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Michael Kurt Sonntag

Kreta: Phaistos und der Riese Talos


In Phaistos auf Kreta prägte man gegen Ende des 4. Jhs. v. Chr. silberne Statere auf den Riesen Talos. Dem Mythos nach entstammte Talos dem ehernen Geschlecht. Doch obwohl er ganz aus Erz war, war er belebt: von seinem Nacken bis zu den Knöcheln zog eine einzige Ader, durch die Blut floss. Diese war an ihrem Ende mit einem ehernen Nagel verschlossen.

Hephaistos, der Gott des Feuers, der Schmiede und der Handwerker, schenkte Talos dem kretischen König Minos, auf dass der Riese Kreta bewache und vor Eindringlingen schütze. Um seiner Aufgabe gerecht zu werden, umrundete Talos die Insel Kreta täglich dreimal und bewarf jedes sich nähernde Schiff so lange mit Steinen, bis es darauf verzichtete, die Insel anzulaufen. Ließen sich Fremde durch seine Steinwürfe aber nicht abschrecken und landeten doch auf Kreta, dann sprang Talos ins Feuer, brachte seine Brust zum Glühen und umarmte die Ankömmlinge anschließend, bis sie tot waren.

Als nun die Argonauten auf ihrer Heimreise von Kolchis, wo sie das goldene Vlies geholt hatten, Kreta anliefen, um dort zu übernachten, bewarf Talos auch ihr Schiff mit Steinen, um ihre Landung zu verhindern. Doch diesmal ging seine Strategie nicht auf, denn die Argonauten konnten erfolgreich landen und Talos fand den Tod. „Medea [die Tochter des Königs Aietes von Kolchis, die mit Iason und den Argonauten segelte] bezauberte ihn [gemeint ist Talos] nämlich durch ihren Gesang, oder aber sie machte ihn wahnsinnig oder machte ihn durch ein Zaubermittel kraftlos und tötete ihn dabei. Sie versprach ihm, ihn unsterblich zu machen und zog ihm den ehernen Nagel aus dem Blutgefäß, worauf das Blut herausfloss und Talos an Verblutung sterben musste.“ (W. H. Roscher [Hrsg.]: Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. 3. Nachdruckauflage Hildesheim, New York 1992. Bd. 5, Spalte 29, 18 ff.)

Phaistos (Kreta): Stater (um 320-300 v. Chr.), Silber, 11,01 g, Ø 23 mm, Münzstätte Phaistos

Quelle: Nomos AG, Auktion 17 (26. Oktober 2018), Los 147

Auf der Vorderseite eines silbernen Staters von Phaistos sehen wir den nackten geflügelten Talos von vorn stehend und lesen die Aufschrift 𝛵𝛢𝛬𝛰𝛮 (TALON). Die Rückseite zeigt einen nach rechts scharrenden Stier und nennt die Legende 𝛷𝛢𝛪𝛴𝛵𝛪𝛺𝛮 (FAISTION).

Dass die Münze Talos geflügelt zeigt, wenngleich die antiken Quellen davon nichts erwähnen, mag der Tatsache geschuldet sein, dass man die Schnelligkeit dieses Riesen auf diese Weise veranschaulichen wollte, schließlich umrundete er doch Kreta dreimal täglich. Ferner wird Talos in seiner Funktion als Beschützer Kretas gezeigt – hält er doch in der erhobenen Rechten einen zum Schleudern bereiten Stein und in der gesenkten Linken noch einen Stein in Reserve. Diese Statere sind heute äußerst selten, Fachleute sprechen von weniger als einem halben Dutzend.

Die Illustration „Medea und Talos“ thematisiert den Tod des metallenen Riesen. Während Medea mit dem ehernen Nagel in ihrer Linken dargestellt wird, verblutet der am Boden liegende Talos jämmerlich.

„Medea und Talos“. Illustration von Sybil Tawse (1920). In: „Stories of Gods and Heroes“ von Thomas Bulfinch

Quelle: Wikimedia Commons

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