Lykien ist eine stark gebirgige Halbinsel, die an der südwestlichen Ecke Kleinasiens ins Mittelmeer reicht. Das Siedlungsgebiet der antiken Lyker erstreckte sich von Telmessos im Westen bis nach Phaeselis im Osten. Die dicht bewaldeten Gebirgszüge Lykiens wurden von drei großen Flusssystemen durchzogen, die ins Mittelmeer mündeten – dem Xanthos im Westen, dem Myros in der Mitte und dem Arykandos im Osten. In den Tälern und an den Mündungen dieser Flüsse lagen die drei bedeutendsten Siedlungsgebiete der Lyker. Die Lyker wiederum gehörten wie ihre Nachbarn, die Karer und Pisidier, zu den luwischsprachigen Völkern Südanatoliens. Ihre Schrift, die vom phönikisch-griechischen Alphabet abgeleitet wurde, ist uns heute zwar bekannt, doch beherrschen wir sie noch nicht vollständig.
Obwohl Lykien bereits in der Bronzezeit besiedelt war und sowohl in den hethitischen Quellen als auch in der Ilias Erwähnung findet, so war es erst die Eroberung des lykischen Xanthos (540 v. Chr.) durch den persischen Feldherrn Harpagos, einen General des achaimenidischen Großkönigs Kyros, die Lykien in die Geschichte eintreten ließ. Denn wenngleich Lykien nominell von da an auch dem Satrapen von Lydien oder von Karien unterstand, so duldeten die Perser doch die Herrschaft einheimischer Regenten bzw. Dynasten in den wichtigsten Siedlungszentren, da diese das neu eroberte Land im Namen des Großkönigs verwalten sollten.
In Xanthos (lykisch Arñna), das etwa 8 km vom Meer entfernt lag und faktisch politisches Zentrum von Lykien war, herrschten ab 480 v. Chr. die Dynasten Kuprlli (um 480–440 v. Chr.), Kheriga (um 440–425 v. Chr.), Kherêi (um 425–400 v. Chr.) und Erbbina (um 400–385 v. Chr.). Interessant ist, dass die Münzprägung der zahlreichen lykischen Dynasten, sowohl der unbestimmten als auch der namentlich Bekannten, ab 500 v. Chr. begann und sich schnell und vielfältig entwickelte, die Bildmotive wurden dem griechischen und persischen Bilderkanon entlehnt.
Lykien, Dynast Kherêi, Stater (um 430/425–410/400 v. Chr.), Silber, 8,56 g, Ø [Höhe, Rs.] 22 mm, Münzstätte Tlos
Quelle: MA-Shops, Dr. Busso Peus Nachfolger, Dezember 2018
Besonders ragen die Münzen des Dynasten Kherêi heraus, der nach Wilhelm Müseler um 430–410 v. Chr. herrschte, da diese als Pendant zur Göttin Athena auf ihrer Vorderseite nicht selten das Porträt Kherêis auf ihrer Rückseite zeigen. Hierbei erscheint der Kopf des Dynasten mit persischer Kyrbasia nach links oder rechts in einem vertieften Quadrat nebst Namenslegende in lykischen Buchstaben. Auf einem äußerst seltenen Silberstater aus der Münzstätte Tlos – Kherêi ließ Porträtmünzen mit seinem Namen in allen drei Münzstätten des Xanthostals (Xanthos, Pinara und Tlos) prägen – trägt der Dynast zudem einen Kranz um seine Kyrbasia.
Dieses Kranzes wegen hielten Numismatiker wie Willy Schwabacher oder Herbert A. Cahn solche Porträts jedoch nicht für die des Kherêi, sondern für die des höher gestellten Satrapen Tissaphernes, in dessen Stellvertretung der lykische Dynast nämlich Prägeherr gewesen sei. Für die Numismatiker Jan Zahle und Wilhelm Müseler ist es jedoch völlig abwegig, „dass mit den Porträtköpfen oder -büsten auf den von verschiedenen lykischen Dynasten signierten Geprägen irgendeine andere Person gemeint sein könnte als die, deren Namen auf der Münze steht.“ (W. Müseler: Lykische Münzen in europäischen Privatsammlungen. Istanbul 2016, S. 18) Wenn hier allerdings in der Tat Kherêi abgebildet sein sollte, dann wäre laut Müseler „klargestellt, dass die frühesten, wenn auch sicher noch ,symbolischen‘ Bildnisse konkreter lebender Personen auf Münzen tatsächlich aus Lykien stammen“. (W. Müseler, ebenda, S. 19)
Dem Auktionshaus Dr. Busso Peus Nachf. zufolge handelt es sich übrigens bei dem hier abgebildeten, äußerst seltenen Silberstater um das mit großem Abstand besterhaltene Exemplar aus dieser überaus seltenen Serie.
Stele von Xanthos in lykischer Schrift (um 400 v. Chr.)
Quelle: Nikolas Iloyd, Wikipedia