George verliebt, der bei einer Mutprobe seiner Clique umkommt. Als Aufhänger des im Jahr 1925 veröffentlichten Romans Die Falschmünzer dienten André Gide mehrere Zeitungsausschnitte aus den Jahren 1907-1909 über eine Falschmünzer-Affäre und den Selbstmord eines Schülers. Dahinter steht jedoch die Scheinehe des Autors mit seiner Cousine Madeleine. Auf der Hochzeit hatte sich Gide unsterblich in Marc Allegret verliebt, den 16-jährigen Sohn eines Trauzeugen. Jener wird später zu seinem Sekretär. Ein wichtiger Beweggrund für die Entstehung des Romans ist somit die lange verheimlichte Liebesaffäre des Autors mit Allegret.      


André Gide (1869-1951), Nobelpreisträger für Literatur und Enfant terrible – Bildquelle: Wikimedia, Guy & Mockel.


Die Münzfälschungen, zu denen es in Frankreich in der Zeit des Goldstandards kam, werden schon im ersten Teil des Romans angesprochen. Dem Schriftsteller Édouard wird nämlich ein gefälschtes Geldstück präsentiert:

„Hören Sie nur, wie echt es klingt. Beinahe genauso wie die anderen. Man könnte schwören, es sei aus Gold. Ich ließ mich heute Morgen davon täuschen, nicht anders als der Kaufmann, der es mir gab. Die Münze hat, glaube ich, nur nicht ganz dasselbe Gewicht, doch in Glanz und Klang ist sie von einem echten Goldstück fast nicht zu unterscheiden.“ (1)

Mit dem Fortgang der Handlung entwickelt sich im Bekanntenkreis des Schriftstellers tatsächlich eine Falschgeldaffäre. Georges, der jüngere Bruder seines Liebhabers Olivier, soll an der Schule gemeinsam mit einem Freund die gefälschten Goldmünzen unterbringen. Der Coup wird konspirativ von einem Lieferanten vorbereitet, der mit einer Fälscherbande in Kontakt steht:

„Allerdings setzen wir die Geldstücke zu langsam ab, wenn wir sie einzeln abgeben. Ich habe zweiundfünfzig Schachteln à zwanzig Stück unterzubringen. Wir müssen sie schachtelweise für zwanzig Francs verkaufen; aber, verstehst du, nicht an jeden. Am besten wäre es, einen Verein zu gründen, in den nur aufgenommen wird, wer ein Pfand beibringt. Die Bengel müssen als Einsatz etwas abliefern, wodurch wir die Eltern in der Hand haben.“ (2)

Die Schüler sollen das Falschgeld günstig erwerben, dafür etwas im Geschäft kaufen und sich echtes silbernes Wechselgeld herausgeben lassen.


Die Falschmünzer (deutsche Taschenbuchausgabe, 1957) – Bildquelle: Rowohlt Verlag.


Wie aus dem Roman hervorgeht, wurden französische Goldmünzen gefälscht. Bei diesen Fälschungen muss zwischen illegalen Nachprägungen aus echtem Gold, weiteren aus Platin mit Goldüberzug und solchen aus unedlen Legierungen unterschieden werden. Über die echt goldene Variante heißt es heute in einem Händlerportal:

„Sehr gute zeitgenössische Fälschungen, hergestellt in Montecatini (Italien) in illegalen Werkstätten mit dem Ziel, die Bevölkerung zu täuschen. Diese Münzen waren in der Vergangenheit als echt im Umlauf. Sie wurden aus echtem Gold hergestellt, weil der Goldpreis niedriger war als der Nennwert eines Napoleons.“ (3)

Wegen der Goldfunde in Kalifornien und Australien war der Angebotspreis für Rohgold in der Mitte des 19. Jahrhunderts zeitweilig auf die Hälfte des Nennwerts eines Zwanzig-Francs-Stückes gesunken. Illegale Nachprägungen wurden auf diese Weise zu einem Geschäftsmodell. Zu einer angebotenen Münze aus Platin mit Goldüberzug lautet der Kommentar des Händlers:

„Bei dieser seltenen Platinprägung handelt es sich um eine zeitgenössische Fälschung durch staatliche Münzbeamte. Der Preis für Platin lag Mitte des 19. Jahrhunderts deutlich unter dem Goldpreis. Die Platinstücke wurden oft vergoldet und zusammen mit den regulären Goldmünzen gleichen Typs in Verkehr gebracht.“ (4)

Bei den schlecht gemachten Falsifikaten aus Blei oder anderen Schwermetallen mit einem dünnen Goldüberzug war der potenzielle Gewinn für die Fälscher aber am größten.


20 Francs (Frankreich, 1858, italienische Fälschung, Gold, 6,4 Gramm, 21 mm) – Bildquelle: Thomas Numismatics.


20 Francs (Frankreich 1862, französische Fälschung, vergoldetes Platin, 6,4 Gramm, 21 mm) – Bildquelle: Künker, Sommerauktion 2014, Los 3051.


20 Francs (Frankreich, 1866, zeitgenössische Fälschung aus 64% Blei, 10% Gold, 24% Silber und 2% Kupfer, 4,3 Gramm, 21 mm) – Bildquelle: MA-Shops, CHS Basel Numismatics.


Von diesen Fälschungen müssen die modernen Repliken unterschieden werden. Zwischen 1951 und 1960 hat der französische Staat historische Zwanzig-Francs-Stücke nachprägen lassen:

„Im Jahr 1952 wurde der Wert der französischen Währung durch die Dauer des Indochina-Krieges beeinträchtigt. Antoine Pinay, Präsident des Ministerrates, legte im Mai eine Staatsanleihe auf, deren Zinsen an den offiziellen Kurs der goldenen Napoleons zu 20 Francs gekoppelt war. Dies war die sogenannte Pinay-Annuität. Den Franzosen konnten Wertpapiere kaufen, für die ihnen eine Verzinsung von 3,5 Prozent auf den Preis eines Napoleon zugesichert wurde.“ (5)

Um den Verkaufspreis niedrig zu halten, wurden über 37 Millionen Münzen mit dem Motiv der Marianne nachgeprägt. Der Schachzug erwies sich alsbald als Fehlschlag. Mit dem Anstieg des Goldpreises mussten für einen ursprünglichen Anleihebetrag von 36 Francs im Jahr 1988, dem letzten der Laufzeit, stolze 1.474 Francs an Zinsen aufgebracht werden. Heute werden überdies wertlose Repliken angeboten, die von einem Laien nicht auf Anhieb vom Original unterschieden werden können. Die chinesische Nachprägung eines Zwanzig-Francs-Stück von 1899 aus Messing wird im Handel schon für unter 20 Euro angeboten. In der zugehörigen Werbung heißt es:

„Die beste Alternative für Münzsammler, die ihre Sammlung erweitern wollen, ohne Tausende Euros auszugeben.”  (6)

20 Francs (Frankreich, 1907, amtliche Nachprägung, 900er Gold, 6,4 Gramm, 21 mm) – Bildquelle: MA-Shops, Münzenhandlung Löchte.

20 Francs (Frankreich, 1899, chinesische Replik, Messing, Gewicht unbekannt, 21 mm) – Bildquelle: Amazon, Prescious & Valuable Metals.


Dietmar Kreutzer


Quellenangaben:

  1. Andre Gide: Die Falschmünzer; München 2023, S. 189.

  2. Ebenda, S. 262.

  3. Kommentar zu einem angebotenen Zwanzig-Francs-Falsifikat auf: thomasnumismatics.com.

  4. Künker: Sommerauktion 2014, Los 3051.

  5. Pìèce d’or: qu’est-ce que les refrappes Pinay, auf: or-investissement.fr.

  6. High Quality Replica Historic Coin, auf: amazon.de.

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